Am 31. Oktober 2017 waren es 500 Jahre her, dass Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug.

2007 begann die Dekade der Vorbereitung auf dieses Fest mit einem jährlichen Themanjahr.

2006 gab die EKD mit der Programmschrift "Kirche der Freiheit" das Signal für den Rückbau unserer evangelischen Kirche in Deutschland, wie der Prozess von Thies Gundlach, dem maßgeblichen Verfasser dieser Zukunftssicht von Kirche, heute bezeichnet wird.

<-  Links finden Sie Kritisches zu dem inzwischen schon weit gediehenen Prozess. Vor allem stelle ich die allgemein vorausgesetzten Behauptungen infrage: das demographische Problem, die angeblich abnehmenden Finanzmittel der Kirchen, die Alternativlosigkeit des bisherigen Weges...

Hier im folgenden mache ich Sie mit anderen Sichtweisen der Probleme bekannt, auf die ich aufmerksam gemacht wurde und die mich überzeugt haben, weil sie dem Weg Jesu entsprechen.

 

Zuerst lesen Sie hier meine Schlussfolgerungen
aus den Vorträgen und Diskussionen des

 

Internationales Symposiums

"Mittendrin! Kirche in peripheren, ländlichen Regionen"

Greifswald vom  23.-25. Mai 2013,

 

anschließend folgen meine Mitschriften von den Vorträgen.

 

Zuerst der Blick nach draußen: Wie geht es den Menschen?

 

- Interessant war für mich als Ossi das Erzählen des Geographs Gerhard Henkel über die Entwickung des Dorfes im Westen Deutschlands, wie ähnlich war doch die Entwicklung trotz der so unterschiedlichen Gesellschaftssyteme.

- Wenn so viele Dörfer heute beim Aussterben sind, dann ist es nicht verunderlich, dass auch Kirchengemeinden sterben. Dann brauchen sie Sterbebegleitung und würdige Beerdigungen durch die Nachbarn, auf keinen Fall aber die Frage: Was habt ihr falsch gemacht, wie könnte man es besser machen, um doch noch Menschen zu erreichen.

- Das Gemeinden kleiner werden und geworden sind, sagt nichts über ihre geistliche Vitalität aus. Das zeigten die Beispiele von alten Frauen, für die sich der Gottesdienst nicht mehr „lohnt“ und die dann anfangen gemeinsam zu beten bzw. zu sehen, wo sie jemandem helfen können und wie daraus wieder neu Gemeinde wächst, ebenso wie die Beispiele von kreativen Nutzungen von Kirchen oder der Übernahme einer Tankstelle oder der Post durch die Gemeinde.

 

 

Welches Bild von Gemeinde und den Haupt- und Ehrenamtlichen tragen wir/ ich in uns/mir? Muss ich davon Abschied nehmen, es korrigieren?

 

 

- Wie geht es den Ehrenamtlichen bei uns und in anderen Bereichen der Gesellschaft?

 

Wichtig ist es, die Auswertung der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen, den Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009 !

 

Was bedeutet ehrenamtliche Arbeit heute und hier in der Gesellschaft für den Einzelnen?

- Kennen wir die Charismen unserer Gemeindeglieder und Gemeinden? Nutzen wir sie, um unsere Pläne zu verwirklichen oder achten wir darauf, dass sie sich entfalten können zum Nutzen aller?

 

- Wichtig ist, dass wir uns freimachen von dem Fragen nach der bloßen Zahl von Gemeindegliedern bzw. nach dem zur Verfügung stehenden Geld.

 

- Die Mangelbeschreibung – fehlendes Geld, fehlende Hauptamtliche, fehlende Gemeindeglieder - darf darum für uns kein Argument mehr sein für Strukturveränderungen, sprich Zusammenlegungen von Gemeinden bzw. Kirchenkreisen.

 

- Reden wir unsere Krise nicht selbst herbei? Ist es nicht eigentlich eine Glaubenskrise? Jesus hat vorwiegend auf dem Lande gewirkt, in der hintersten Provinz, in Galiläa! Dort berief er seine Jünger.

 

- Trauen wir Gottes Geist etwas zu? Haben wir den Mut zum Risiko und zu eigener Kreativität auch Ungewohntes zu versuchen, nicht Perfektes zu leisten, unbekannte Wege zu betreten? Nehmen wir Abschied von dem Wunsch nach Überschaubarkeit unseres Gebietes, unserer Aufgaben... ? Das Bild vom Befehlshaber (R. Bucher - s.u.), der Überschaubarkeit benötigt, sollte uns zu Denken geben. Es ist ein Abschied auch von der Kontrolle des uns Anvertrauten und ein Zulassen von Freiheit, damit etwas wachsen kann.

 

Stehen wir den Menschen die Freiheit zu, die sie so wieso haben oder hängen wir den alten Bildern von einer Amtskirche immer noch an? Kann das Bild eines Krankenhausseelsorgers vor der Tür eines Patientenzimmers uns dienen, die Situation auszuhalten, dass ich nie weiß, ob ich abgewiesen werde oder meine Botschaft willkommen ist, aber trotzdem immer wieder anklopfe?

 

Wie können wir den Konsumismus der Menschen als ihre Hauptreligion heute konvertieren, sie auf ihre wirklichen Sehnsüchte ansprechen und ihnen das näher bringen, was sie wirklich brauchen? Wichtig ist vor allem unsere eigene Glaubwürdigkeit, als Person, als Gemeinde und Kirche? Wie halten wir es mit dem Konsum?

