Predigt in der Dorfkirche Marzahn am 11. Februar 2024, dem Sonntag Estomihi über Amos 5,21-25:

 

Liebe Gemeinde,

die Worte, die uns heute als Predigttext vorgeschlagen sind, stammen aus einer Zeit vor ca. 2750 Jahren vom Propheten Amos. Er war der Erste der Propheten, der seine Worte wohl zumeist selbst aufgeschrieben hat, Worte im Namen Gottes. „So spricht der Herr“ - so beginnen seine Reden. Schon seit fast 200 Jahren war das ehemalige Königreich Davids und Salomos geteilt in ein Nordreich Israel und ein Südreich Juda mit der Hauptstadt Jerusalem. Nach dem Tode Salomos hatte sich der Norden selbständig gemacht. Hauptstadt wurde Samaria und damit die Leute nicht mehr zum Tempel nach Jerusalem pilgerten, hatte der neue König Jerobeam I. ( s. 1. Könige 12,26ff) zwei neue Heiligtümer errichten lassen, eins in Dan und eins in Bethel, wo geopfert wurde.

Immer wieder gab es Putsche gegen den gerade regierenden König. Doch in der Zeit des Amos herrschte Jerobeam II. von 781 bis 742 vor Christus 41 Jahre lang und das Reich gelangte zu Wohlstand. Das heißt nicht alle. Einige wurden reich und bauten sich Paläste, feierten Feste und auch schöne Gottesdienste im Heiligtum zu Bethel. Andere verloren alles, was sie hatten und wurden ihre Sklaven und Knechte. Die Schere zwischen arm und reich – würden wir heute sage – ging immer weiter auseinander.

Dagegen machte Amos seinen Mund auf. Ich lese einen kleinen Abschnitt seiner Rede aus Kapitel 5,21-25:

"Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie / und kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, / ich habe kein Gefallen an euren Gaben / und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! / Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, / die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Habt ihr vom Hause Israel mir in der Wüste die vierzig Jahre lang Schlachtopfer und Speisopfer geopfert?"1

Liebe Gemeinde, ist es nicht sehr zu verwundern, dass wir heute diese Worte hören, die so gar nicht zum Hohen Lied der Liebe aus dem 1. Korintherbrief2 des Apostels Paulus, das wir als Epistellesung hörten, zu passen scheinen. „Ich hasse“ - so beginnt ja das Wort des Amos hier.

1958 wurde dieses Wort im Rahmen der Auswahl der Texte unserer sechsjährigen Predigtreihe für unseren heutigen Sonntag ausgewählt.

Zun Evangelientext scheint er schon eher zu passen. Jesus kündigt an, nach Jerusalem zu gehen und dort getötet zu werden. „Das geschehe Dir gar nicht!“ , versucht Petrus ihn davon abzuhalten. Dass Jesus auch von seiner Auferweckung redet, scheint Petrus gar nicht mehr gehört zu haben.

Jesus fuhr ihn darauf hart an: „Geh weg von mir Satan /Versucher, denn Du sinnst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist.“ Und daraufhin rief er auf, ihm nachzufolgen: „Wenn jemand mit mir gehen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer seine Leben retten will, der wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten.“ (Mk 8,34f)

Amos überlebte seine Reden und das, obwohl er aus dem verfeindeten Nachbarland Juda stammte und sozusagen als Ausländer diese provozierenden Reden hielt. Er kündigte dem Haus des regierenden Königs den Untergang an – im Namen Gottes. Daraufhin zeigte der Priester des Heiligtums zu Bethel Amazja dem König an, dass Amos Aufruhr anstifte, riet dem Amos aber gleichzeitig, aus dem Land zu fliehen und wieder nach Hause zu gehen und verbot ihm in Bethel weiter zu prophezeien.

