Wenn die Macht in Gefahr ist – Herrschende in Bedrängnis – was tun sie?
Erkenntnisse durch die Dissertation von Manfred Kliem1, bestätigt durch weitere Quellen
aus der Zeit der Revolution 1848
und selbst ähnlich 1989/90 Miterlebtes und in unseren Tagen in Nachrichten Berichtetes
- Jeder, der davon weiß, wird selbst weiteres hinzufügen -
1. Es müssen in Sicherheit gebracht werden:
1.1.: Das Geld |
||
1848: - Beschluss zum Wegschaffen des Staatsschatzes nach Potsdam am Morgen des 19.3. - Kronjuwelen, Privatschmuck der Königin, wichtige Papiere und Teile des Staatsschatzes wurden über Hamburg nach Hull England gebracht, das übrige verblieb in Potsdam ( ebd., S. 257, S. 357)
Im Nachlass von G.W. Raumer im Preußischen Staatsarchiv (StA PK, BPH, Rep. 192, NL Raumer, G.W., Nr. 28 findet man die Zusammenstellung, der von ihm am 21. März 1848 nach Potsdam gebrachten Gelder aus dem Berliner Schloß.
Hier noch einmal deutlicher die Gesamtsumme: 4 700 000 Taler!
Ludwig von Massow brachte den Schmuck der Königin am 25. März 1848 nach Potsdam
Die Liste enthält 89 Positionen.
Unterschrieben wurde die Liste von der Kammerfrau Thérese Clauic und der Garderobenfrau der Königin Caroline Conrad mit folgender Anweisung: "Die Gold-Gegenstände können nur nachdem in unseren Händen befindlichen Inventario revidiert werden. u. bitten wir daher, (dass) nur die Kasten in unserer Gegenwart geöffnet werden."
- Brief Friedrich Wilhelm IV. vom 14. Mai 1848 an Ludolf Camphausen : Der Staatsschatz und die Gewehre seien aus dem Zeughaus herauszuholen entsprechend seiner Instruktionen vom Gründonnerstag, falls die Bürgerwehr nicht Herr der Lage sei. |
||
1.2. Die wichtigsten Personen |
||
1848:: Beschluss zur Evakuierung der königlichen Familie und Verlagerung von Behörden aus der Stadt ( M. Kliem S. 240) - zur Flucht des Prinzen von Preußen, (ebd. S. 266, 298ff)
- Pläne v. Gerlach und Bismarck vom 22. März, den König u. s. Familie mit militär. Gewalt aus Berlin herauszuholen, vgl. S. 334ff (s. Kliem - S. 316): Flucht von Ängstlichen / von politisch bisher Aktiven, die deswegen um ihr Leben fürchteten: E.W. Hengstenberg war vorsichtshalber aus Berlin nach Gramzow in die Uckermark gefahren. Am 27. März 1848 schrieb Ludwig von Gerlach aus Magdeburg: „Sie sollten in Berlin sein. Auch Stahl ist wieder dort. Ihre Abwesenheit macht alles gemeinsame Handeln schwer. Kehren Sie sobald als möglich zurück.“ (Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 159) |
||
1.3.: Wichtige Akten, die, wenn sie in die „falschen“ Hände fallen würden, einem schaden könnten, sind wegzuschaffen, werden zu Hause aufbewahrt, zumindest eine Kopie oder werden vernichtet |
||
1848:
|
||
1.4.:Waffen |
||
1848: : - über Abtransport von Waffen aus dem Zeughaus, der von Bürgern am 30. Mai entdeckt wurde ( A. Wolff, Bd.3, S. 95 ff) |
||
2. Es gilt zu verstehen, was passiert ist, und zu erkennen, was sich daraus entwickeln könnte |
||
1848: Der Ideologiewechsel wird durch den Enthusiasmus und die nicht feindliche Gesinnung der neuen Mächtigen gegenüber den alten Machthabern gefördert, ist umgekehrt aber auch eine Gefahr für die Neuen. M. Kliem, S. 71 spricht von deren nicht angebrachter Toleranz und mangelnder Wachsamkeit.