 

Das Bedürfnis, als Christen miteinander die Freizeit zu teilen, entstanden im 19. Jahrhundert, hat zur Entstehung der „Kerngemeinde“ geführt. Sie kritisch zu sehen, war mir neu, ebenso die Nichtchristen vor Ort mit in das theologische Nachdenken über Gemeinde als dritten Kreis miteinzubeziehen und die vielen dazwischen, unsere „Karteileichen“, die Namenschristen, so positiv einzuschätzen, wie es Albert Rouet tat. Gerade sie als Bindeglieder zwischen dem ersten und dritten Kreis ernstzunehmen und anzusprechen, erscheint mir sehr lohnend, zu mal sie es ja oft sind, die die praktische Arbeit der Nächstenliebe in der Gemeinde verwirklichen. Neue Strukturen mit ihnen und auch denen aus dem dritten Kreis, den Nichtkirchenmitgliedern aufzubauen, in denen sie mitwählen dürfen und gewählt werden können, wie in der Diözese von Poitiers geschehen, erscheint mir sehr sinnvoll.

 

Die immer wieder wiederholte Forderung von mehr Bildung in Glaubensfragen kann nur auf wirklich fruchtbaren Grund fallen, wenn sie die Entfaltung der Charismen der Gemeindeglieder und der Gemeinschaft untereinander fördert. So darf nicht Stolz über erlerntes Wissen bzw. wie etwas richtig sei oder gemacht werde, aus der Bildung erwachsen, sondern Demut und Dankbarkeit angesichts der Wunder der Schöpfung und der Art, wie Gott mit uns Menschen redet, sollten die Kennzeichen gelungener Bildung sein, ebenso wie das weitere Fragen und Forschen und die gestärkte Gemeinschaft untereinander.

 

 

Die Betonung der Freiheit der heutigen Menschen beeindruckte mich. Wir sollten endlich Abschied nehmen von dem Bild einer Amtskirche, sowohl in den Selbstbezeichnungen unserer Binnensprache (Amtszimmer, Kirchenamt, Verwaltungsamt, Amtshandlungen...) wie in unseren Forderungen an unsere Gemeindeglieder im Blick auf den amtlichen Nachweis ihrer Mitgliedschaft und die Betonung ihrer durch Amtshandlungen erworbenen Rechte und Pflichten. Die Menschen heute sind frei und sie nutzen ihre Freiheit, z.B. um aus unserer Institution auszutreten, und sie verbinden ihren persönlichen Glauben nicht mehr mit unserer Institution,  selbst wenn sie Kirche finanziell durch die Kirchensteuer unterstützen, indem sie Mitglied bleiben.

 

Darum sollten wir ihnen diese Freiheit auch gewähren durch den Verzicht auf die Kirchensteuer und die Bitte um freiwillige Unterstützung der Kirche. Die Einführung einer alternativen Kultursteuer wie in Italien oder / und die Übertragung der Verantwortung für den Erhalt der (denkmalsgeschützten) Kirchengebäude an den Staat/ die Kommune (wie in Frankreich) wären Möglichkeiten, die historisch gewachsene Baulast wieder institutionell in die Verantwortung der einstigen Erbauer und Bauwerksunterhalter zu übertragen.

Nur durch die Abschaffung der Kirchensteuer können wir als Kirche unsere beim Symposium so betonte größte Krise als Kirche überwinden, unsere mangelnde Glaubwürdigkeit. Dazu gehört auch die Offenlegung der Finanzen einschließlich der Rücklagen wie der Art ihrer Anlage sowie der sozialen Sicherungen, wie z. B: der Versorgungskassen für Pfarrer und Kirchenbeamte.

 

Wichtig für meine Arbeit erscheint mir, künftig die Vielfalt in der Gemeinde und ihrer Umwelt noch stärker in den Blick zu nehmen und darauf zu achten, dass sie zur Kenntnis genommen und als äußerst wichtiger Wert erkannt wird. Vielfalt behindert die Überschaubarkeit. Darum u.a. sind gerade wir Hauptamtlichen in der Gefahr, sie einzudämmen und dadurch Menschen mit ihren Gaben auszuschließen, wenn sie nicht unseren eigenen Gaben gleichen oder sie ergänzen.

 

Bei gegenseitigen Besuchen von Gemeinden sollten wir nach Folgendem fragen
und so unseren Blick schärfen für die eigene Gemeinde:

 

- Welche Altersgruppen sind in der Gemeinde aktiv, welche Berufsgruppen, soziale Gruppen,...? Wie weit wohnen sie auseinander? Wie sind die Verkehrsanbindungen? Ist also Kommunikation unter ihnen möglich? Wo treffen sie sich noch im täglichen Leben? Welche Außenkontakte bringen die Gemeindeglieder mit, welche Geschichten verbinden sie mit anderen von draußen?

 

- In welchen Strukturen erfolgt die Kommunikation untereinander, getrennt nach Frauengruppe, Jugendgruppe...? Nehmen sich die einzelnen Kreise/Gruppen untereinander wahr? Gibt es ein Interesse aneinander? Wer ist im Gemeindekirchenrat vertreten?

 

- Welche offiziellen kontinuierlichen oder gelegentlichen Kontakte gibt es zu anderen Institutionen, Vereinen, Gewerbetreibenden usw. vor Ort?