Daraufhin antwortete ihm Amos: „Ich bin kein Prophet und kein Prophetenjünger, sondern ein Viehhirte und züchte Maulbeerfeigen. Aber der HERR hat zu mir gesprochen: 'Geh hin und weissage wider mein Volk Israel.' Du verbietest mir wider Israel zu weissagen. Darum spricht der HERR also: 'Deine Frau wird zur Dirne in der Stadt, deine Söhne und Töchter fallen durch das Schwert, dein Land wird mit der Meßschnur verteilt, du aber wirst in unreinem Lande sterben und Israel muss in die Verbannung hinweg aus seinem Lande.'" (Kap.7,14-17)

Liebe Gemeinde, ist das nicht frech und unverschämt? Aber Amos hat das offensichtlich nicht mit dem Leben bezahlt, denn er konnte seine Worte noch aufschreiben und fand Leute, die sie in Ehren hielten, obwohl sich seine Prophezeiungen nicht erfüllten, jedenfalls nicht sofort – und gegenüber dem Priester Amazja vermutlich gar nicht, denn Israel und seine Hauptstadt Samaria wurden erst ca. 30 Jahre später von den Assyrern erobert und die Bewohner in die Verbannung geführt. Jerobeam II., der König war schon gestorben. Viermal war geputscht worden und insgesamt sechs Herrscher hatten meist nur für kurze Zeit auf dem Thron gesessen, so dass die 41 Jahre des Jerobeam II. , den Amos so angegriffen hatte, noch die beste Zeit für das Land gewesen sein mögen. Aber eben nicht für alle, nur für die Einen, die anderen verarmten und gerieten in Schuldknechtschaft und wurden in Rechtsfragen nicht gleichberechtigt behandelt.

Liebe Gemeinde, ich wundere mich über den Mut des Amos als jemand, der in dem Land nichts zu suchen hat und sich, wenn schon, dann um die Verhältnisse in seinem eigenen Land aufregen hätte können, der es wagt im Nachbarland so zu reden. Unglaublich, was der sich getraut hat, wenn man diese neun Kapitel des Buches Amos liest. Immer wieder greift er jene an, die in den Palästen wohnen und sich ein schönes Leben machen und klagt sie an wegen des Unrechts, das den Armen geschieht.

Damit war er nicht allein. Auch die Propheten Hosea, Micha, Obadja und Jesaja haben ähnlich in diesen Jahrzehnten geredet und sind uns auch in der Heiligen Schrift überliefert. Damit wurden sie Vorbild für viele Sozialkritiker und haben mir und vielen anderen in der Zeit des Sozialismus Sympathien geweckt für die kommunistische Kritik an den Kapitalisten und Kolonialherren. Die Reden des Amos inspirieren bis heute, sich für Gerechtigkeit und ein Lebensrecht in Würde für jeden Menschen einzusetzen.

Aber gesehen haben wir inzwischen auch, dass alle Versuche, eine bessere Gesellschaft aufzubauen, gescheitert sind bzw. zu scheitern drohen. „Das Recht ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach!“ - das erwartet Gott von uns Menschen. Und was erwartet er nicht? Unsere Feste, unsere Opfer, die wir ihm bringen, unsere Lieder, das Harfenspiel? Das alles brauche ich nicht, lässt er Amos sagen und er erinnert an die vierzig Jahre der Wüstenwanderung Israels, in denen er für das Volk sorgte, sodass das Volk nicht verhungerte.

Ja, aber wir – und offensichtlich die Menschen damals – brauchen diese Feste, diese Gemeinschaft, die Fröhlichkeit, den gemeinsamen Gesang, die Harfenmusik. Wir freuen uns, dass es Menschen gibt, die die Orgel spielen können. Das ist ja nicht selbstverständlich. Wir freuen uns, wenn hier ein Ort ist, an dem wir zur Ruhe kommen können, an dem wir gemeinsam singen können und an dem wir netten, freundlichen Menschen begegnen und hinterher auch bei einer Tasse Kaffee zusammensitzen können.

Können wir uns vorstellen, dass auch bei uns jemand so auftritt wie der Amos damals vor 2750 Jahren im Heiligtum zu Bethel? Wie gehen wir mit Kritikern um? Sehnen wir uns nicht alle nach Harmonie?