Öffentlich sichtbar wurde dieser Ideologiewechsel durch den Umritt des Königs am 21. März mit den deutschen Farben durch Berlin. (M. Kliem S. 358) Aber dieser Wechsel ist auch eine Gefahr, weil man bisherige Bundesgenosse und Freunde dadurch vor den Kopf stoßen kann: 1848; M. Kliem zur Königsrede in Potsdam am 25.März 1848, S. 345ff, s. S. 349-353
Dies gilt auch für die Einschätzung von Personen. So sagte Tholuck in seiner Rede am Schluss der Konferenz evangelischer Kirchenführer vom 2. und 3. Mai 1848 in Gnadau laut der Zeitung „Neueste Nachrichten aus dem Reiche Gottes": „So haben wir bisher unwillkürlich uns gestützt auf einen Fürsten, wie ihn Jahrhunderte nur einmal zu bringen pflegen, einen Fürsten, der in solcher Zeit ein solches Bekenntnis abgelegt, ein solcher Pfleger der Kirche geworden sei. Nun habe der Herr uns diese Stütze genommen, damit wir es erfahren, dass Fürsten auch Menschen seien, die nicht helfen können, und wir unsere Hoffnung allein setzen auf unseren Herrn, unseren Gott.“ (Neuste Nachrichten aus dem Reiche Gottes, 32. Jahrg. 1848, Juni-Ausgabe, S. 302) Hier wird der Unterschied zwischen Glauben, dem Vertrauen zu Gott, und dem auswechselbaren Verhältnis und Verständnis von Menschen deutlich, von Menschen, die man glorifiziert, solange sie den eigenen Interessen entsprechend handeln, und kritisiert, wenn sie das nicht mehr tun. - (M. Kliem S. 284: Fr. Wilhelm IV. am 28. März zu seiner Rede am 21. März) |
||
2.2. Man taktiert und wechselt zwischen den Ideologien/ Weltanschauungen, je nachdem, wie es gerade vor dem Angeredeten sinnvoll erscheint, das Vertrauen zur eigenen Person zu erhalten. |
||
1848:
In einer Proklamation Friedrich Wilhelm IV. vom 11. November 1848, veröffentlicht im „Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin“ redet der König ganz anders, als in seinem Brief an seine Schwester, die Zarin, vom 25. Oktober (s. unten 4.1.). Von seiner Forderung, König von Gottes Gnaden zu sein, spricht er in der Proklamation nicht, dafür gab er „die unverbrüchliche Versicherung“, nichts solle verkümmert werden an „Euren konstitutionellen Freiheiten“... Ergibt sein „heiligstes Bestreben, Euch mit Gottes Hilfe ein guter konstitutioneller König zu sein, auf dass wir gemeinsam ein stattliches und haltbares Gebäude errichten, unter dessen Dache zum Frommen Unseres Preußischen und ganzen Deutschen Vaterlandes, Unserer Nachkommen sich ruhig und einträchtig der Segnungen einer echten, wahren Freiheit Jahrhunderte lang erfreuen mögen! Dazu wolle Gott seinen Segen verleihen!" ( Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jahrgang 1848, S. 363f) |
||
2.3. Dieser Ideologiewechsel fällt natürlich auf, und führt zu gegenseitigen Anklagen und harten Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppen der bisherig Gleichgesinnten |
||
1848 hält Pastor Eltester in der "Zeitschrift für die unierte evangelische Kirche" vom 11./12. Juli 1848 seinen Amtskollegen vor: „Währet ihr alle rechte Männer gewesen, nichts als die Wahrheit zu wollen, hättet ihr als mannhaft für Wahrheit, Recht und Freiheit gestritten und gelitten, hätten nicht so viele von euch Ämtchen und Käppchen vorgezogen, da hätte es nicht fehlen können, es hätte sich Recht aus Recht entwickelt, während jetzt die wüste Gewalt durchgegriffen hat, die ihr darum fröhlich begrüßt, weil ihr fühlt, wie wenig die Wahrheit in euch Macht hat, und euch einbildet, sie werde euer Handeln ersetzen und euch das Leiden ersparen." (Zeitschrift für die unierte evangelische Kirche, Hrsg. von Eltester, Jonas, Krause, Pischon Sydow, Potsdam, 3. Jahrgang 1848, Bd. 6, S. 24)
|
||
3. Irrationales hat Hochkonjuktur
3.1. Mythen entstehen und werden verbreitet, da man sich einen Reim auf das machen muss, was man erlebt hat, aber die Zusammenhänge nicht überblickt.