 

- Mit welchen Anliegen kommen Fremde in die Gemeinde/Kirche? Werden diese Anliegen von der Gemeinde ernst genommen? Kommt es zu erneuten Kontakten?

 

Hilfreich ist es sicher, sich die Vielfalt einer Gemeinde einmal aufzumalen: gibt es die Gegensätze von arm und reich, schulisch hoch gebildet und wenig gebildet, Wessi und Ossi, Einheimischer und Ausländer, Arbeitsloser, Angestellter, Freiberuflicher, Praktikant, Frührentner und „Spätrentner“,....

 

- Wie können wir die diakonische Arbeit in der Gemeinde stärken als eine Hilfe vor allem für Menschen in der Gemeinde und ihrem direkten Umfeld, nicht nur durch das Spenden von Geld?

Sehen wir die Not der Menschen? Hören wir ihr zu? Nehmen wir ihre Not ernst, oder schieben wir sie von uns mit dem Hinweis auf ein Jammern auf hohem Niveau und den Hinweis auf die Menschen in Afrika usw., die uns zeigen, was wirklich Not sei?

 

 

 

Es folgen hier konkrete Fragen bei Gemeindebesuchen:


 

Folgendes könnte bei Gemeindebesuchen - in Auswahl-  erfragt werden, um den Blick auf die eigene Gemeinde zu schärfen:

 

1. Welche Vielfalt ist in der Gemeinde anzutreffen?

 

- in den Gottesdiensten

 

- bei Taufen, Konfirmationen,Trauungen, Beerdigungen

 

- in den Kreisen, Gruppen und Veranstaltungen

 

- in der Zusammensetzung der Mitglieder laut Datei

 

- im Wohnumfeld der Gemeinde

 

- bei den Besuchern der Kirche (Touristen...)

 

- in Frömmigkeitsformen

 

- in den ökumenischen Kontakten

 

- in den fremdsprachlichen Kompetenzen der Gemeinde

 

- im Blick auf den sozialen Status (Lehrling, Praktikant, Freiberufliche, Selbständige, Rentner, Hartz IV, Frührentner..)

 

- in den Bildungsabschlüssen der Gemeindeglieder

 

- in der beruflichen Zusammensetzung der Gemeinde

 

- im Altersspektrum der Gemeinde

 

- in der familiären Situation

 

- im Blick auf die Gesundheit und Behinderungen (psychisch, physisch, dementiell)

 

- im Blick auf Süchte

 

- im Blick auf Straffälligkeit

 

2. Mit wem ist die Gemeinde formell oder informell vernetzt (außer Kirchenkreis und Kreissynode)?
Wie und wann erfolgt die Kommunikation?

 

- mit den Nachbargemeinden

 

- mit anderen kirchlichen Einrichtungen

 

- mit Partnergemeinden

 

- mit Gemeinden aus der Ökumene

 

- mit diakonischen Einrichtungen:

 

- mit anderen freien christlichen Trägern

 

- mit anderen Vereinen, Institutionen vor Ort

 

- mit Ärzten

 

- auf kommunaler Ebene

 

- zu direkten Nachbarn

 

- mit Schulen, Kindergärten, Berufsschulen

 

- mit Sportclubs...

 

- auf Landesebene

 

- mit dem Bereich von Gemeinwesen orientierter Arbeit

 

- im kulturellen Bereich

 

- im Naturschutz und der Landschaftspflege

 

- mit Medien wie lokalen Zeitungen

 

- Veranstaltungskalender im Internet

 

- soziale Netzwerke im Internet, Blogs u.ä...

 

- mit Gewerbetreibenden

 

- mit dem Handel

 

- mit Wohnungsbauunternehmen

 

- mit Industrieunternehmen

 

- mit Forschungsunternehmen, Universitäten, Hochschulen

 

- mit Verkehrsbetrieben

 

 

3. Wie wirkt sich diese Vielfalt und dieses Beziehungsnetz aus:

 

- auf das Verständnis der biblischen Botschaft

 

- das Leben des eigenen Glaubens

 

- und die Weitergabe unserer Botschaft an die nachwachsende Generation

 

und Menschen von außen?

 

 

4. Wie werden die durch die Vielfalt vorhandenen Gegensätze und Widersprüche genutzt,

 

- um offene Gespräche darüber zu führen?

 

- Wie wird ihnen Raum gewährt?

 

- Wie viel Zeit wird dem gewidmet?

 

- Wird dies dokumentiert oder sonst öffentlich nutzbar gemacht?

 

- Wird Versöhnung und Vergebung erfahrbar?

 


 

 

 

Auf dem Symposium „Mittendrin! Kirche in peripheren, ländlichen Regionen“

 

vom 23. - 25. Mai 2013 in Greifwald

 

bei Vorträgen und Diskussionen
Mitgeschriebenes
von Katharina Dang:

 

Mitgeschriebenes beim Vortrag  von Gerhard Henkel (Geograph, Essen-Duisburg):
Der ländliche Raum im Wandel 1950 bis heute. Merkmale, Leitbilder und Potentiale

 

Phase von 1945/50-1965:

1953 Flurbereinigungsgesetz

 in der DDR 52-60 Kollektivierung

 

Phase 1965-1975:

Kommunale Gebietsreform: Eine in Jahrhunderten gewachsene Selbstverwaltung wurde von oben zerschlagen. 250.00 ehrenamtlich tätige Menschen wurden aus den Gemeinderäten ausgeschlossen und nicht mehr gebraucht. Es kam dazu auf Forderung des Deutschen Städtetages.

