über Apostelgeschichte 2,41-47:
„Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel.
Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.“1
und Apostelgeschichte 4,32-35:
„Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.“2
Liebe Gemeinde,
ich bin sehr dankbar, dass für heute gerade dieser Predigttext vorgeschlagen ist und ich dadurch Anlass hatte, mich mit einer Frage zu beschäftigen, die mich schon seit meiner Jugend beschäftigt: Stammt die Idee des Kommunismus nicht hier aus der Apostelgeschichte? Für das Wort mag das stimmen, denn in beiden Abschnitten steht in der lateinischen Übersetzung „communia“ für „sie hatten alles gemeinsam. So wird es auch schon seit ihrer Gründung für Klöster verwendet. Wir sprechen von Kommunitäten. Und auch das Heilige Abendmahl wird „Communion“ genannt: Wir essen gemeinsam das Brot, wir teilen es . Und auch das Fest der ersten Teilhabe daran wird nicht erst heute Kommunion genannt.
Nun war mir bekannt, dass Wilhelm Weitling (1808-1871), ein Schneidergeselle aus Magdeburg, mit seinen Schriften ein maßgeblicher Vordenker und Gründer des Bundes der Gerechtigkeit3 war, der unter Mitwirkung von Marx und Engels 1847 in den Bund der Kommunisten umbenannt wurde. Ich bin bis vor kurzem davon ausgegangen, dass Wilhelm Weitling ein Christ war und diese Beschreibung aus der Apostelgeschichte nun endlich für die gesamte Menschheit verwirklichen wollte und dass erst durch Marx und Engels diese Bewegung zu einer atheistischen und kirchenfeindlichen wurde. Wobei auch diese beiden durch die biblische Sozialkritik geprägt waren. Beide Großväter von Marx waren Rabbiner und Engels Onkel war hier in Berlin Hofprediger und ein weiterer Onkel, bei dem er in seiner Jugend eine Zeitlang gelebt hat, ein sehr engagierter Pastor in Bremen. Engels stammt ja aus einer sehr frommen Familie und Gegend, aus Barmen, das heute zu Wuppertal gehört.
So habe ich bis zu dieser Woche angenommen, dass die Idee des Kommunismus christliche Wurzeln hat und sich darum auch in christlichen Ländern so ausgebreitet hat. Keine Antwort hatte ich allerdings auf die Frage, warum diese Idee in China, Korea, Vietnam, Laos und Kambodscha so Fuß fassen konnte, die vom Konfuzianismus, Taoismus und Buddhismus geprägt sind.
Nun haben wir ja heute das Internet und man findet dort viele der älteren Bücher im Originaltext. So habe ich mir Wilhelm Weitlings allererste Schrift von 1838/39 angesehen: „Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte“. Er beginnt sie mit einem Jesuszitat und zitiert dann auch immer wieder aus den Evangelien, auch die Apostelgeschichte, aber soweit ich gesehen habe, nicht unsere beiden Texte. Dafür weist er auf die auf Apostelgeschichte 4,32-37 folgende Geschichte von Ananias und Saphira hin und behauptet in seinem ersten Kapitel: „Die Bedingung der Aufnahme in das Christentum war der Verkauf der Güter des neu Aufzunehmenden und die Verteilung derselben unter die Armen. Die Übertreter dieses Gesetzes wurden schwer gestraft, und wir finden in der Bibel auf einen solchen Fall selbst die Todesstrafe.“4
Jeder, der diese Geschichte kennt oder sie liest, wird merken, dass dies nicht stimmt. Nicht deshalb, weil das Ehepaar einen Teil des für den Verkauf erhaltenen Geldes für sich behalten hatten, sterben sie, sondern weil sie Petrus, die Gemeinde und damit Gott belogen hatten, sie hätten alles Geld der Gemeinde gebracht. Vor Schreck, dass ihre Lüge von Petrus durchschaut wird, sterben sie! Nirgendwo steht, dass es in der ersten christlichen Gemeinde einen Zwang gab, alles zu verkaufen und es den Aposteln zu bringen.