|
||
1848: Der Mythos der Gegenrevolution: preuß. Bauern hätten sich schützend vor die Hohenzollern gestellt, (so Wilhelm von Riehl1 1851, s. M. Kliem S. 319)
Der Vergreitung dieses Mythos hilft, dass man sich in späteren Biographien und Schilderungen der Revolutionszeit angesichts der wieder gefestigten Stellung des Königs und der Monarchie versucht, die eigenen Gedanken und kritischen bzw. die Revolution preisenden Worten z.B. in Briefen, Predigten, Artikeln, Reden durch Schilderung gegenteiliger Standpunkte vergessen zu lassen bzw. unsichtbar zu machen, sich selbst also gegenüber möglicher Kritik reinzuwaschen. |
||
3.1. „Schuldige“ müssen als Sündenböcke gefunden werden – sie gelten als die wahren Feinde und entlasten damit die Täter |
||
1848: Die Fremden
Leopold von Gerlach zu den Barrikadenkämpfen am 18. Mär: Die zweite Schicht der Menschen, die nach dem Jubel der ersteren auf dem Schlossplatz waren „bestand aber der Hauptsache nach aus Fremden, Polen, Franzosen und einem Haufen teils irregeleiteter, teils böswilliger Menschen." (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs...Bd. 1, S. 135) Von der Gegenseite / den Demokraten hieß es: Schuld ist der Prinz von Preußen, der Kartätschenprinz (dazu M. Kliem S. 355). Er hatte seit dem 9.3.1848 keine Befehlsgewalt ausgeübt ! (s. M. Kliem S. 266)
|
||
3.2. Doch nicht nur Feindbilder werden in Umlauf gebracht, sondern auf der Seite der Gegner werden gerade diese Feinde als Verbündete gefeiert und geehrt und ihnen in ihrem jeweiligen Kampf in ihrer Heimat die eigene Solidarität versichert |
||
1848 war dies die Befreiung der verurteilten und inhaftierten Polen, die in einem Festzug durch Berlin geführt wurden, an der Spitze der zum Tode verurteilte L. Mieroslawski, auch „Adressen“ der Klubs, so auch des konstitutionellen und des politischen Clubs an die Polen im Grußherzogtum Posen bzw. an die „Polnischen Brüder“.(A. Wolff, Bd. 2, S.56ff)
Dies konnte aber von den so angesprochenen Brüdern auch Hoffnung auf militärische Unterstützung wecken, so verbreitet von einem Herrn A. Cybulsky als Bevollmächtigtem des Posener National-Komitees, der in einem durch Plakate verbreiteten „Aufruf an das Volk von Berlin“ folgendermaßen den Feind beschrieb: „Deutsche und Polen – wir haben nur Einen Feind unseres Strebens, den Einen Erzfeind aller Freiheit: die asiatische Willkürherrschaft. Lasst uns dieselbe gemeinschaftlich bekämpfen! Es ist der letzte heilige Kampf, den wir auszufechten haben!.Gestattet nicht, dass man uns aus freien Männern zu Knechten des Despoten, zu Würgern Deiner Freiheit unter der blutigen Zarenfahne macht! - Wir fordern gegenwärtig nichts anderes, als uns gegen den selben waffnen zu dürfen.“ (A. Wolff, Bd. 2 v. 1859, S. 59)
Aber nicht nur Polen rechneten mit dem Eingreifen des Zaren. Schon am 28. März 1848 hatte die Voßische Zeitung über einen möglichen Krieg mit Russland als derzeitiger Tagesfrage spekuliert. Und die Kraft und Stärke des „Gegners“ wurde durch Berechnungen über den Bestand der russischen Armee ermittelt. ( A. Wolff, Bd. 2 v. 1859, S. 17) |