(Trotz der Erkenntnis, dass die Gebeitsreform ein Fehler war, wurde die Gebietsreform nach der Wiedervereinigung auch in den neuen Bundesländern durchgeführt.)

Samstags, die Straße zu fegen, war nicht mehr erlaubt. Es war eine Phase, in der das Ehrenamt systematisch zerstört wurde.

Ab 1975 begann das europäische Denken und Deutschland bekam von Europa her den Auftrag, sich um seine Geschichte zu kümmern. Bis dahin war das Dorf ein Verkehrshindernis, nun wurden Schwellen gegen schnelle Autos gebaut. Es wurde der Wettbewerb ausgerufen: „Unser Dorf soll schöner werden.“

Es entstanden Bürgerinitiativen zum Erhalt von Baudenkmalen.

1990 bis heute: Entdeckung der Potentiale der Dörfer, Renaissance der Heimat- und Kulturvereine, Abwanderung der Gebildeten, aber ihr Herz blieb in der Heimat.

Prof.: Henkel betonte:  Gerade die kleinen Dörfer haben eine Chance!

Viele Genossenschaften wurden neu gegründet. Viele wollen jetzt Bioenergiedörfer werden. Es gibt viele Programme für Mehrgenerationen-Häuser.

ab 2005/2010: Die gegenwärtigen Krisen verlangen nach neuen Leitbildern und Weichenstellungen.

 

Das Dorf tue den Menschen gut: Naturverbundenheit, Gemeinschaftsorientierung, Überschaubarkeit, Ruhe. Kirchengemeinden seien ein wichtiger Träger der Bürgergesellschaft.

Minister Tiefensee habe gesagt: Wir geben kein Dorf auf!

 

 

Mitgeschriebenes beim Vortrag von Martin Alex (Greifswald): Mittendrin – Kirche in peripheren ländlichen Regionen

 

Fast die Hälfte der Fläche Deutschlands besteht aus peripheren oder sehr peripheren Räumen. Betroffen sind vor allem die EKM, EKBO, Anhalt, Nordkirche, Hannover, Bayern und Kurhessen-Waldeck. So sank die Kirchenmitgliedschaft in Deutschland in den Jahren von 2003-2011 um 9 %, in Anhalt jedoch um 26 %.

 

Die in der Kirche tätigen Ehrenamtlichen sind nach einer EKD-Studie zu mehr als der Hälfte auch außerhalb der Kirche aktiv. Häufig wird ihnen gesagt, sie sollten die wegbrechenden Hauptamtlichen ersetzen. Sie erhalten aber nicht mehr Rechte und Freiräume. Sie müssen mehr finanziell gefördert und ihnen müssen mehr Rechte eingeräumt werden.

 

 

Mitgeschriebenes beim Vortrag von Thomas Schlegel (Greifswald):

 

Er wertet das EKD-Papier: „Wandeln und Gestalten“ positiv.

 

Eine Lösung für alle, das war gestern. Es sei eine neue Sensibilität für Sozialräume entstanden.

 

Die Peripherisierung des Landes sei die Rückseite der Verdichtung der Städte. Je kleiner und je weiter die Dörfer von den Großstädten sind, je mehr schrumpfen sie. Er zitiert H. Bude: Die Helden der Arbeit von gestern/ das Industrieproletariat auf dem Lande sei der Überschuss von heute.

 

Der ländliche Kontext heute sei eine missionarische Herausforderung.
 

Er zitierte Eberhard Hausschild: Kirche müsse verstanden werden als Institution, Organisation und Bewegung. Als Institution nimmt ihre Bedeutung heute ab.

 

Jens Kersten u.a. fragen: Abschied vom Wohlfahrtsstaat? Es werde vom Übergang vom sorgenden zum gewährleistenden Staat geredet. Gesellschaft müsse lernen, mit neuen Formen der Verantwortung umzugehen, entsprechend die Kirche. Sie brauche eine neue Haltung zu Handlungsverantwortlichkeit und Bereitschaft, mit Risiken zu leben.

 

Der Soziologe Richard Hilmer weise auf die Freiwilligensurvey der Bundesregierung hin, die seit etlichen Jahren durchgeführt wird. Ihr liegt eine sehr breite Definition von Ehrenamt zugrunde.

 

Voraussetzung für ehrenamtliche Tätigkeit sei Bildung, zeitliche Verfügbarkeit und eine Infrastruktur (Räume, usw.)

 

In Deutschland seien 36 % aller Bürger ehrenamtlich aktiv, in Pommern und Sachsen-Anhalt nur 26 %, in den NBL zwischen 26 und 33 %, in den ABL 31-44 %).
 

Ehrenamt stärke die Zufriedenheit mit sich selbst, das Vertrauen in die Mitmenschen, Arbeitskollegen und Nachbarn.

 

In den NBL sei das Vertrauen in den Rechtsstaat, die Demokratie und die Soziale Marktwirtschaft gering. Bürgerinitiativen seien in den NBL stärker mit 55 %, Kirchen haben mit nur 15 % statt wie in den ABL 30 % am Ehrenamt Anteil. Das durchschnittliche Haushalts-Netteo-Einkommen sei in den NBL 2180 €.