So ist auch immer wieder die Geschichte von Jesu Begegnung mit dem reichen Jüngling verkürzt erzählt worden. Der reiche Mann fragte Jesus, was er tun müsse, um selig zu werden, das ewige Leben zu erlangen. Jesus verwies auf die Gebote: „Du sollst nicht töten..“ usw. Der junge Mann sagte „Das habe ich alles getan.“ Jesus sagt: „Willst du vollkommen sein, so verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben und komm und folge mir nach.“ „Da ging der junge Mann traurig hinweg“, heißt es weiter: „denn er hatte viele Güter“. Und da sagte Jesus den bekannten Satz: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt, als ein Reicher in den Himmel.“
Dann aber steht da weiter: „Als die Jünger das hörten, entsetzen sie sich sehr und sagten: 'Wer kann dann gerettet werden?' Jesus aber blickte sie an und sprach zu ihnen: 'Bei den Menschen ist dies unmöglich, bei Gott aber sind alle Dinge möglich.'“ (Matth.19,16-26)
Liebe Gemeinde, Wilhelm Weitling hat nicht nur die eben erwähnte Schrift über die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte verfasst, sondern auch „Das Evangelium des armen Sünders.“ Dies letztere ist zu DDR-Zeiten im Reclam-Verlag erschienen. Schon der Titel hat mich damals in der Annahme bestärkt, dass er als Christ geschrieben hat. Doch im Nachwort las ich vor einiger Zeit, dass Wilhelm Weitling diesen Titel und die Zitate aus der Bibel und Bezüge auf Jesus nur gewählt hatte, weil er davon ausging, dass in jedem deutschen Haushalt eine Bibel vorhanden war und er damit eine den Menschen vertraute Sprache benutzte und sich Erfolg für die Verbreitung seiner Ideen versprach.
Diese Ideen aber entsprachen wesentlich denen, die dann von Marx, Engels, Lenin und anderen verbreitet und mit ihren Schriften begründet wurden, so u.a.:
-
Schaffung von gemeinschaftlichem Eigentum (an Produktionsmitteln)
-
Verteilung der Güter nach den Bedürfnissen der Menschen (nach Plänen)
-
Schaffung einer Kampforganisation zur Durchsetzung dieses Ziels im Bewusstsein, dass der Kampf das Leben kosten könne, denn die Reichen würden ihren Besitz nicht freiwillig abgeben
-
Wenn dies weltweit geschafft sei, dann hätten wir das Paradies auf Erden.
Liebe Gemeinde, ich bin kein Spezialist in diesen Fragen und habe dies hier nur kurz angerissen. Auch viele andere, nicht nur die vier Genannten haben sich damals darüber Gedanken gemacht und dafür auch praktisch gekämpft und ihr Leben riskiert wie Friedrich Engels 1849 in Baden und der Pfalz und mussten dann emigrieren, weil sie wegen ihrer Taten und Schriften sonst verurteilt worden wären. Dass sie so viel für ihre Ideen riskiert haben, das hat mir und vielen anderen imponiert.
Wie ich aber jetzt die erste Schrift von Wilhelm Weitling gelesen habe, ist mir klar geworden, dass diese damals von frommen Menschen als reine Gotteslästerung empfunden werden musste, so wenn er mehrfach das Dreimal-Heilig über den Märtyrern des Kampfes für ein Paradies auf Erden ausrief. Er rechnete nicht mit dem Wirken Gottes. Er meinte, wir Menschen müssten die Sache selbst in die Hand nehmen und dann würde es uns gelingen, die Erde in ein Paradies zu verwandeln.