||
3.3. Nicht nur Feinde, sondern auch Helden werden sofort ausgemacht und geehrt. Wer sich ihrer Anerkennung verweigert, hat schlechte Karten. |
||
1848: Die Beerdigung der Märzgefallenen ist dafür ein Beleg. Er selbst weist darauf hin, dass gleichzeitig veröffentlichte Berichte „eine ungeheure Anzahl militärischer Handlungen verzeichnet, deren Brutalität den Abscheu der Darsteller in demselben Grade hervorrief, in welchem sie durch die Handlungsweise der Bürger sich begeistert fühlten.“ Im folgenden berichtet er dann, dass nur 75 der Bürgerlichen auf den Barrikaden gefallen wären, die übrigen von den Soldaten in den Häusern wahllos niedergemetzelt wurden, darunter Frauen und Kinder bzw. auf dem Transport als Gefangene misshandelt wurden. Von 50 Gefangenen, die alle unverwundet waren, wäre nur die Hälfte lebend in den Schlosskeller gebracht worden. (Ebd. S. 174)
Am 4. Juni 1848, einem Sonntag, wurde ein Gedenkzug zu den Gräbern der Barrikadenkämpfer im Friedrichshain organisiert, mit dem Ziel „ ...durch eine feierliche Kundgebung jener Verleumdung entgegenzutreten und heilig zu sprechen, was die Undankbarkeit schmäht.“- so ein Komitee der Studentenschaft auf Eckanschlägen. (A. Wolff, Bd. 3 v. 1854, S. 120 bis S.136) |
||
3.4. Man versucht wachsam gegenüber neuen Gefahren zu sein: |
||
- Gerüchte vom Tod vieler Soldaten und Offiziere am 18. März (M. Kliem S. 232) - von Gerlach ließ die Legende im Offizierskorps „ausstreuen“ v. Prittwitz habe den Abzug der Truppen aus Berlin verschuldet. Gegen dieses Gericht hat sich dieser mit seinen Schriften zu wehren versucht. (ebd., S. 317)
Zum Mythos der Verschwörung – s. R. Hachtmann S. 191: „Gerüchte beeinflussen das Verhalten des 'Volkes' und ebenso das der Obrigkeit.“ Er erklärt dies im folgenden auf S. 200: Revolutionen sind Krisen... man lebt mit dem Gefühl alles sei möglich, die Ereignisse und Entwicklungen überstürzen sich; Gerüchte sind einfache Erklärungsmuster, vorher fehlende oder beschnittene Meinungsfreiheit ist eine wesentliche Bedingung für die Wirkmächtigkeit von Gerüchten...
Ein Gerücht, preußische und russische Truppen seien im Anmarsch, wurde Anfang Juni geglaubt, das Dementi des Berliner Polizeipräsidenten dagegen nicht. – Dies gehört zur Vorgeschichte des Berliner Zeughaussturm am 14. und 16. Juni 1848. (R. Hachtmann: Gerüchte, S. 190f)
A. Wolff, Bd. 3, 1854, S. 470 zur „Russenfurcht in der Zeit des 20.-26. Juni“: „'Russische Heere stehen vor unserer ungeschützten Grenze!' rief der Graf Reichenbach in der Sitzung der Nationalversammlung vom 20. Juni aus.... und dieser Aufruf war das Echo von Gerüchten und Zeitungsnachrichten, welche seit 14 Tagen ein viel behandeltes Thema in der Reihe der Tagesfragen waren.“ Er hatte als schlesischer Abgeordneter zahlreiche Schreiben von der russischen Grenze erhalten, die ihn über bedeutende russische Heermassen informierten, die dort zusammengezogen wurden.