Die Anzahl der Vereine an einem Ort weise auf ein gutes Wir-Gefühl. Sie seien für die soziale Integration enorm wichtig. Ehrenamtliche entwickeln ein Wir-Gefühl, Nicht-Engagierte dagegen tiefsitzende Frustrationen. Fördernd sei öffentliche Anerkennung.

Ehrenamtliches Engagement werde durch Arbeitslosigkeit gehemmt, die zum Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben führe, zu Resignation und Zukunftsängsten, zum Weggang der Gebildeten und der Jugend.

Es bedürfe hier eines Mindestmaßes von finanzieller Unterstützung.

Das Engagement der Ehrenamtlichen in den NBL sei höher als im Westen, während ihr prozentualer Anteil an der Bevölkerung geringer sei (s.o.). Die Engagierten sind deutlich älter und belasteter.

In der anschließenden Diskussion wurde betont, dass für die Ehrenamtlichen die Möglichkeit und das Gefühl etwas zu bewirken das wichtigste Kriterium sei, noch mehr als öffentliche Anerkennung.

Kirche sei eine Empathie-Schule. Sie ermögliche Identität. Der Gemeinderat ist schon durch die Gebietsreform weg, die Schule ist weg und nun auch die Kirche? Die Menschen lieben ihre Heimatkirche. Vernetzung erfolgt nicht nur im kirchlichen Bereich. 

Es wurde auf die Ehrenamtspauschale hingewiesen, ohne dass dies fachgerecht erläutert wurde. Es gäbe Untersuchungen vom Übergang aus dem Ehrenamt ins Hauptamt. Im Dorf werde gefragt: Was machen wir? In der Stadt: Wer hat die Verantwortung? Wer hat die Schuld?

Die Anerkennungskultur für das Ehrenamt muss würdig sein! Keine Ehrenamtsnadeln!

 

Kirchturmdenken sei etwas sehr Positives!


 

Mitgeschriebenes beim Vortrag  von Bischof Ralf Meister (Hannover):
Kirche in der Fläche.
Anfrage an kirchenleitendes Handeln


Für die Menschen sei ihr Ort nie peripher!

Die Grundhaltung der meisten Menschen sei: Ich gehe zwar nicht hin, aber es ist gut, dass die Kirche da ist. Die Kirche habe wie Klöster die Funktion, den Glauben zu erhalten. Wo sich Kirche nicht als Gegenkultur inzeniere, sondern sich mit Vereinen usw. vernetze, werde sie wahrgenommen.
 

Bischof R. Meister  ging von einer Situation knapper werdender Ressourcen aus.

 

Pastoren seien oft die einzigen mit einer Schlüsselkompetenz in Milieu übergreifendem Dialog und Konfliktbewältigung und im Stande integrativ zu wirken.

 

Nicht hoch genug zu schätzen sei das ehrenamtliche Engagement. Es sei in der evangelischen Kirche weitgehend stabil geblieben, siehe den Ehrenamtbericht der Bundesregierung. Gläubige Menschen gäben auch finanziell mehr als andere.

 

Kleine kirchliche Gemeinschaften hätten eine große Initiativkraft und seien ein wichtiges Zukunftspotential in ländlichen Regionen, die von Abschiedszenarien bestimmt sind. (17 evang. Klöster in der hannover. Landeskirche)

Trost brauche aufmerksame Weltwahrnehmung, Nähe und Hoffnung in einer recht zukunftsarmen Welt. Kirche müsse diese Aufgabe wahrnehmen.


 

Mitgeschriebenes beim Vortrag  und Abgeschriebenes aus der Zusammenfassung von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald):
„Land, Land, Land, höre das Wort des Herrn!“ (Jer. 22,29).
Ekklesiologische Akzente für die Kirche im ländlichen Raum


 

Großes Problem sei der Landaufkauf als Geldanlage.

 

„Denke ländlich! Im ländlichen Raum dürfen keine städtischen Vergleichsparameter angelegt werden.“

 

„Jesus wirkte vor allem im ländlichen Galiläa!“
 

„Gemeinde ist dort, wo Menschen im Namen Jesu zusammenkommen, miteinader beten, singen, Abendmahl feiern, füreinader da sind, einander und anderen helfen.“ Hinweis auf Jan Hermelink, den zur Zeit einflussreichsten Praktischen Theologen.

 

„Die institutionelle Gestalt der Kirche erwächst aus dem gottesdienstlichen Geschehen von Gemeinde und ist darauf ausgerichtet, dieses Geschehen selbst wiederum zu fördern, zu verstetigen und zu ermöglichen. Darum kann die institutionelle Gestalt der Kirche nicht zufällig bleiben, sondern muss sich selbst am Evangelium messen lassen. (Barmen III) Kirchliche Strukturen sind eine bleibende menschliche Gestaltungsaufgabe.“

 

„Es braucht in möglichst vielen Orten verbindliche Keimzellen gemeindlichen Lebens.“ Das Leben in den Gemeinden sei meist volkskirchlich geprägt, das sah er negativ.

 

„Für die Gemeinden ist wichtig, wahrzunehmen, dass die Gemeinde nicht da ist, wo der Pastor ist, sondern wo Menschen sich im Namen Christi versammeln. Den jeweiligen Gemeindekernen wird daher auf dem Lande in Zukunft stärker die Aufgabe zukommen, die Gemeinde an sich zu präsentieren, sowohl nach innen, wie nach außen.“

 

Nicht selten kommen zu den Gottesdiensten nur 2-10 Besucher. Deshalb bedarf es vielfältiger Versammlungsmöglichkeiten.

