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Im Heft "Zu Hause sterben im Land Berlin© 2009",
hrsg. vom Projekt „ZusammenLEBEN“ mit seiner Arbeitsgruppe „LebensENDE“ der Evangelischen Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit Christoph Albrecht
habe ich folgenden Artikel über die Vorbereitung zum Sterben geschrieben:

In Würde sterben – selbstbestimmt leben bis zuletzt

Das Hauptproblem ist die Angst, die Angst vor dem Sterben und die Angst vor dem Zurückbleiben. Sie kann hindern, in Würde zu sterben, weil Notwendiges nicht rechtzeitig bedacht und getan wurde.


Ich kann mich auf ein Sterben in Würde vorbereiten, wenn ich das Zu-Ende-Gehen meines Lebens sowohl in meiner inneren Haltung zum Sterben als auch in einigen äußeren Maßnahmen gestalte.

  1. Ich nehme das Sterben als eine Tatsache in unserem Leben an.
  2. Ich beginne mit meinen Vorbereitungen nicht erst im hohen Alter oder wenn ich schwer erkrankt bin. Ich rechne mit der Möglichkeit, dass ich schleichend oder auch ganz plötzlich erkranken und dann daran gehindert sein kann, meinen Willen auszudrücken. Ich weiß, auch ich kann eine Demenz-Erkrankungen wie Alzheimer oder einen plötzlichen Schlaganfall, der zu einem Sprachausfall führen kann, bekommen.
  3. Ich spreche mit meinen Angehörigen über meine Wünsche und halte sie schriftlich fest.
  4. Ich informiere mich über die rechtlichen Grundlagen und die übliche Praxis der medizinischen Versorgung, des Betreuungsrechts, der Beerdigung und der Erbfragen.
  5. Ich ordne meine Verhältnisse und Beziehungen zu meinen Mitmenschen.
  6. Ich ordne meine Papiere und meinen Haushalt.
In den Tagen und Stunden vor dem Sterben heißt es für mich und die anderen Abschied nehmen:
- sich die Hand reichen, miteinander sprechen, einander Mut und Zuversicht ausdrücken, einander segnen, „Auf Wiedersehen“ sagen, einander zuwinken, dableiben, den anderen begleiten wie beim Abschied auf dem Bahnhof, sich Zeit nehmen, denn viele gemeinsame Jahre werden zu einem Abschluss gebracht.

Loslassen – das ist das Schwerste!
Wir sollten aber auch an die Konflikte denken:
Was habe ich für mich geklärt, wo andere für sich vielleicht noch nicht im Reinen sind?

Wo waren Wendepunkte, entschiedene Einschnitte in meinem Leben? Sie könnten sich in dieser sensiblen Zeit wieder „bemerkbar“ machen, bei mir oder bei den anderen.

Ältere Menschen leben mehr in der Vergangenheit. So wird wieder lebendig, was lange vergessen schien. Welche Konflikte könnten aufbrechen, wenn ich die anderen für immer verlassen muss? Wie kann ich hier helfend vorbeugen, klären und zu einem Abschluss bringen?

Welche Probleme muss ich selbst für mich noch lösen? Wenn ich mein eigenes Herz befrage, welche Bitterkeit, welchen Hass, welchen Ärger gibt es darin? Um in Frieden gehen zu können, ist es nötig, dass ich davon frei werde.
Andernfalls könnte mir ein langes, schwieriges Sterben in Aussicht stehen.
Was muss ich organisieren, damit die in der Regel auftretenden Komplikationen für mich und meine Angehörigen nicht auftreten?
Auch praktische Fragen müssen bedacht werden:
Wer wird die Versorgung hilfsbedürftiger Angehöriger übernehmen? Wer wird sich um den Briefkasten, die Blumen, Tiere im Haushalt kümmern, falls ich plötzlich einmal nicht mehr da sein werde?

Welche Funktion hatte ich bisher für meine Angehörigen? Wer wird diese Funktion übernehmen? Welche Funktion und Aufgaben habe ich in anderen Gruppen? Wer wäre fähig und bereit, meine Nachfolge zu übernehmen. Welche Informationen und Vollmachten braucht mein Nachfolger, um diese Funktion ausführen zu können?

Im Falle einer Pflegebedürftigkeit:
Wer kann diese körperlich und psychisch schwere Arbeit leisten? Ist dies zu Hause möglich? Welche technischen Schwierigkeiten könnte es im Ernstfall geben (Stufen, Treppen, Bad, Türen, Bett.) Ist ein Wohnungswechsel geboten? Sind technische Umbauten erforderlich?