Nun, dieser Optimismus ist uns ja seitdem nicht mehr ganz abhanden gekommen, trotz all dem Schrecklichen, was seitdem in diesen ca.160 Jahren passiert ist. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass in diesen Jahren sich die Technik so entwickelt hat, das, was wir Menschen alles so können dank unserer Einsichten in Naturgesetze. Wir sagen dank unseres Wissens und Könnens. Und wenn wir das eine hinbekommen, meinen wir, auch das Andere noch mit der Zeit zu können und zu schaffen: Krankheiten zu besiegen, Wohlstand für alle... Frieden auf der Welt. Wenn wir es nur alles richtig machen, die richtigen Methoden verwenden und es uns gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, sich auch entsprechend zu verhalten.
Liebe Gemeinde, in meiner Jugend habe ich mich oft daran gestoßen, dass Jesus bei der Zusammenfassung der 10 Gebote die Liebe zu Gott so betont: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen und ganzer Seele und ganzem Gemüt und allen deinen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Lukas 10,27) Nächstenliebe wie mich selbst – ja, das hat mir eingeleuchtet, auch, dass wir Gott lieben, indem wir unseren Nächsten lieben, wie es die Version bei Matthäus nahelegt. Aber dann bleibt immer noch die Betonung Jesu auf der Gottesliebe. Ist das nicht egoistisch von Gott, habe ich mich gefragt, dass er meine Liebe so ganz haben möchte, mit Herz, Seele und meinem ganzen Denken und Sinnen?
Wenn ich mir heute wie in den letzten Tagen die Geschichte des Kommunismus vor Augen führe, dann weiß ich, dass dies wichtig ist: Gott ganz, mit allem, was ich bin, zu lieben und an die erste Stelle zu setzen.
Ich bin jetzt 67 Jahre. 33,5 Jahre hat die kommunistische Ideologie mein Leben bestimmt bis zum Jahreswechsel 1989/90. Da war sie dann bei den meisten um mich in der Uni herum verschwunden und der Kapitalismus und die westdeutsche Gesellschaft auf einmal modern und die Zukunft, das, was nun meine zweite Lebenshälfte bestimmt hat.
Inzwischen, nach über 30 Jahren ist das, was über rund 70 Jahre die Welt in Atem hielt für viele ferne Vergangenheit: dieser Versuch, in der ganzen Welt eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, um so den Kommunismus zu errmöglichen, eine klassenlose Gesellschaft. China, wo dieses Ziel immer noch zumindest als Ziel für das eigene Land besteht, will bis zum 100. Jubiläum der Revolution dieses Ziel 2049 erreichen. Das ist für viele von uns ja doch etwas fern, nicht ihre Wirtschaftskraft, aber diese Absicht.nicht attraktiv und ernst zu nehmen. Das sieht für uns doch mehr nach Staatskapitalismus heute aus als nach Sozialismus und künftigem Kommunismus.
Was aber als Erbe aus den 70 Jahren kommunistischer Propaganda geblieben ist, ist der Atheismus. Gott brauchen wir nicht. Den gibt es nur als Idee und auf die können wir verzichten, und wenn schon, dann ist Religion gleich Religion – uralt – sicher ganz interessant, aber wichtig ist es doch, sich auf die Zukunft einzustellen, was da auf uns zukommt, damit wir mithalten können mit den Anforderungen – technisch und auch sprachlich. Englisch muss man können, mit dem Handy umzugehen verstehen, mit dem Internet und nun mit der KI. Ja, und der Klimawandel! Da müssen wir was tun bzw. uns darauf einstellen... Aber Gott?
Ja, liebe Gemeinde, Gott hat einen Wilhelm Weitling, Karl Marx und Friedrich Engels machen lassen. Sie haben sich gestritten. Wilhelm Weitling ging dann in die USA. Die anderen beiden wurden bekanntlich die großen Führer der Bewegung. Seit 1917 hatte als Folge des 1. Weltkriegs die Revolution im Russischen Kaiserreich Erfolg, dann nochmals als Folge des 2. Weltkriegs auch bei uns hier zumindest im sowjetisch besetzen Teil Deutschlands und in den anderen östlichen Staaten dazwischen und daneben. Ein Drittel der Welt war sozialistisch, als auch China 1949 und dann auch Vietnam, Nordkorea, Kuba, Laos und Kambodscha dazu kamen. Ich erinnere mich an eine FDJ-Versammlung an der Humboldt-Universität im Audimax 1978, in der es hieß: Ein Drittel der Welt gehört uns schon und das andere kommt auch noch. 12 Jahre später war davon keine Rede mehr.