„Unsere vielen Dorfkirchen bieten ein Potential für das Leben der Gemeinden. Für die Bewirtschaftung der Gebäude brauchen wir Partner. Der sakrale Raum sollte jedoch erhalten bleiben, da er auf die dahinter stehende, auf das Wort Gottes hörende und Gottesdienst feiernde Gemeinde und damit auf den in ihr lebendigen Christus verweist.“

 

„Pastorinnen und Pastoren sowie die Gemeinden müssen ihren Platz und ihre Verantwortung im Gemeinwesen des Ortes wahrnehmen. Die Probleme einer Region müssen auch die christlichen Gemeinde bewegen. Nur so wird die Kirche als relevant erlebt werden. Nur durch das Mitleben mit den Menschen im Dorf wird unser Zeugnis als glaubwürdig erlebt und gehört.“
 

„Wir brauchen Flexibilität für individuelle Lösungen in Bezug auf gemeindliche Strukturen. Unter Beachtung der Infrastruktur, der geschichtlich gewachsenen Zuordnung von Hauptorten zu Nebenorten oder Fillialdörfern, der Schuleinzugsbereiche und der kommunalen Gliederung wird man von Region zu Region die entsprechende Sensibilität für passende Lösungen suchen müssen.“  Der Bischof nennt zentrale Modelle, Mischformen und dezentrale Modelle.

 

Ohne Schmerzen solle man hinnehmen, wenn Gemeindeglieder in mehreren Gemeinden Angebote wahrnehmen oder sich zu anderen Gemeinden halten.

 

„Verbundenheit mit der Gesamtheit der Kirche: Es ist wichtig, dass die Christen aus verschiedenen Gemeinden, Regionen und Konfessionen miteinander in Verbindung bleiben, damit keiner vereinsamt oder die Weite der universalen Kirche aus dem Blick verliert.“
 

Der Bischof erwähnt den Raumordnungsbericht, der  zwischen Sozialkapital, Kulturkapital und ökonomischen Kapita unterscheide. Das letztere konzentriere sich auf Zentren. Das Sozialkapital bestehe u.a. durch Vernetzungen. Sie sind in Gefahr zu zerbröseln.

 

 

Mitgeschriebenes beim Vortrag von Rainer Bucher (Graz, Österreich):
Priester und Laien in neuen Gegenden.
Eine katholische Perspektive zur Kirche an ländlichen Orten

 

1. Frage sei, wie wir uns als Kirche selbst lebendig erhalten können, die katholische Kirche aus Priester und Laien,

 

innen und außen,

 

Männern und Frauen,

 

Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen.

 

Die ehemals linke dominante Seite in dieses Paaren habe nur eine Chance, wenn sie die rechte Seite integriere.

 

Hauptamtliche nähmen sich selbst als professionell wahr und titulieren Mitchristen als Ehrenamtliche.

 

Ehrenamtliche entscheiden nach einer Nutzenkalkulation. Sie zu Marionetten zu degradieren, bringe Stress hervor. Ehrenamtsmanagement sei ein wenig geschickter Weg, sie für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren.

 

Stattdessen: Entdeckungsdiskurse und Ermöglichungsdiskurse. Sich gegenseitig als Christen wahrzunehmen sei das Wichtigste, nicht unser sozialer Status. Wenn wir an die institutionelle Selbstsicherung denken und nicht an die gesellschaftlich prekäre Situation, seien wir auf dem falschen Weg. Haben wir genug interne Räume für eine echte Kommunikation?
 

Es herrsche eine weitgehende Sprachlosigkeit der Kirche vor den neuen Herausforderungen.
 

Es gäbe die Versuchung zu einer ländlichen Alternativkirche. Damit umgehe man die aktuelle Sprachlosigkeit. Darum gäbe ist es keine Alternative.

Des weiteren sah R. Bucher in den letzten 40 Jahren die Versuchung der Gemeindekirche. Sie könne nicht funktionieren.

Er zitierte Karl Rahner: „Das Sichere ist heute das Gewagte“ und spricht sich gegen ein Flüchten in Idyllen, in Traditionen oder die Moderne aus.
 

Die moderne Gesellschaft funktioniere offensichtlich trotz aller Gefahren und übe eine hohe Faszination aus. Sie schaffe uns extreme Freiheit und extreme Probleme. Die hohen Kirchenaustrittszahlen entsprächen den hohen Scheidungszahlen. Wir seien in einem Suchprozess.

 

Die Liturgie sei heute hoch wirksam und funktionabel, aber fördere eben nicht echte Gemeinschaft.

 

Verbindlichkeit (nicht gegenüber der Kirche als Sozialform) sei die Verbindung von Wort und Tat und heiße absolute Solidarität mit der Gegenwart.

 

Oberbefehlshaber brauchen Überschaubarkeit. So werde das Prinzip der Überschaubarkeit immer wichtiger. Wichtig für eine Schlacht seien geordnete Schlachtreihen. Doch mit dem Oberbefehl des Klerus sei es vorbei.

 

Die Gläubigen seien heute völlig frei von priesterlicher Biographielenkung. Im Gegenteil seien die Priester heute angefragt. Intern seien sie hoch legitimiert, aber nicht im realen Leben. Deshalb gäbe es heute so wenige.