Ist die ärztliche Versorgung sichergestellt? Wer kommt im Notfall? Was kann der Hausarzt zusagen? Die Notrufnummern 110 oder 112 zu wählen bedeutet, eine Lebensrettungsmaschinerie in Gang zu setzen, die nicht mehr gestoppt werden kann. So wird das Sterben womöglich qualvoll in die Länge gezogen.
Wie können unnötige Aufenthaltswechsel vermieden werden?
Transporte sind körperlich und seelisch äußerst anstrengend für einen alten oder kranken Menschen, erst recht für einen Sterbenden. Das Sprichwort sagt: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“. Heute geschieht das in der Regel aber sehr oft. Häufig wird zwischen Krankenhaus und dem eigenen Heim nur noch gependelt. Wenn ich dies nicht will, sollte ich meinen Willen möglichst klar und eindeutig äußern. In einer Patientenverfügung kann ich festhalten, welche medizinischen Behandlungen ich akzeptieren würde und welche ich ablehne.

Einen Hinweis auf die vorhandene Patientenverfügung sollte man immer bei sich haben. Für die Angehörigen muss sie leicht auffindbar sein, wie alle wichtigen Papiere.
Wie kann ich unnötige und möglicherweise quälende und den Sterbeprozess in die Länge ziehende Maßnahmen verhindern?
Ich sollte mich informieren über die Behandlungsmethoden häufig auftretender Krankheiten mit Todesfolge (Lungenentzündung, Schlaganfall, Herzinfarkt, Krebs...) und auch über den möglichen Verlauf meiner eigenen chronischen Krankheiten und ihrer Behandlungsmethoden. Ich frage nach möglichen Komplikationen und Folgen von Operationen, Untersuchungen und anderer medizinischer Maßnahmen für den irgendwann eintretenden Sterbeprozess (Herzschrittmacher, Magensonde...).

Ich darf mich weigern zu essen und zu trinken und Medikamente einzunehmen, wenn dies für mich nur noch eine Qual ist. Sterben ist von Natur aus ein Austrocknungsprozess, der keine Schmerzen bedeutet.
Wie kann vermieden werden, dass bei einem plötzlichen oder auch gewünschten Sterben zu Hause die Polizei, Kriminalpolizei und die Gerichtsmedizin eingeschaltet wird?
Zuallererst gilt es, die Ruhe zu bewahren und den Hausarzt zu informieren. Deshalb sollte vorher mit ihm gesprochen werden, wie er erreichbar ist. Falls er nicht jederzeit innerhalb von 24 Stunden kommen kann und sich das Sterben über längere Zeit anbahnt, sollte dies vom Hausarzt und den Pflegenden dokumentiert und dem herbeigerufenen Bereitschaftsarzt vorgelegt werden.
Wie können psychische Probleme im Trauerprozess vermieden werden?
Es reicht oft nicht, sich ein Foto vom Verstorbenen zu Hause aufzustellen. Der Tod muss „begriffen“ werden können. Dabei hilft das Abschied nehmen am Bett des Verstorbenen oder auch am offenen Sarg vor der Bestattung.

So kann auch kontrolliert werden, ob der Tote wirklich so bestattet wird, wie es vereinbart war. Insbesondere bei Feuerbestattungen ist dies wichtig.

Eine Erdbestattung ist für die Trauerbewältigung der Angehörigen hilfreicher als eine Urnenfeier.
Wie können unnötige Kosten bei der Bestattung eingespart werden?
Wichtig ist es zu wissen, dass sofern Angehörige vorhanden sind, jeder Mensch das Recht hat, würdig bestattet zu werden, und auch eine Erdbestattung einfordern kann. Zu empfehlen ist es wie bei jedem anderen Kauf, die Preise zu vergleichen und sich drei Kostenvoranschläge einzuholen. Nehmen sie nicht den erstbesten Bestatter!

Der Verstorbene darf bis zu 36 Stunden zu Hause bleiben!

Sie haben also genügend Zeit, um dies zu klären.

Eine christliche Bestattung mit einem Pfarrer/einer Pfarrerin kann jedes Gemeindeglied einfordern. Voraussetzung dafür ist, dass der/die Verstorbene Mitglied der Kirche war oder seine Angehörigen es sind. Diese Begleitung ist kostenlos.
Wie kann die Haushaltsauflösung und die Verteilung des Erbes gut vorbereitet werden?
Angehörige treten das Erbe an, wenn sie die Wohnung des Verstorbenen betreten. Sie haben sechs Wochen Zeit, das Erbe auszuschlagen. Kosten der Wohnungsauflösung und eventuell vorhandene Schulden müssen berücksichtigt werden.

