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Erschrocken bin ich, wieviel Zustimmung Thilo Sarrazin mit seinem Buch und seinen Thesen erhalten hat. Darum  möchte ich hier unten meine Erfahrungen beschreiben:
(In einem Interwiev  für das Projekt "Politische Laboratorien" der Universität Leipzig habe ich einiges davon auch mündlich geäußert.)
  • Wer Not und Armut in seiner Kindheit und Jugend erfahren hat, dessen Herz wird immer den Menschen gehören, die mit ihm zusammen dies durchlitten und einander in dieser Zeit beigestanden haben. Das sind in der Regel die Eltern, Verwandten, Geschwister. Der Wunsch ihnen zu helfen und ein besseres Leben zu ermöglichen, wird alles Denken und Handeln im Auswanderungsland bestimmen, egal aus welchem Grund man dort hingegangen ist.
    Gemeinsam durchlebte schwere Zeiten binden Menschen äußerst stark emotional aneinander. Wenn man selbst diese Zeiten hinter sich gelassen hat, möchte man es auch für die anderen und hat keine Ruhe, bis man alles Menschenmögliche getan hat, um den anderen auch ein besseres Leben zu ermöglichen.
    So hindert erfahrene Not, sich in innerer Freiheit auf eine andere Kultur und ein anderes Land einzustellen. All das interessiert nur soviel, wie es dazu dient, die innere Schuld abzutragen, die empfunden wird, weil es einem selbst besser geht, als den Menschen,  zu denen man eine enge Bindung hat.

  • Eine fremde Sprache lernen am ehesten Kinder bis zum Alter von 12 Jahren akzentfrei sprechen. Aber nicht jedes Kind verkraftet Zweisprachigkeit.
    Eltern begreifen den Umstand, ihr Kind mit zwei oder mehr Sprachen konfrontieren zu können, als eine Chance für deren künftige Entwicklung und Berufschancen. Sie erhalten aber keine fachliche Beratung, wie sie damit umgehen sollten, wenn ihr Kind mit der Mehrsprachigkeit nicht problemlos zurecht kommt. Ich habe jedenfalls darüber noch nie etwas zu lesen bekommen.
    Wichtig ist, dass in mehrsprachigem Umfeld bestimmte Bezugspersonen des Kindes mit ihm immer in derselben Sprache sprechen. Als unsere Kinder klein waren, wurde mir geraten, dass die Kinder erst einmal eine Sprache richtig lernen und dann mit der zweiten anfangen.
    Das hat nichts mit der Intelligenz der Kinder zu tun. Viele Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, verstehen zwar alles, aber fangen wesentlich später an zu sprechen und haben darum in ihren sozialen Kontakten Probleme. Auch lernen sie oft keine der beiden Sprachen so gut, wie Kinder, die nur eine Sprache sprechen. So sind sie dann anschließend "Sprachbehinderte" in beiden Völkern. Diese "Sprachkompetenzbehinderung" führt wiederum zu einer Verunsicherung im Sozialverhalten. Auch dies hat  wiederum nichts mit dem Bildungsstand der Eltern zu tun, sondern viel mehr damit, ob die Eltern das Problem ihres Kindes rechtzeitg erkennen, sich darauf einstellen und dem Kind die nötige Hilfe geben können, indem sie z.B. die eigenen Sprachgewohnheiten umstellen.

  • Ein Leben lang eine andere als die Muttersprache zu sprechen, ist anstrengend, selbst wenn man die Sprache aus Sicht des Einheimischen perfekt beherrscht. Auch das Zuhören ist anstrengender als in der Muttersprache, wenn es über viele Stunden nötig ist. Darum fängt man automatisch und sofort an  in der Muttersprache zu sprechen, wenn man einen "Landsmann" trifft.

  • Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass man aufgrund vieler Jahre im Ausland, die Sprache immer besser beherrsche. Dies passiert wohl nur dann, wenn man über viele Jahre keinerlei Gelegenheit hat, in seiner Muttersprache zu sprechen. Hat man aber die Möglichkeit dazu, wird man sie auch nutzen, weil es weniger Konzentrationskraft bedeutet. Je mehr Gelegenheit man aber hat, seine Muttersprache zu sprechen, um so mehr verlernt man wieder die Zweitsprache.

  • Die Errungenschaft des Satelitenfernsehens und des weltweiten Telefonierens zu bezahlbaren Preisen hat dazu geführt, dass Menschen im Ausland besonders dann, wenn sie sich erholen wollen, also abends, am Wochenende und zu Hause, ihre Muttersprache bei der Programmauswahl bevorzugen und per Telefon sehr viel häufiger als noch wenige Jahre vorher, mit Menschen in ihren Herkunftsländern reden.