 

Trotzdem sei heute ein Neoklerikalismus zu beobachten Es sei eine Anstrengungsverstärkung in die falsche Richtung. Nur eine Minderheit sei innovativ. Der Abschied von der Kategorie „Überschaubarkeit“ sei unvermeidlich!

 

Das zentrale Problem des Landes sei die fehlende Anonymität.

 

Aus einer exklusiven Kirchenmitgliedschaft als lebenslängliche Gefolgschaft sei eine situative, temporäre, erlebnisorientierte geworden, das Nutzen der Lizenz zur religiösen Selbstbestimmung. Sie sei wankelmütig und unkontrollierbar.  So erfolge eine Dekonstruktion der Kirche durch ihre Nutzer.
 

Wir ständen wie Banken unter einem staatlichen Rettungsschirm. Papst Benedik XVI. sprach von einer festen Burg, die zu einem Schifflein Petri wurde, hin- und hergeworfen . - An beiden Stellen sei die Kirche nicht wirklich in der Welt.
 

Es funktioniere nur noch diese Orte, wie bei einem Krankenhaus, wenn der Seelsorger vor der Tür der Patienten stehe und nicht wisse, ob er gleich rausgeschmissen werde, als risikoreiche pastorale Konfrontationsprozesse.


Wichtig sei, die Sehnsucht nach Heilung aufzunehmen.

 

In der anschließenden Diskussion: Die Gesellschaft könne sich nur gegenüber der Religion die Freiheit leisten, weil sie heute andere Steuerungsmechanismen habe.
 

Literaturhinweis u.a.: Rainer Bucher, das Ehrenamt in der Transformationskrise der katholischen Kirche, Risiken und Perspektiven, in Walter Krieger/Balthasar Sieber (Hrsg.), Für Gottes Lohn? Ehrenamt und Kirche. Linz 20122, 65-83

 

Rainer Bucher: ...wenn nichts bleibt, wie es war. Zur prekären Zukunft der katholischen Kirche, Würzburg 2. Aufl. 2012

 

 

In der weiteren Diskussion:

 

s. Stefan Seidelmann zum Ehrenamt: zunehmende Professionalisierung vom Ehrenamt führt zu Rollendiffusion

 

Arm/ prekär seien heute diejenigen, die keine Wahlmöglichkeiten mehr haben, um die sollten wir uns kümmern.

 

 

 

Helge Adolphsen (Hamburg):

Kirchengebäude auf dem Land
– Handlungsempfehlungen des Kirchenbautages

 

1. Wir hätten nicht zu viele Kirchen, sondern zu wenig Kreativität.

 

2. Der Geist gehe immer dem Geld voraus. Kreativität wachse, wo wenig ist.

 

Kirche in Mitteldeutschland habe 4000 Kirchen. Sie wurden in den 70er Jahren bewertet mit: A unbedingt erhalten, B – möglichst erhalten, C – aufgeben. Die C-Kirchen gehörten zu denen, die nach der Wende am schnellsten wieder aufgebaut wurden. Kirchbauvereine nehmen sich der Kirchen an, die nicht mehr landeskirchlich versorgt werden.

H. Adolphsen wendete sich gegen die Fixierung auf eine Grundversorgung. Statt allen das Gleiche, solle man jedem das Seine geben.

 

Hinweis auf Hörspielkirche in Fredow in Mecklenburg!

 

„Kirche wächst von unten – wie in der Natur.“

 

„Kirchen müssen sich nicht rechnen.“

 

„die treuen Kirchenfernen“

 

- Übernachtungskirchen, Restaurantkirchen, Veranstaltungskirchen... - Versorgung durch die Region

 

- Poststelle in die Kirche integriert

 

- Mitbestimmung bringe keine Modelle, sondern Bewegung hervor.

 

- Kirchen sind Gegenorte zur hoch individualisierten Gesellschaft.

 

- Ein GKR werde künftig nicht mehr entscheiden müssen, sondern das Dorf fragen: Was braucht ihr?  

 

Zu einem umfassenden Kommunikationsprozess gebe es keine Alternative.
 

Prof. Steffen Fleßa (Ökonom, Greifswald):

 

 

Die Frage sei nicht, wo fühle ich mich wohl, sondern was ist mein Auftrag.

 

Die Ökonomie sei die Lehre von der Zielerreichung.

 

Wir würden in der Zeit begrenzter Ressourcen leben: nach dem Paradies und vor dem Paradies.

 

Geld sei ein unbedeutender Schleier, der sich vor die Realität legt.

 

Ziele: Dienst an den Schwachen, Zeugnis, Anbetung, Gemeinschaft.

 

Ehrenamtliche verbinde eine Aufgabe.

 

Wenn wir hier als Kirche überleben wollten, dann nur mit radikalem Umdenken.

 

Der Dienst an den Menschen habe immer Vorrang vor dem Denkmalschutz.  

 

Prof. Uta Pohl Patalong (Praktische Theologin, Kiel):

Ortskirche und kirchliche Orte in der Fläche

 

Im 19. Jahrhundert : Pastor Emil Sulze forderte, das jedes Gemeindeglied gekannt werden sollte. Man begann die Freizeit in den Gemeinden zu verbringen und dies wurde zum Maßstab für wahre Mitgliedschaft. Es wurden Gemeindehäuser gebaut. Die heutige Kerngemeinde entstand. . Die verlorene Dorfgemeinschaft sollte als städtisches Modell neu erstehen. Dieses Modell setzte sich nach und nach auch auf dem Lande durch. Seit den 60er Jahren kam es auf dem Lande zur Erweiterung kirchlicher Organisationsformen.