Liebe Gemeinde, vor 30 Jahren hatte ich auch schon einmal über diese Worte des Amos zu predigen: 1994. Damals hat mir die Ungleichheit in der Gemeinde sehr zu schaffen gemacht. Die, die Arbeit hatten, zogen ins Berliner Umland und bauten sich Häuser oder in bessere Stadtbezirke oder der Arbeit nach Richtung Westen. Und die anderen, die hier bleiben, hatten nur sehr wenig zum Leben und auch die, die neu dazukamen. Und wir Pastoren, wir bekamen zwar nur 80 % der Westgehälter, aber waren doch sehr gut gestellt und hatten eine sichere Stelle, waren nicht von Arbeitslosigkeit bedroht. In jenen Jahren haben etliche von uns Pfarrern sich dafür eingesetzt, dass wir weniger Geld verdienen und darum mehr Geld da wäre, um auch junge Leute in der Kirche anzustellen, also das vorhandene Geld gerechter zu verteilen. In meiner Predigt von 1994 habe ich von dem Brandenburger Pfarrer Andreas Kuhnert erzählt, der als Landtagsabgeordneter eine Antidiätenerhöhungsdebatte führte und sich dafür einsetzte, dass die evangelische Kirche nicht 14 Millionen DM vom Brandenburger Staat erhielt, sondern nur 4 Millionen, weil er dagegen war, dass 75 % Nichtkirchenmitglieder Kirche über ihre Steuern finanzieren. Das war damals in der Zeitung zu lesen.

Ich habe jetzt mal nachgelesen, was aus Andreas Kuhnert geworden ist. Er war bis zu seiner schweren Erkrankung im Brandenburger Landtag und ist inzwischen verstorben.

Liebe Gemeinde, es war eine Zeit, in der wir mit dem Geld knapp waren, aber ich bin dankbar dafür, dass wir diese Diskussionen damals hatten und 1997 auch auf der Landessynode durchsetzten, dass es möglich wurde, auf Gehalt zu verzichten. Vorher hieß es immer: Na, Ihr könnt ja spenden, wenn Ihr meint, zu viel zu haben. Aber davon bekam dann niemand von den Jüngeren oder Arbeitslosen eine Stelle.

Ja, und wie sieht es heute aus? Mehr als 20 „gute Jahre“ liegen hinter uns, in denen wir solche Diskussionen nicht mehr hatten. Heute haben wir das gegenteilige Problem: Händeringend werden überall Arbeitskräfte gesucht und selbst Berliner Gemeinden haben Mühe, Pfarrer für ihre offenen Stellen zu finden.

Das, was man mit der Technik und ihrer Rechenleistung kann, hat sich in Atem beraubender Schnelligkeit entwickelt. Die Prophezeiung von Gordon Moore von 1965 hat sich bisher bewahrheitet, dass sich die Rechenleistung der Computer alle 1,5 Jahre verdoppelt. So ist das Wort KI jetzt in aller Munde, - fasziniert, was man alles kann und künftig können wird, und andererseits, was das aus uns Menschen machen wird. Auf der einen Seite die Heilspropheten und auf der anderen Seite die Unheilspropheten wie Amos! Immer häufiger geht es dabei um die immer mehr wachsende Kluft zwischen Reichtum und Armut. Den Reichen ihren Reichtum wegzunehmen und zum Volkseigentum zu erklären, hat sich nach 40 bis 70 Jahren bekanntlich nicht als Lösung erwiesen. Darum könnte uns der Hinweis auf diese Probleme nerven. Wir möchten vielleicht lieber anderes kritisiert hören und am liebsten nur unser Leben genießen können? Die Welt ist so schön. Es gibt noch so viel zu sehen für uns. Haben wir nicht allen Grund dankbar zu sein? Da könnte uns so ein Kritiker und Protestler wie Amos nur stören.

Wir wissen alle, gerade wird viel demonstriert: die Bauern, Demos vor allem gegen den Einfluss der AfD, Montagsdemos, Friedendemos, Fridays for Future. Was wird alles kritisiert und angeklagt? Wo wollen die Protestler hin? Als Traditionalisten zurück in eine angeblich so schöne Vergangenheit oder als Realisten, die Probleme der Gegenwart anpacken, damit sie in Zukunft nicht zu groß sind für unsere Kinder und Enkel?