  • Durch die heimischen Medien wird die Kultur der Heimatländer so erlebt, als wäre man "zu Hause". Zehntausende Kilometer an Entfernung sind im Nu verschwunden. Die Telefonverbindung ist oft besser, als innerhalb der eigenen Stadt. Man nimmt an allen Kleinigkeiten des Alltags in der Heimat Anteil, ist damit emotional beschäftigt und nicht mehr offen, für die unmittelbare Umgebung  und die Probleme z.B. der eigenen Kinder in der Schule. Denn das, was man von Verwandten und Freunden hört, bewegt oft viel mehr, als was sich in der unmittelbaren Nachbarschaft abspielt.

  • Da man bestens darüber informiert ist, wie es der Familie und Freunde im fernen Heimatland geht, ist man emotional ausgelastet und hat kaum noch zeitlichen Freiraum und innere Kraft, sich um Probleme der Nachbarn oder gar fremder Menschen in der weiteren Umgebung zu interessieren. Stattdessen sucht man Kontakt zu "Landsleuten", die in ähnlicher Weise mit Problemen in der fernen Heimat beschäftigt sind, um Erfahrungen auszutauschen und sich helfen zu können.

  • Wenn eine gewisse Anzahl von Menschen einer Sprache an einem Ort zusammenleben, bildet sich schon nach kurzer Zeit eine eigene Infrastruktur heraus, die es ermöglicht mit der eigenen Sprache mehr oder weniger alles, was man braucht, zu erledigen.
    So gibt bei uns in Marzahn russischsprachige Supermärkte, Läden, Ärzte, Bestatter, Kirchengemeinden, Vereine und vieles mehr -  für und von gebürtigen Deutschen -, die in ihrer Kindheit wegen der Diskriminierung als "deutsche Faschisten" sich gezwungen sahen, Russisch zu sprechen. Nun leben sie in Deutschland, aber sprechen untereinander weiter Russisch, denn es ist die Sprache ihrer Kindheit. Die russischsprachige Infrastrukur ist weitgehend da. So muss man nicht mehr Deutsch können und also lernen, um hier leben zu können.

  • Nicht jeder Erwachsene ist in der Lage eine andere Sprache zu erlernen. Auch dies hat nichts mit der Intelligenz und mit der Bildung zu tun. Ich habe eine ganze Reihe von Sprachen mehr oder weniger lange gelernt. Bei einigen hatte ich überhaupt keine Mühe, sie auch zu benutzen, bei anderen hatte ich enorme Probleme, sie zu verstehen und auch den Mut zu haben, sie zu sprechen.
    So kann ich relativ gut Französisch lesen, aber die Franzosen sprechen mir einfach viel zu schnell und ziehen die Wörter zu sehr zusammen. Auch ist es ein Unterschied mit wem man spricht. Als ich an der Uni versuchte einen Vietnamesisch-Kurs  zu machen, habe ich kaum etwas verstanden. Die Verständigung mit meinen vietnamesischen Verwandten dagegen  hat mich viel  weiter gebracht.
    Erwachsene haben oft Angst, sich zu blamieren, wenn sie Fehler machen, gerade auch dann, wenn sie gebildete Menschen sind und auch als solche gelten wollen.

  • Im Alter denkt man wieder mehr an die Jugend und Kindheit. So wird selbst für Menschen, die lange im Ausland gelebt haben und wenig Kontakt zur Heimat hatten, diese im Alter wieder wichtig, ebenso deren Kultur, Religion und vieles mehr. Was lange Jahre unwichtig oder gar vergessen war, ist plötzlich wieder da und erscheint als wichtig, auch nachkommenden Generationen vermittelt zu werden. Stark ist der Wunsch, wieder zurückzukehren an die Stätten seiner Kindheit, wenigstens noch einmal hinzufahren, wenn es auch nicht für immer ist. In der Regel wird man dann feststellen, dass es nicht mehr das Land ist, das man kannte und sich nun dort selbst fremd fühlen. Dagegen wird das "Ausland" nun als eigentliche Heimat erlebt, in die man gern zurückkehrt.

  • Bis auf die Auswirkungen von Satellitenfernsehen und Telefonieren sind diese Erfahrungen uralt und kann man sie auch schon in den zwei- bis dreitausend Jahren alten Schriften der Bibel nachlesen. Dazu demnächst mehr.