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„Das gibt`s doch nicht!“ - Erlebte Wunder

 

Daniel Kahnemann weist in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“1 darauf hin, dass seltene Ereignisse von uns Menschen in ihrer Wahrscheinlichkeit, sie zu erleben, wenn nicht übergewichtet, dann unter gewichtet würden. Das letztere betreffe z.B. starke Erdbeben und andere Umweltgefahren, die die gegenwärtige Generation noch nicht selbst erlebt hat. Aber auch selbst erlebte seltene Ereignisse würden unter Umständen unter gewichtet. Er fasst sein Kapitel zu „Entscheidungen auf der Basis globaler Eindrücke“ wie folgt zusammen: „...wenn keine Übergewichtung stattfindet, kommt es zur Vernachlässigung. Unser Gehirn ist nicht dafür ausgelegt, geringe Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen.“2

Als ich dies las, fiel mir ein, dass ich mich möglicherweise deshalb nur mit Mühe an viele der Wunder erinnern könne, die ich erlebt habe. Es gibt Ausnahmen: Sie waren so gravierend für mein Leben, dass ich jederzeit davon erzählen könnte. Aber das tue ich nicht, denn diese Erfahrungen sind für mich heilig und ich habe sie bisher nur in besonderen Situationen anderen anvertraut.

Oft aber handelt es sich um alltägliche Situationen wie um eine Bewahrung bei einer kritischen Situation im Verkehr. Es wäre beinahe ein Unfall geworden, aber der Herr hat mich bewahrt und ich danke ihm mit einem Stoßgebet. Aber spätestens am nächsten Tag ist die Situation vergessen, weil so viel anderes inzwischen passiert ist. Wenn ich mich dann doch wieder daran zu erinnern versuche, gelingt es mir nur schwer. So ist es auch mit vielen anderen Situationen. Ich wusste morgens oft nicht, wie ich meine Arbeit schaffen sollte, aber dann kam eine Absage. Etwas fiel aus und es war genug Zeit für das Nötige. Jede Woche habe ich das erlebt, aber wenn ich dies jetzt aufzählen wollte als Beweis dafür, dass ich Wunder erlebt habe, fiele mir erst einmal gar nichts ein oder nur mit größter Mühe einige wenige Ereignisse.

Doch bin ich im Laufe der Jahre im Blick auf meine anliegenden Verpflichtungen immer ruhiger geworden. Ich sprach von meiner „oberen Leitung“, die dies oder jenes wieder für mich geregelt hatte. Anders herum schickte sie mir auch neue Aufgaben vorbei, wenn ich gerade mal so viel Zeit hatte zu überlegen, was ich denn heute machen würde.

Wenn ich darüber nachdachte, warum ich mich an solche Ereignisse so schlecht erinnern könnte, dann stellte ich mir mein Gehirn wie ein Bord mit vielen Kleiderhaken vor. An jeden von ihnen wird eine bestimmte Sorte von Erinnerungen gehängt bzw. angeheftet. Die Erlebnisse, die man häufig hat, davon gibt es ganz viele Erinnerungszettel. Die hängen alle an demselben Haken, so dass er schnell in die Augen sticht. Für seltene und seltsame Ereignisse aber gibt es noch keinen solchen Haken. So hängen sie ganz allein irgendwo dazwischen und werden durch die Masse der anderen unsichtbar.

Da sie so selten sind, kommen ähnliche Situationen auch in Gesprächen mit anderen nicht vor, wodurch man an das selbst Erlebte erinnert würde. Solche Gespräche in Runden mit Freunden und Bekannten haben ja meist ihre Standardthemen wie Urlaubserlebnisse, das Wetter, Politik, die eigenen Kinder... Selbst erlebte Wunder sind selbst bei mir, einer Pastorin, kein solches Standardthema.

Doch zwei der von mir erlebten Wunder haben sich im Zusammenhang vieler weiterer Ereignisse in einer aufregenden Zeit ereignet, die ich nicht vergessen wollte, so dass ich sie zusammen mit all dem anderen damals Erlebten schon vor vielen Jahren aufgeschrieben habe.