Die Weissagungen des Amos haben sich erst nach Jahrzehnten bewahrheitet. Er hat dies sicher nicht mehr erlebt, war aber so überzeugt davon, dass er dies alles nicht von sich selbst aus gesagt hat, sondern Gott ihn dazu bestimmt hatte. So hat er seine Worte aufgeschrieben zum Zeugnis dafür. Unzähligen Menschen in aller Welt haben sie seitdem geholfen, mutig das Unrecht anzusprechen, was Armen und Schwachen in ihrer Gesellschaft angetan wurde und wenn Priester und Pastoren dazu schwiegen.

Von einem anderen Propheten wird uns erzählt, dass er dem Ruf Gottes nicht folgen wollte, dass er aber am Ende Erfolg hatte und die Menschen ihr Leben änderten. Von Jona habe ich gerade ein Lied wiedergefunden, das wir in meiner Jugend geliebt und sehr oft von einer Kassette gehört haben. Das wollen wir jetzt singen: „Jona, Jona geh nach Ninive3:

 

Fürbittengebet:

 

Herr, Du liebst uns, jeden Einzelnen von uns, wer wir auch sind, und doch hasst Du so manches, was wir tun und zu verantworten haben als Einzelne und als Gemeinschaft.

Herr, öffne unsere Ohren für den Weg, den Du uns führen willst, unser Augen für das Leid und Unrecht, das es zu beheben gilt.

Jesus, durch Dich ist es uns möglich, ohne das Gesicht zu verlieren, Schuld zuzugeben, denn Du hast für unsere Schuld bezahlt mit Deinem eigenen Blut.

Herr, lass uns erkennen, an welcher Stelle wir anfangen müssen, unser Leben zu ändern, um es in Deinem Sinne zu führen.

Wir bitten Dich für die junge Generation, für unsere Kinder und Enkel, die erben werden, was wir hinterlassen.

Wir bitten Dich für die Verantwortlichen in der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien und der Rechtsprechung um Weisheit und Mut, das für richtig Erkannte auch durchzusetzen. Herr, lass uns offen sein für Neues. Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, aber das, was kommt, das beeinflussen auch wir.

Herr, Du hast schon zu Zeiten des Amos mit Krieg gedroht, wenn die Menschen so weiter machen und Du hast durch Amos die Gräuel des Krieges angeklagt. Bewahre uns davor, dass wir uns wieder an Krieg gewöhnen, und lass doch jene, die mit dem Feuer spielen und immer mächtiger werden wollen, zur Vernunft kommen!

Vater, immer wieder wissen wir nicht, wem wir glauben sollen. Stärke unseren Glauben, unser Vertrauen zu Dir, der Du Himmel und Erde gemacht hast, Zeit und Ewigkeit. Zeige uns, dass Du der HERR bist und niemand sonst.

 

Wir rufen zu Dir: Vater unser....

 

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1  Einheitsübersetzung 2016
2 1. Korinther 13,1-13
3  Jonalied (T. u.M von Eberhard Laue), aus: Gottes Fest Lieder junger Christen, EVA Berlin, 1983, Lizenz-Nr....


 

 

Predigt am 29. Oktober 2023 in der Kirchengemeinden zu Blumberg und Lindenberg über
1. Mose 13 und den Wochenspruch aus Römer 12,21

 

Predigt am 23. Juli 2023 in der Dorfkirche Marzahn und dem Evangelischen Gemeindezentrum Marzahn/Nord über Apostelgeschichte 2,41-47 und 4,32-35

 

Predigt in den Dorfkirchen von Blumberg und Lindenberg am 23. April 2023 über den 1. Petrusbrief 5,1-4:

 

Predigt am 16. April 2023 in der Dorfkirche Marzahn über 1. Mose 32,23-31

 

Predigt in der Gemeinde Berlin-Marzahn/Nord am 26. März 2023 über den Hebräerbrief 5, 7-10:

 