|
||
3.2. Mögliche Gerüchte werden als Gefahr erkannt. Die Frage ist, wem wird in dieser Situation geglaubt. Lügner und Manipulatoren haben Vorteile.
|
||
Für aufwendige Suche nach der Wahrheit bleibt keine Zeit – s. den Wedeke-Skandal |
||
3.3: Man setzt Agenten/Spione ein, um sich ein Bild von den neu entstehenden politischen Vereinigungen zu machen und sie zu beeinflussen |
||
Sylvia Palatschek1 hat dies von Lucie Lenz2beschrieben, die im demokratischen Klub Berlins Reden hielt und aktiv war. In dieser Rolle erwähnt sie auch A. Wolff (Bd. 3, S. 125), allerdings ahnt er von ihrer entsprechenden Tätigkeit nichts. Doch erzählt er über eine Versammlung zur Vorbereitung einer geplanten Demonstration am Gründonnerstag 1848: „Eine Person aus der Versammlung wurde – vielleicht war's ein 'Mißverständnis' als Spion bezeichnet und hierauf friedlich - großmütig entlassen.“ (Bd. 2, S. 236)
|
||
4. Es existiert die Bereitschaft zu vernichten 4.1. den Feind |
||
Militär wird am 18./19. März und noch oft im Jahr 1848/49 eingesetzt. |
||
4.2. Das eigene Volk / die einem anvertrauten Menschen, |
||
- In seinem Brief aus Wien rät Radowitz, Berllin zu räumen (s. M. Kliem, S. 235f)
Friedrich Wilhelm IV. an seine Schwester, die Zarin von Russland am 22. Juni 1848: „Gegen die 1. Rebellion von Berlin oder vom Landtag schreite ich mit Waffen ein. Sollten sie nicht glücklich sein, so hoff' ich auf den Kaiser.“ - den Zaren! (ebd., S. 114) Denkschrift des Königs Friedrich Wilhelm IV. vom 15.09.1848: Falls sich die Preußische Nationalversammlung für permanent erklären sollte, wolle er 30.000 Mann um Berlin konzentrieren. „Die Benutzung des Sieges, er sei ein friedlicher (was Gott geben wolle!) oder ein blutiger.., ist die Hauptsache, die erste Pflicht des Königs und seiner Regierung.“ (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 177) |
||
4.3. Geheimverhandlungen und Hoffnung auf militärische Hilfe |
||
1848 durch den Zaren
Brief vom 22. Juni 1848 von Friedrich Wilhelm IV. an seine Schwester Charlotte, die Zarin: Er rechne im Falle eines Aufstandes in Berlin auf Hilfe des Zaren, falls die eigenen Kräfte nicht reichen (s.ebd., S. 425)
|
||
4.4. Akten und weitere Schriftstücke wie Briefe und Nachrichten aus dieser brisanten Zeit werden entweder sogleich nach Erhalt verbrannt oder in angeordneten größeren Aktionen |
||
M. Kliem in seinem Vorwort zu dem Fakt der Vernichtung von Akten und Briefen S. 6-9
Freiherr Senft von Pilsach an den König: „In der Sorge, dass meinem Königlichen Herrn aus Allerhöchstdessen freimütigen Äußerungen gegen mich Nachteile erwachsen könnten, habe ich in dem Jahr von 1848 viele Briefe S. M. verbrannt, und dementsprechend ist auch obgedachtes Handschreiben verstümmelt worden." (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 116, Freiherr Senft von Pilsach auf Gramenz (1795 – 1882), Vertrauter des Königs) Im Blick auf Briefe des Königs Friedrich Wilhelm IV. an seinen Schwager, den Zaren, vermutet der Herausgeber seiner Revolutionsbriefe Karl Haenchen, dass er sie absichtlich aus seiner Korrespondenz herausgenommen habe. (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 6) |