Können wir als Christen nun stolz sagen: Ja, aber uns als Christen gibt es immer noch – trotz aller Verfolgungen und Diskriminierungen in diesen Ländern – und weltweit mehr denn je? Ja, aber bei uns in Deutschland sieht es traurig aus, zumindest, was unsere traditionellen Kirchen und Gemeinden betrifft. Das wissen wir alle. Doch die Botschaft des Evangeliums wird weitergesagt, nur auf andere Weise. Das erleben wir auf unserem Pilgerweg zu allen christlichen Orten und Gemeinschaften in unserem Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf.5 Das Evangelium bestimmt weiter unser Leben, auch wen wir nicht sagen können, „dass der HERR täglich solche neu zu uns führt, die gerettet wurden.“ Aber wir wünschen es uns. Wir wünschen uns als Gemeinde ein Herz und eine Seele zu sein. Und wir loben Gott mit unseren Liedern und Gebeten, auch hier und heute. Wir hoffen auf ihn und versuchen, Jesus nachzufolgen. Amen.
Fürbittengebet
Herr, immer wieder war uns unser Verhältnis zu Dir weniger wichtig als das zu den Menschen um uns herum. Wir möchten in Frieden mit ihnen leben. Wir sehnen uns nach Frieden in der Welt und doch müssen wir klagen über den Krieg in der Ukraine nun schon bald 1,5 Jahre und eigentlich seit 9 Jahren, seit 2014.
Täglich hören wir von so viel Leid und auch von Protesten dagegen. Herr, hilf uns, auf Dich zu vertrauen und nicht auf die eigene Klugheit und Kraft. Bewahre uns davor, die Menschen, die Völker, die Politiker im Schwarz-Weiß-Schema in Gute und Böse, in Freund und Feind einzuteilen. Habe Dank, dass wir zu Dir kommen dürfen auch in unserer Schwachheit und beladen mit Schuld, niedergedrückt durch die Erkenntnis unserer Fehler und Irrtümer.
Herr, vor Dir zählt nur die Wahrheit. Du durchschaust jede Lüge, jede Heuchelei. Schenke uns den Mut zur Wahrheit, nach ihr zu fragen. Nimm uns die Angst vor Kritik. Mach uns offen für andere und neue Sichtweisen.
Wie wunderbar sind Deine Wege mit uns Menschen! Wie wunderbar ist Deine Schöpfung, auch noch immer so voller Rätsel für uns, voll von so vielem, was wir Menschen noch entdecken können!
Herr, wir bitten Dich heute vor allem für alle, die über unsere Gesellschaft, uns Menschen, über unser Leben, über Gerechtigkeit und Frieden sich Gedanken machen!
Herr, bewahre uns vor Hochmut, aber auch vor Angst, vor Stolz, vor Egoismus! Herr, so viel ist verkehrt in unserer Welt, in unserem Leben. Hilf uns mit Dir zu rechnen, von Dir zu reden, Dich zu bezeugen, Dich, der Du uns liebst – uns alle! So rufen wir zu Dir:
Vater unser...