Predigt im Gesprächsgottesdienst in der Emmaus-Kirche1 Zehlendorf am 19. März 2023 über Lukas 24,17-27

 

Predigt am 19. Februar 2023 über in der Dorfkirche Marzahn und im Gemeindezentrum Marzahn/Nord über 1. Kor. 13 

 


 

Predigt über den Psalm 46 und das Lied Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“

am 30. Oktober 2022 im Gottesdienst zum Reformationsgedenken in Ahrensfelde und Eiche bei Berlin

 

Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis, dem 23. Oktober 2022 in der Dorfkirche Ahrensfelde über Markus 2,1-12


Predigt am 19. September in der Dorfkirche Ahrensfelde über Jesaja 12

 

Predigt am 29. Mai 2022 in der Dorfkirche Ahrensfelde über Römer 8,26-30

Predigt am 1. Mai 2022 in der Kirche zu Blumberg über Johannes 21,15-19

 


 

Predigt am 17.10.2021 in Ahrensfelde über Micha 6,8: Was ist gut? - Haben wir heute ein Problem damit?

 

Predigt am 10.10.2021 in Blumberg über den Jakobusbrief 5,13-16: Für Kranke beten und ihnen die Hände auflegen?

 

Predigt am 19. September 2021 in der Dorfkirche Ahrensfelde über 2. Timotheus 1,10b:

 

Predigt am 11. Juli 2021 in der Dorfkirche Ahrensfelde über Matthäus 28,16-20



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Die meisten der hier auf dieser Webseite veröffentlichten Predigten habei ich in der Kirchengemeinde Berlin-Marzahn/Nord gehalten.  Darum hier auch noch meine letzte Predigt dort:

 Predigt im Silvestergottesdienst 2018 zum Abschied von der Gemeinde Marzahn/Nord,

- da frei von mir gehalten, nun nachträglich noch mal so aufgeschrieben, wie ich es habe sagen wollen -

 

über Johannes 8,31-36:

Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten:Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“

 Da antworteten sie ihm: „Wir sind Abrahams Nachkommen und sind niemals jemandes Knecht gewesen.  Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden?“

 Jesus antwortete ihnen und sprach: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht aber bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“


Liebe Gemeinde,

schon dreimal hatte ich über diese Sätze hier Silvester zu predigen, über diese Worte, die so gar nicht zu einer Silvesterfeier zu passen scheinen. Heute am Ende meines Dienstes möchte ich darauf zurückblicken.
1994 war es das erste Mal. Ich habe über Freiheit nachgedacht. Unsere Kinder waren noch in der Grundschule und ich hatte die Erfahrung, wie es ist, Rechtschreibung zu üben. Es gibt Regeln, die man sich einprägen muss, man hat nicht die Freiheit, das einfach anders zu machen.Ein falsch geschriebenes Wort wird immer und immer wiederholt, bis es sich eingeprägt hat. So hieß es: „Übung macht den Meister.“ Dann aber passiert es beim Schreiben, dass man etwas, was bisher immer richtig war, auf einmal verkehrt geschrieben wird. Das sah ich als Bild, wie es uns im neuen Jahr möglicherweise ergehen wird: Wir nehmen uns vor, es nun besser und richtig zu machen, aber wir werden neue Fehler machen, die uns bisher nicht passiert sind. Regeln sind wichtig für das Miteinander, wenn wir gut miteinander auskommen wollen. Jesus ist ein geduldiger Lehrer, der uns, seinen Schülern, zutraut, sie zu lernen und dadurch frei zu sein und Mut zu haben, für die neue Übungsrunde, die das neue Jahr für uns bedeutet.