||
5. Es geht darum Zeit zu gewinnen, 5.1.: Was früher in Jahren nicht geschehen ist, das jetzt in Stunden und Tagen |
||
1848: A. Wolff Bd. 1, 1851, S. 113 über den 18. März 1848: die „gerade erfolgte Einberufung des Landtags war veraltet „während auf der anderen Seite die mit Sturmes Eile dahin laufenden Ereignisse des Tages – in jeden Tag drängten sich Wochen und Monate zusammen - zur Eile mahnten.“ A. Wolff zitiert „ein Blatt“ vom 21. März : „Von Minute zu Minute, kann man sagen, drängt sich ein bedeutungsvolles Ereignis auf das andere, so dass eins das kurz vorhergegangene bald vergessen macht. Alles ist jetzt hier bewundernswert und, wenn man offen gesteht, nur noch ein Nebelbild, dessen Verwirklichung eine ruhigere Zeit, als die gegenwärtige es ist, bedarf...'“ (ebd. Bd. 1, S. 345 zum 20. - 22. März) Eine geheime Note Friedrich Wilhelms vom 8. April an den dänischen König Friedrich VII. durch Major v. Wildenbach überbracht: Es sei mit dem Einsatz der preußischen Truppen gegen Dänemark nicht ernst, es gelte nur Zeit zu gewinnen und „Zeit gewonnen, alles gewonnen.“ ( M. Kliem, S. 415) Man war solidarisch mit anderen, denen es ebenso ging, tauschte sich aus, besuchte sich auch über Ländergrenzen und bisherige soziale Schranken hinweg.
|
||
5.2. Die Bereitschaft, mit der Zeit zu gehen
|
||
1848:. Hr. v. Canitz, im Vormärz Minister des Auswärtigen, zu den Konzessionen, die das Ministerium vorbereitet hatte, wegen der Revolution in Paris und in deutschen Ländern aber zurückgehalten hatte, weil man auf die aufgeregten Wogen nicht Reizmittel werfen wollte, hatte sie nun aber wieder aufgenommen, „weil man glaubte, es werde am Vorabend der Revolution durch Konzessionen gelingen, der Revolution zuvor und so formal um sie und um die unheilsschwangeren Folgen einer eigentlichen Umwälzung herum zu kommen.“ A. Wolff wendete ein, dass man nicht bedachte, dass neue Minister sie umzusetzen hätten, bei ihrem Amtsantritt aber selbst etwas eigenes Neues vorweisen müssten und darum über die gemachten Konzessionen notwendigerweise noch hinaus gehen müssten. Dadurch aber würde die revolutionäre Bewegung nicht gezügelt, sondern noch mehr angeheizt werden. (A. Wolff, Bd. 1 1851, S. 113f)
|
||
5.3. Weil so unheimlich viel mehr als in normalen Zeiten geschah, braucht man später viel Zeit, um festzuhalten und zu analysieren, was eigentlich und warum in diesen Tagen passierte.
|
||
Darum gibt es so viele Bücher und Beiträge über jene Tage, schon damals und bis heute.
|
||
6.. Es gilt den praktikablen Weg zu finden, die Herrschaft und Macht wieder zu sichern
6.1. Es kommt zu einem Machtkampf im Innern der Macht, um die Personen, die als Herrschende oder Mitarbeitende in ihren jeweiligen Positionen noch tragbar sind oder fallen gelassen werden „müssen“. Ein Schuldiger, ein „Sündenbock“ muss gefunden und der Öffentlichkeit im Rahmen eines inneren Reinigungsprozesses der Regierenden präsentiert werden. Das führt evtl. zum Verlust von Bündnispartnern.