1 Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
2 Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
3 Der Bund wird oft fälschlicherweise als „Bund der Gerechten“ bezeichnet.
4 https://www.marxists.org/deutsch/referenz/weitling/1838/mensch/index.htm – Zugriff am 29.07.2023
5 Sie die Berichte darüber auf der Webseite www.zusammenleben-berlin.de
*******
Predigt am 16. April 2023 in der Dorfkirche Marzahn über 1. Mose 32,23-31
Predigt in der Gemeinde Berlin-Marzahn/Nord am 26. März 2023 über den Hebräerbrief 5, 7-10:
Predigt im Gesprächsgottesdienst in der Emmaus-Kirche1 Zehlendorf am 19. März 2023 über Lukas 24,17-27
Predigt über den Psalm 46 und das Lied Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“
am 30. Oktober 2022 im Gottesdienst zum Reformationsgedenken in Ahrensfelde und Eiche bei Berlin
Predigt am 19. September in der Dorfkirche Ahrensfelde über Jesaja 12
Predigt am 29. Mai 2022 in der Dorfkirche Ahrensfelde über Römer 8,26-30
Predigt am 1. Mai 2022 in der Kirche zu Blumberg über Johannes 21,15-19
Predigt am 19. September 2021 in der Dorfkirche Ahrensfelde über 2. Timotheus 1,10b:
Predigt am 11. Juli 2021 in der Dorfkirche Ahrensfelde über Matthäus 28,16-20
*****************
Die meisten der hier auf dieser Webseite veröffentlichten Predigten habei ich in der Kirchengemeinde Berlin-Marzahn/Nord gehalten. Darum hier auch noch meine letzte Predigt dort:
Predigt im Silvestergottesdienst 2018 zum Abschied von der Gemeinde Marzahn/Nord,
- da frei von mir gehalten, nun nachträglich noch mal so aufgeschrieben, wie ich es habe sagen wollen -
über Johannes 8,31-36:
Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Da antworteten sie ihm: „Wir sind Abrahams Nachkommen und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden?“
Jesus antwortete ihnen und sprach: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht aber bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“
Liebe Gemeinde,
schon dreimal hatte ich über diese Sätze hier Silvester zu predigen, über diese Worte, die so gar nicht zu einer Silvesterfeier zu passen scheinen. Heute am Ende meines Dienstes möchte ich darauf zurückblicken.
1994 war es das erste Mal. Ich habe über Freiheit nachgedacht. Unsere Kinder waren noch in der Grundschule und ich hatte die Erfahrung, wie es ist, Rechtschreibung zu üben. Es gibt Regeln, die man sich einprägen muss, man hat nicht die Freiheit, das einfach anders zu machen.Ein falsch geschriebenes Wort wird immer und immer wiederholt, bis es sich eingeprägt hat. So hieß es: „Übung macht den Meister.“ Dann aber passiert es beim Schreiben, dass man etwas, was bisher immer richtig war, auf einmal verkehrt geschrieben wird. Das sah ich als Bild, wie es uns im neuen Jahr möglicherweise ergehen wird: Wir nehmen uns vor, es nun besser und richtig zu machen, aber wir werden neue Fehler machen, die uns bisher nicht passiert sind. Regeln sind wichtig für das Miteinander, wenn wir gut miteinander auskommen wollen. Jesus ist ein geduldiger Lehrer, der uns, seinen Schülern, zutraut, sie zu lernen und dadurch frei zu sein und Mut zu haben, für die neue Übungsrunde, die das neue Jahr für uns bedeutet.