 Unsere für die Predigt vorgeschlagenen Texte wiederholen sich alle 6 Jahre. Im Jahr 2000 war ich aber nicht dran, den Gottesdienst zu halten, wohl aber 1999. An diesen Abend erinnere ich mich noch sehr gut. Von jungen Männern, die wir eine Zeit lang hier aufgenommen hatten, hatte ich schon ein paar Jahre vorher gehört, dass an diesem Abend in Rio de Janeiro die größte Silvesterparty der Welt stattfinden würde, um das Jahr 2000 zu begrüßen. Die katholische Kirche hatte ein Heiliges Jahr ausgerufen. So war ich auf die Idee gekommen, das Jahr hier in Marzahn in ökumenischer Gemeinschaft zu begehen. Wir haben das Fest Mariä Empfängnis gemeinsam in großer Runde in der katholischen Kirche im Gemeindesaal gefeiert. Beim gemeinsamen Johannisfeuer, der Feier des 2000. Geburtstages Johannes des Täufers in der Maratstraße, waren wir dann schon weniger. Für die Adventszeit hatten wir uns vorgenommen, wie in der Anfangszeit unserer Gemeinden uns gegenseitig in die Familien einzuladen. Ganze zwei Einladungen kamen zustande, die dann auch noch kurz vorher abgesagt wurden. Silvester wollten die meisten zur großen Feier am Brandenburger Tor. Mein Anliegen war, dass unser Gemeindezentrum an diesem Abend offen sei und Licht aus den Fenstern leuchte. Wir luden ein zu gemeinsamen Gebet und Gesang und waren ganze zwei hier: ich und ein Alkoholkranker, der an diesem Abend aber nüchtern war und die Orgel spielte, während ich hier vorn Kerzen anzündete und gebetet habe. Draußen war so ein Nebel, dass man die Hand kaum vor Augen sehen konnte. So konnte auch keiner, der eventuell doch hier vorbei gekommen ist, sehen, dass hier drinnen eine Andacht stattfand.

Nun, nach 18 Jahren naht sich bald das Jahr, in dem wir 2000 Jahre Gedenken an Jesu letztes Abendmahl , seine Kreuzigung, seine Auferstehung, Himmelfahrt und die Gründung der ersten Gemeinde zu Pfingsten gedenken können. Ob es im Jahr 2030, wie in unserem Kalender angenommen, oder im Jahr 2033 zu feiern ist, darüber diskutieren noch die Gelehrten. Ich denke, wir können angesichts der Größe dieses Ereignisses auch vier Jahre lang in ökumenischer Gemeinschaft feiern.

2006, als ich wieder über diese Worte Jesu im Joahnnesevangelium zu predigen hatte, begann ich mit dem Rückblick auf Heiligabend. Da waren so viele hier und mancher sagte: „Na, dann bis zum nächsten Jahr wieder am Heiligen Abend.“ Jesus aber geht es um das Bleiben. Er will uns nicht nur äußere, sondern auch innere Freiheit, ermöglichen, das heißt auch die Freiheit von Zukunftsangst. 2007 stand die Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent an. Das war mit Ängsten verbunden, ob dann die Preise auch entsprechend steigen würden und man demnächst noch das Nötige bezahlen könne.

Im Jahr 2012 habe ich die Predigtgedanken von 1994 noch mal aufgenommen und über das Lernen nachgedacht. Jesus möchte, dass wir zu unseren Fehlern stehen: „Ja, ich habe etwas falsch gemacht und nur ich bin dafür verantwortlich. Niemand anderes.“ Er möchte, dass wir die Wahrheit anerkennen und uns die Last der Schuld abnehmen. Er sagt: „Sonst bleibst du der Sünde Knecht.“ Damit möchte er Lust machen, nicht mehr Knecht zu sein, sondern Sohn. „Denn ein Sohn bleibt im Haus des Vaters.“

Und nun 2018? Im Sommer anlässlich der Zeitreise habe ich mit Fritz Müller über die Sünde und die Bedeutung des Todes Jesu disputiert. Er wollte heute eigentlich hier sein, aber ich sehe ihn jetzt nicht.1 Am nächsten Sonntag wird er im Gottesdienst anlässlich des Epiphaniasfestes sein und zu seiner Ausstellung hier etwas sagen, in der die drei Könige auf dem Weg zur Krippe im Mittelpunkt stehen.