|
||
Denkschrift des Königs Friedrich Wilhelm IV. vom 15.09.1848,: „Sobald uns Gott den Sieg im eigenen Hause gegeben haben wird, erlasse ich meine Ansprache 'an mein Volk' und die werd ich selber schreiben.“(Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 178) Die Anwesenheit des Hofpredigers F. Strauß beim König am 19. März 1848 wird später genutzt, ihm die Schuld für die als Schmach empfundene Niederlage und den Abzug des Militärs durch die „Schwachheit“ des Königs anzulasten. (K. Dang, Soz. Kampf..., 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) , S. 285, 288).
Es kam zur Diskussion um die Thronfolge: Vorschläge waren: Prinz Karl, dessen Sohn , der Prinz von Preußen Wilhelm - (M- Kliem, S. 277f - Wenn M. Kliem in diesem Zusammenhang die beiden Brüder Crelinger nennt, ist Vorsicht geboten, das Zitat der Prinzessin Augusta belegt dies nicht.) Austragung von Gegensätzen, die in der Zeit vor 1848 begründet lagen und die „Konterrevolution“ hemmten (M. Kliem: S. 84: S. 130ff): - Heftiger Streit um den Abzug der Truppen (vollständig oder nur teilweise) (ebd., S. 243) - zum Oberbefehl von Prittwirtz - wurde ihm offensichtlich am 20.3. wieder entzogen (ebd., S.306) - Prittwitz bemühte, sich temporärer Diktator zu werden (ebd., S. 309)
In einem Brief vom 27. März schreibt Ludwig von Gerlach aus Magdeburg an Hengstenberg: „ Ich behaupte mich in meinem Amte gegen Angriffe von unten und von oben, wo man vor dem Pöbel kriecht." (Brief von Ludwig von Gerlach an E.W. Hengstenberg, Nachlass Hengstenberg in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Nr. 158) |
||
6.2. Ebenso hart wird um die Mittel und Kommunikationsformen gerungen, die man anwenden muss, um die Herrschaft zu sichern, insbesondere um solche, die neu sind und von den Gegnern verwendet werden und die man vielleicht auch verwenden sollte, um erfolgreich zu sein.
|
||
1848: „Revolutionäre“, d.h. neue, von den Revolutionären verwendete Mittel, werden im Interesse der bisher Herrschenden zur Sicherung bzw. Wiedererlangung ihrer Herrschaft eingesetzt. ( M. Kliem S. 71) In seinem Brief an Ludolf Camphausen vom 30.4. 1849 wendet sich der König gegen dessen Rat „mich, wenn auch nur momentan, dem Götzen der Volkssouveränität (der zu Frankfurt angebetet wird) zu beugen?“ - Geschehe "das auch 10mal in der gewissen Hoffnung, den Götzen zu stürzen durch allmählichen und weisen Gebrauch der verliehenen Gewalt, - das bliebe immer Tatsache, ich hätte dem Abgott geräuchert,...“ (König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, hrsg. v. Erich Brandenburg, Berlin 1906, S. 200)
M. Kliem S. 222f zu Diskussionen um Einsatz von Militär bzw. die Leitung der Bewegung zur Einheit Deutschlands vor dem 18. März zu übernehmen.
Zum Umritt durch Berlin am 21. März mit der deutschen Fahne siehe M. Kliem, S. 278ff: Vater des Gedankens sei Fürst Lichnowsky am 20.3. gewesen. Zeitungen, Parteien, Vereine, Volksbewaffnung: Wen erreiche ich wie, um neue Bündnispartner für den Kampf zu gewinnen?