Ein Testament verhindert immer noch am besten Nachlass-Streitigkeiten unter den Angehörigen. Es tut ihnen gut zu wissen, dass ich auch in dieser Hinsicht an sie gedacht habe, selbst wenn es nur Kleinigkeiten oder bestimmte Andenken sind, die ich ihnen auf diese Weise übereigne.

Es ist zu bedenken, dass ein gerichtlich beauftragter Betreuer mit der Sterbestunde sämtliche Vollmachten verliert. Sind keine Angehörigen da, tritt erst nach Wochen das Nachlassgericht in Funktion und regelt den Nachlass mittels eines gerichtlich eingesetzten Nachlassverwalters.
Wie können aggressive Ausbrüche und Schuldzuweisungen unter den Angehörigen vermieden werden?
Wenn das Sterben eines Menschen innerlich noch nicht akzeptiert werden konnte, sind ganz unvermutete und kränkende Verhaltensweisen von Angehörigen nicht selten. Der Sterbende kann dies verhindern, wenn er die Angehörigen ermahnt und als seinen letzten Willen bittet, sich umeinander zu kümmern und Frieden zu halten. Dabei kann helfen, wenn er mit jedem zum Abschied noch einmal offen über dessen Schwächen und seinen Charakter redet, aber auch gute Wünsche für das weitere Leben ausspricht. Nicht vergessen werden sollte der Dank. Letzte Worte haben ein ganz besonderes Gewicht. Darum sollte ich sie mir gut überlegen.

Es ist eine Möglichkeit, einander das zu sagen, was man schon immer sagen wollte, sich aber vielleicht nicht getraut hat. Die Hoffnung auf ein künftiges Wiedersehen ist keine Vertröstung.

Voraussetzung für ein Abschiednehmen ist Ruhe. Wir sollten einander die Chance geben, allein mit dem Sterbenden zu sprechen. Das erfordert Absprachen unter den Besuchern.
Wie kann man das Sterben eines Menschen würdig begleiten?
Die Körperpflege, Essen und Trinken sollten auf das vom sterbenden Menschen gewünschte Maß reduziert werden, so wie alles, was Unruhe bedeutet.

Singen verkürzt nicht nur die Zeit des stillen Wartens am Bett, es wird vom Sterbenden selbst dann wahrgenommen, wenn er kaum noch Reaktionen zeigt. Viele alte Kirchenlieder haben aus diesem Grunde so viele Verse. Ihre letzten Strophen handeln meist vom ewigen Leben. Singen erreicht die Seele, kann Kindheits-Erinnerungen wachrufen und einstimmen auf den Gesang der „Engel“, den der Sterbende erfahrungsgemäß bald vernehmen wird.<

Hilfe ermöglichen ambulante und ehrenamtliche Hospiz-Dienste. Verwandte und Freunde sind zu informieren, um jedem die Möglichkeit zum Abschied zu geben, auch dann, wenn lange kein Kontakt mehr bestand. Vielleicht wartet der Sterbende gerade auf diesen Menschen? Das ist zu klären. Besteht der Wunsch, das Heilige Abendmahl zu feiern, dann ist ein Pfarrer/eine Pfarrerin zu rufen. Ist es der Wunsch nach der letzten Ölung vorhanden, dann muss ein katholischer Priester informiert werden. Auch sonst kann jederzeit die Hilfe eines Seelsorgers in Anspruch genommen werden. Angehörige können sich Rat bei der Telefonseelsorge holen.

Niemand weiß, wie lange das Sterben dauern wird. So ist es gut, sich auf eine längere Zeit der Begleitung einzustellen und mit den eigenen Kräften und denen seiner Angehörigen hauszuhalten. Ob der Sterbende allein oder in Anwesenheit seiner Angehörigen stirbt, sagt nichts über ihr Verhältnis aus. Angehörige wünschen oft, im Augenblick des Sterbens, also beim letzten Atemzug dabei sein zu dürfen. Der Sterbende selbst aber fühlt sich vielleicht gar nicht allein, sondern sich auf dem Weg in die andere Welt begleitet. Es erscheinen ihm schon verstorbene Angehörige, Engel oder gar Jesus selbst. Er redet mit ihnen oder wie Fachleute sagen: „Er himmelt“. Niemand sollte sich Vorwürfe machen, wenn er trotz treuer Pflege im Moment des Sterbens gerade nicht anwesend sein konnte.

Eine heilige Atmosphäre umgibt den gerade Verstorbenen. Sie auszuhalten ist nicht für jeden Menschen einfach. Es hilft, das Fenster zu öffnen, eine Kerze anzuzünden, den Verstorbenen würdig zu betten, seine Hände zu falten und für ihn zu beten.

Katharina Dang



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