Als ich nun 2018 kurz vor dem Ruhestand war und an all das dachte, was ich in den
26 Jahren hier in Berlin-Marzahn erlebt hatte, war so manches dabei, worüber ich gern noch mit bestimmten Menschen gesprochen hätte. Einfach um meinen Kopf wieder frei zu kriegen, überlegte ich es aufzuschreiben. Aber dann kam ich auf die Idee, nicht diese Konfliktgeschichten in ihrem Verlauf schriftlich festzuhalten, sondern die Wunder, die ich erlebt hatte, die mir die Kraft gegeben hatten, diese Jahre durchzuhalten, diese Wunder, diese überraschenden Erlebnisse, diese unerwarteten Wendungen in einer Geschichte, die mich immer wieder meine „obere Leitung“ spüren ließen.

So habe ich, als ich mal wieder nicht schlafen konnte, angefangen, eine Liste dieser Erlebnisse anzufertigen. Da ich einmal damit begonnen hatte, darüber nachzudenken, fielen mir immer mehr ein, so dass die Liste nun schon ganz schön lang geworden ist. Manches ist Teil einer langen Geschichte, die hier nicht in allen Teilen beschrieben werden kann, aber was so menschlich ist, dass man sicher ähnliches auch schon in anderer Literatur beschrieben findet. Andere Erlebnisse sind nur kurze Geschichten, die mir aber sehr hilfreich waren und deshalb im Gedächtnis geblieben sind.

Ich beginne mit Zeichen, die mir Mut gemacht haben, mich zum Lachen brachten, zum Staunen. Dann geht es um die Wahrheit, die ans Licht kam. Ich bin überzeugt: Sie kommt immer ans Licht. Es ist nur die Frage wann und wo. Schließlich folgen Erlebnisse im Zusammenhang mit einer bis dahin erfolglosen Arbeit und von jahrelangen Konflikten.

Es sind also keine Wunder, wie wir sie aus den Wundergeschichten der Bibel kennen, keine Heilungswunder, kein Aussetzen von Naturgesetzen, keine Siege eines Schwachen über einen sehr viel Stärkeren wie in der David-Goliath-Erzählung. Da meine Erlebnisse mit Menschen zu tun haben, die noch leben, habe ich mich entschlossen, ihnen einen Brief zu schreiben und das zu erzählen oder in Erinnerung zu rufen, was für mich ein Wunder war. Dieses Mittel erschien mir auch geeignet für jene, die nicht mehr unter uns sind, sozusagen als ein Brief an sie in die Ewigkeit.

Mit dem hier Beschriebenen möchte ich Gott, unserem himmlischen Vater die Ehre geben, mich zu ihm bekennen und ihm danken. Denn so viele Zufälle kann es gar nicht geben, wie ich sie erlebt habe bzw. die nötig gewesen wären, um all dies zu erleben. So bin ich jedes Mal in meiner Gewissheit, dass es ihn nicht nur gibt, sondern dass er auch heute noch wirkt, uns sieht und jeden Gedanken von uns kennt, bestärkt worden und möchte auch Euch Leser dazu anregen, in eurem eigenen Leben nach solch seltenen und seltsamen Ereignissen und Begegnungen Ausschau zu halten, die normaler Weise sehr schnell vergessen werden, eben weil sie so selten sind.

Ich bin mir bewusst, dass solche Texte auch etwas über mich erzählen und dass in jedem, der sie liest, ein bestimmtes Bild von mir entsteht, das auch von eigenen Vorerfahrungen geprägt sein wird, also unterschiedlich bei den Lesenden ausfallen wird. Auch wenn das, was hier aus meinem Leben berichtet wird, im Blick auf mich als Person sehr zufällig ist, wage ich es, dies hier auf meiner Webseite zu veröffentlichen. Allerdings noch nicht alles. Über manches möchte ich noch mit bestimmten Menschen reden und sie zumindest darüber vorher informieren.

Ermutigt bin ich durch die Losung des Tages meiner Geburt, die ich mir mal aus Herrnhut schicken ließ:

 

"Ich will immer harren und Deines (Gottes) Ruhmes mehr machen." (Ps. 71,14)

 

"Lasset euch in keinem Wege erschrecken von den Widersachern." (Phil. 1,26)

 

 

1 München 2012, Pantheon-Verlag 2014, S. 407-410

2 Ebd., S. 410