Unsere für die Predigt vorgeschlagenen Texte wiederholen sich alle 6 Jahre. Im Jahr 2000 war ich aber nicht dran, den Gottesdienst zu halten, wohl aber 1999. An diesen Abend erinnere ich mich noch sehr gut. Von jungen Männern, die wir eine Zeit lang hier aufgenommen hatten, hatte ich schon ein paar Jahre vorher gehört, dass an diesem Abend in Rio de Janeiro die größte Silvesterparty der Welt stattfinden würde, um das Jahr 2000 zu begrüßen. Die katholische Kirche hatte ein Heiliges Jahr ausgerufen. So war ich auf die Idee gekommen, das Jahr hier in Marzahn in ökumenischer Gemeinschaft zu begehen. Wir haben das Fest Mariä Empfängnis gemeinsam in großer Runde in der katholischen Kirche im Gemeindesaal gefeiert. Beim gemeinsamen Johannisfeuer, der Feier des 2000. Geburtstages Johannes des Täufers in der Maratstraße, waren wir dann schon weniger. Für die Adventszeit hatten wir uns vorgenommen, wie in der Anfangszeit unserer Gemeinden uns gegenseitig in die Familien einzuladen. Ganze zwei Einladungen kamen zustande, die dann auch noch kurz vorher abgesagt wurden. Silvester wollten die meisten zur großen Feier am Brandenburger Tor. Mein Anliegen war, dass unser Gemeindezentrum an diesem Abend offen sei und Licht aus den Fenstern leuchte. Wir luden ein zu gemeinsamen Gebet und Gesang und waren ganze zwei hier: ich und ein Alkoholkranker, der an diesem Abend aber nüchtern war und die Orgel spielte, während ich hier vorn Kerzen anzündete und gebetet habe. Draußen war so ein Nebel, dass man die Hand kaum vor Augen sehen konnte. So konnte auch keiner, der eventuell doch hier vorbei gekommen ist, sehen, dass hier drinnen eine Andacht stattfand.
Nun, nach 18 Jahren naht sich bald das Jahr, in dem wir 2000 Jahre Gedenken an Jesu letztes Abendmahl , seine Kreuzigung, seine Auferstehung, Himmelfahrt und die Gründung der ersten Gemeinde zu Pfingsten gedenken können. Ob es im Jahr 2030, wie in unserem Kalender angenommen, oder im Jahr 2033 zu feiern ist, darüber diskutieren noch die Gelehrten. Ich denke, wir können angesichts der Größe dieses Ereignisses auch vier Jahre lang in ökumenischer Gemeinschaft feiern.
2006, als ich wieder über diese Worte Jesu im Joahnnesevangelium zu predigen hatte, begann ich mit dem Rückblick auf Heiligabend. Da waren so viele hier und mancher sagte: „Na, dann bis zum nächsten Jahr wieder am Heiligen Abend.“ Jesus aber geht es um das Bleiben. Er will uns nicht nur äußere, sondern auch innere Freiheit, ermöglichen, das heißt auch die Freiheit von Zukunftsangst. 2007 stand die Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent an. Das war mit Ängsten verbunden, ob dann die Preise auch entsprechend steigen würden und man demnächst noch das Nötige bezahlen könne.
Im Jahr 2012 habe ich die Predigtgedanken von 1994 noch mal aufgenommen und über das Lernen nachgedacht. Jesus möchte, dass wir zu unseren Fehlern stehen: „Ja, ich habe etwas falsch gemacht und nur ich bin dafür verantwortlich. Niemand anderes.“ Er möchte, dass wir die Wahrheit anerkennen und uns die Last der Schuld abnehmen. Er sagt: „Sonst bleibst du der Sünde Knecht.“ Damit möchte er Lust machen, nicht mehr Knecht zu sein, sondern Sohn. „Denn ein Sohn bleibt im Haus des Vaters.“
Und nun 2018? Im Sommer anlässlich der Zeitreise habe ich mit Fritz Müller über die Sünde und die Bedeutung des Todes Jesu disputiert. Er wollte heute eigentlich hier sein, aber ich sehe ihn jetzt nicht.1 Am nächsten Sonntag wird er im Gottesdienst anlässlich des Epiphaniasfestes sein und zu seiner Ausstellung hier etwas sagen, in der die drei Könige auf dem Weg zur Krippe im Mittelpunkt stehen.
Meine Überzeugung ist, dass es Regeln geben muss und sie klar und deutlich benannt werden müssen. Deshalb haben wir im Jahr 2010 auch unser Höflichkeitsprojekt begonnen, weil so einfache Regeln des Miteinanders, dass man sich grüßt, wenn man sich kennt und begegnet, nicht mehr selbstverständlich waren. Es sind Regeln, die wir als Kinder schon lernen und ohne die das Leben zur Hölle wird, wenn wir uns nicht danach richten. Doch wenn wir Erwachsenen es meinen, nicht mehr nötig zu haben, uns daran zu halten, woher sollen es die Kinder lernen?