Meine Überzeugung ist, dass es Regeln geben muss und sie klar und deutlich benannt werden müssen. Deshalb haben wir im Jahr 2010 auch unser Höflichkeitsprojekt begonnen, weil so einfache Regeln des Miteinanders, dass man sich grüßt, wenn man sich kennt und begegnet, nicht mehr selbstverständlich waren. Es sind Regeln, die wir als Kinder schon lernen und ohne die das Leben zur Hölle wird, wenn wir uns nicht danach richten. Doch wenn wir Erwachsenen es meinen, nicht mehr nötig zu haben, uns daran zu halten, woher sollen es die Kinder lernen?

Nun haben wir heute ja keinen Mangel an Regeln und Gesetzen. Kurz vor Weihnachten hatten wir hier im Haus auf einmal eine Hygieneinspektion und daraufhin ein Merkblatt von 3 Seiten eng beschrieben mit den Regeln bekommen, die es einzuhalten gilt. Es war so viel, dass ich bis heute nicht die Nerven hatte, mir das alles durchzulesen. Regeln sind wichtig, aber es kommt auch auf das Maß an. Zu viele kann man sich nicht merken. Da braucht man dann Spezialisten, die nichts anderes zu tun haben, als auf ihre Einhaltung zu achten. So gibt es ja auch für jeden Fachbereich Spezialisten. Dort, wo viele Menschen sind, ist die Einhaltung von Hygienevorschriften natürlich wichtig.

Gott aber hat uns nur wenige Grundregeln gegeben: die zehn Gebote. Jesus hat sie noch einmal zusammengefasst und auf drei reduziert: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und allen deinen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Gott zu lieben, den Nächsten zu lieben - und uns selbst lieben dürfen wir auch.

Dazu hat er uns die Vergebung ans Herz gelegt. „Wenn jemand dagegen verstößt, reicht es, dass ich ihm 7 mal vergebe?“ hatte Petrus Jesus gefragt und die Antwort bekommen: Nicht 7 mal, sondern 7 x 70 mal.“ Das heißt doch: immer.

Wir hören gleich den Solo-Gesang „Drei Könige wandern aus Morgenland, o wandere mit. Der Stern des Friedens erhelle dein Ziel, wenn Du suchst den Herrn – und fehlen Weihrauch, Myrrhe und Gold, schenke dein Herz dem Knäblein hold.“ 2 -
Wandere mit, der Stern des Friedens, der Stern der Gnade erhelle dein Ziel! – Wo von Gnade die Rede ist, da werden Regeln bestätigt. „Gnade vor Recht ergehen lassen“ ist ein Ausspruch, der das beschreibt. Regeln und Recht benötigen den Hinweis auf das, was folgt, wenn sie nicht eingehalten werden: eine Strafe / ein Nachteil, der motiviert, die Regeln ernst zu nehmen.

 

Gnade ist ein Erlass dieser Strafe, dieses Nachteils, von Seiten des unabhängigen Richters. Vergeben aber kann nur der Geschädigte, einmal der, dem dadurch ein Nachteil, ein Schmerz, ein Unheil zugefügt wurde und einmal der, der das Gesetz beschlossen und die Regel formuliert hat und darin nicht ernst genommen wurde, dessen Ansehen und Autorität also Schaden genommen hat.

So bitten wir Gott um Vergebung, wenn wir nun miteinander das Heilige Abendmahl feiern und hören, dass er unsere Regelverstöße nicht auf die leichte Schulter nimmt, nach dem Prinzip: „Ist schon gut, war nicht so schlimm, ist schon vergessen.“, sondern dass er es sich sehr viel hat kosten lassen: sein eigenes Leben, ja das Leben seines einzigen geliebten Kindes – und das ist noch viel mehr als das eigene Leben! Es ist die höchst denkbare Steigerungsform! Mit dieser bekräftigt er die Gültigkeit der Regeln, gegen die wir verstoßen haben.

Eins solche Gnade zu empfangen, wird unser Herz berühren und es öffnen für Jesus, dieses Kind, das „Knäblein hold“, diesen Mann aus Nazareth. Lasst uns ihm folgen. Amen.

1 Er war aber anwesend.

2 "Drei Könige wandern ins Morgenland" von Peter Cornelius