- zu Ludwig von Gerlach und seine Aufruf zur Gründung einer konservativen Partei siehe M. Kliem, S. 368) - Neue Presseorgane werden gegründet: Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung), Das neue Preußen, Deutsche Wehrzeitung, Neue Volkszeitung u.a. (ebd. S. 428)
|
||
7. Kräfte für den Kampf werden durch unerledigte, schwelende ältere Konflikte geraubt |
||
1848: Hierfür ist der Wedeke-Skandal ein Beispiel: Siehe die folgende Dokumentation!
|
||
8. Je nachdem, wie der Kampf ausgeht, muss nachträglich das Geschehene „korrigiert“ werden |
||
Die Schilderung der Ereignisse in der Tagebuchausgabe des Leopold von Gerlach: Ein Vergleich der drei vorhandenen Texte zeigt, dass sein Vorwurf gegen den König in der Druckausgabe fehlt, in einer handschriftlichen Abschrift steht er nur zur Hälfte, in der maschinenschriftlichen vollständig: „Das ist mit der schwerste Vorwurf gegen Seine Majestät, denn er war hier der Knecht, der seines Herrn Willen wusste und nicht tat und daher doppelter Streiche wert.“ (K.Dang: Soz. Kampf: Exkurs 2, Gerlach-Archiv Erlangen, Tagebuch Bd. 6, S. 15)
Möglicherweise zu diesem Zweck der Selbstrechtfertigung gegenüber Kritik ließ der Pfarrer Friedrich Wilhelm Krummacher 21 seiner Predigten, die meisten aus dem Zeitraum 1848/49 noch im selben Jahr drucken. (K.Dang, Soz. Kampf, 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) S. 270ff)
Ein Vergleich zum Tagebucheintrag von Varnhagen über den Hofprediger F. Strauß darüber, was dieser ihm am 18. März erzählte und dessen späterer eigener Schilderung in seiner Autobiographie Anfang der 60er Jahre belegt dies. ( bei K. Dang, Sozialer Kampf, 4.3.4.4. Die Revolution 1848/49 (Original) S. 286ff |
||
8.2. Es wird verleugnet, was man gesagt oder getan hat, man will es selbst nicht mehr wahrhaben |
||
1848/49:
Friedrich Wilhelm IV. spricht in seinem Brief vom 19.3.1849 an seine Schwester Charlotte, die Zarin von Russland, zum Jahrestag der Barrikadenkämpfe von einem „mir ewig unerklärlichen Fehler im Militärbefehl“, durch die die „Ehrlosigkeiten des vorigen Jahren“ vollendet wurden. (Karl Haenchen, Revolutionsbriefe 1848, S. 399)
Ludwig von Gerlach war sich Anfang April 1848 seiner nicht im Sinne des Königs erfolgenden konspirativen Tätigkeit bewusst. In seinen Briefen an seinen Bruder Leopold benutzt er für den König das Kürzel B, weil der König in seiner Familie „Butte“ genannt wurde, Auch gegenüber dem Prinzen von Preußen waren seine Urteile wechselhaft. Nach anfänglicher Begeisterung Ludwigs folgt dann Enttäuschung in einem Brief vom 12. Mai. Am 16.4.1848 schrieb Ludwig seinem Bruder Leopold „Hüte Dich vor Infektion, wenn Du B's Haus betrittst. Dies bekümmert mich sehr. Bedenke, dass Du und ich Könige sind.“ (Gerlach-Archiv Erlangen, Beilagen Bd. 18, S. 10) Leopold äußerte sich ähnlich distanziert, ab 18.4. dann milder, erst ab Mitte Mai wendete er sich gegen Abdankungsgedanken, erst Ende August 1848 kam es im Verhältnis zum König zu einer Wende. Grund war dessen selbständiger Abschluss des Waffenstillstands mit Dänemark. (K. Dang: Soz. Kampf.. Exkurs II.)
|
1 Manfred Kliem, Genesis der Führungskräfte der feudal-militaristischen Konterrevolution 1848 in Preußen. Berlin 1966. (Phil. Dissertation A. Humboldt-Universität Berlin 1966) s.: https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Kliem; Im Archiv der Humboldt-Universität liegt diese Arbeit in digitalisierter Form vor.