Nun haben wir heute ja keinen Mangel an Regeln und Gesetzen. Kurz vor Weihnachten hatten wir hier im Haus auf einmal eine Hygieneinspektion und daraufhin ein Merkblatt von 3 Seiten eng beschrieben mit den Regeln bekommen, die es einzuhalten gilt. Es war so viel, dass ich bis heute nicht die Nerven hatte, mir das alles durchzulesen. Regeln sind wichtig, aber es kommt auch auf das Maß an. Zu viele kann man sich nicht merken. Da braucht man dann Spezialisten, die nichts anderes zu tun haben, als auf ihre Einhaltung zu achten. So gibt es ja auch für jeden Fachbereich Spezialisten. Dort, wo viele Menschen sind, ist die Einhaltung von Hygienevorschriften natürlich wichtig.
Gott aber hat uns nur wenige Grundregeln gegeben: die zehn Gebote. Jesus hat sie noch einmal zusammengefasst und auf drei reduziert: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und allen deinen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Gott zu lieben, den Nächsten zu lieben - und uns selbst lieben dürfen wir auch.
Dazu hat er uns die Vergebung ans Herz gelegt. „Wenn jemand dagegen verstößt, reicht es, dass ich ihm 7 mal vergebe?“ hatte Petrus Jesus gefragt und die Antwort bekommen: Nicht 7 mal, sondern 7 x 70 mal.“ Das heißt doch: immer.
Wir hören gleich den Solo-Gesang „Drei Könige wandern aus Morgenland, o wandere mit. Der Stern des Friedens erhelle dein Ziel, wenn Du suchst den Herrn – und fehlen Weihrauch, Myrrhe und Gold, schenke dein Herz dem Knäblein hold.“ 2 -
Wandere mit, der Stern des Friedens, der Stern der Gnade erhelle dein Ziel! – Wo von Gnade die Rede ist, da werden Regeln bestätigt. „Gnade vor Recht ergehen lassen“ ist ein Ausspruch, der das beschreibt. Regeln und Recht benötigen den Hinweis auf das, was folgt, wenn sie nicht eingehalten werden: eine Strafe / ein Nachteil, der motiviert, die Regeln ernst zu nehmen.
Gnade ist ein Erlass dieser Strafe, dieses Nachteils, von Seiten des unabhängigen Richters. Vergeben aber kann nur der Geschädigte, einmal der, dem dadurch ein Nachteil, ein Schmerz, ein Unheil zugefügt wurde und einmal der, der das Gesetz beschlossen und die Regel formuliert hat und darin nicht ernst genommen wurde, dessen Ansehen und Autorität also Schaden genommen hat.
So bitten wir Gott um Vergebung, wenn wir nun miteinander das Heilige Abendmahl feiern und hören, dass er unsere Regelverstöße nicht auf die leichte Schulter nimmt, nach dem Prinzip: „Ist schon gut, war nicht so schlimm, ist schon vergessen.“, sondern dass er es sich sehr viel hat kosten lassen: sein eigenes Leben, ja das Leben seines einzigen geliebten Kindes – und das ist noch viel mehr als das eigene Leben! Es ist die höchst denkbare Steigerungsform! Mit dieser bekräftigt er die Gültigkeit der Regeln, gegen die wir verstoßen haben.
Eins solche Gnade zu empfangen, wird unser Herz berühren und es öffnen für Jesus, dieses Kind, das „Knäblein hold“, diesen Mann aus Nazareth. Lasst uns ihm folgen. Amen.
1 Er war aber anwesend.
2 "Drei Könige wandern ins Morgenland" von Peter Cornelius