 

Die Ortsgemeinde spreche bestimmte Milieus an, andere nicht.

 

Die Zahl der klassischen Ehrenamtlichen in der Kirche gehe zurück. Gibt es neue?

 

Modell der „Kirchlichen Orte“

 

- Hinweis auf Pavel Richter, den Leiter der deutschsprachigen Wikipedia, fragt: Wofür braucht die Kirche mich?

-  Hinweis auf EKD-Synode Mageburg 2010

 

Für die soziale Mobilität hätten wir wenige Denkrahmen.

 

Wie würdigt man die vorhandenen Menschen?

 

"Top down" funktioniere in der evangelischen Kirche überhaupt nicht!

 

 

Prof. Michael Herbst (Praktischer Theologe, Greifswald):
An den Hecken und Zäunen – Gemeindeentwicklung und Mission in ländlichen Räumen

 

 

Die pastorale Versorgungskirche führe sich selbst ad absurdum. Ihre Dehnung durch Fusionen führe zum Verlust der Nähe. Regionalisierung könne man zum Unwort des Jahrzehnts erklären.

 

- Hinweis auf das Freie Forum Ortsgemeinde in Schleswig-Holstein.

 

- Die schwedische Kirche betreibe eine Tankstelle, die ansonsten geschlossen worden wäre.

 

- gemeinsames Essen, s. BSE-Krise in Berlin: Erfindung eines beef crisis sunday

 

- der Kirchenkreis / die Region sei Kirche

 

- Bereitschaft zu sterben, um zu leben.

 

- Gottesdienst als hochkulturelle anspruchsvolle Musik- und Rhetorikvorführung müsse Platz machen für leichtere, schlichtere und eigenständigere Formen des kirchlichen Lebens.

 

- Schäden einer pfarrerzentrierten Amtskirche; Gemeinde müsse mündig werden. Es gehe um Rückerstattung (von Rechten), darum, mehr zuzutrauen.

 

Der Verlust der Eliten auf dem Dorf bedeute nicht einen Verlust der Charismen.

 

- s. EKD: Wandeln und Gestalten, S. 70

 

Hadwig Müller (Aachen):

 

Gott ist ein Gott des Gesprächs, ein Gott lebendiger Beziehungen, kein einsamer Gott, kein Gott ohne Geschichte. Trotzdem ist er geheimnisvoll und unbekannt. Sein Gespräch lebt vom Geheimnis. Auch in Gott gibt es das geheimnisvolle Anderssein. Die Trinität - Ausdruck des unbegreifbaren Gottes, dessen Wesen Gemeinschaft ist.

 

Glauben heißt für Hadwig Müller Glaube an die Stärke der Schwachen. Nur eine arme Kirche könne eine missionarische Kirche sein!

Das tiefe Fehlen des Anderen – die künftigen Bewohner des Reiches Gottes leiden an der Unvollständigkeit.

 

Der Selbsterhalt sei als primäres Motiv jeder Organisation legitim – so sage jede Organisationstheorie.

 

Erzbischof i.R. Albert Rouet/ Frankreich, Diözese Poitiers,
der eine Änderung der Gemeindestrukturen dort ermöglichte und damit ein Modell schuf, das viel Aufmerksamkeit erfährt und nun auch in Deutschland bekannt wird. (Die Stichworte hier setzen die Kenntnis dieser Bewegung voraus, (mehr dazu: Ly Dang im Anhang)
Die Gaben der Taufe und die kirchlichen Strukturen

 

Glaube ist eine Beziehung zu Gott, zu Christus und zu den anderen.

 

Unser Problem sei ein Mangel an Vertrauen.

 

Je kleiner eine Gemeinde sei, desto größer sei das Vertrauen. 

 

Fünf Voraussetzungen für Gemeinden:

- sie müsse gegründet worden sein,

- sie müsse anerkannt worden sein von anderen,

- sie müsse eine gewisse Dauer aufweisen,

- sie müsse eine Nähe der Mitglieder haben,

- sie habe eine Sendung, einen gemeinsamen Auftrag, eine gemeinsame Last.

 

- in der traditionellen Gemeinde  existiern parallele Gruppenstrukturen, hierarchisch nach oben, untereinander ohne oder mit geringem Kontakt, so sich gegenseitig leicht als Konkurrenten empfindend; ebenso sei das Verhältnis der Gemeinden innerhalb der Diözese,

 

Welchen Unterschied gibt es zwischen einem lebendigen Leib und seinen Gliedern und einem Metzgerladen?

 

Gemeinde dürfe kein Ort sein, an dem Konkurrenz entstehen kann.
Es gebe keine Geschwisterlichkeit ohne das Symbol des Vaters.

 

Nicht nur die praktizierenden Christen gehörten zur Gemeinde. Sie hätten ihre Geschichte mit den anderen in ihrem Dorf, eine Haß-, Neid-, Konfliktschlichtungsversuche-, ..Liebesgeschichte.

 

Das Problem der Kirche sei nicht ein Glaubens-, sondern ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die anderen alle sollten als Subjekte gesehen werden.

Das Dorf habe drei religiöse Kreise, den innersten 1., den darum herum liegenden 2. und den großen Dritten, der die beiden anderen umschließt. Sie bedeuten:

1. Die Überzeugten

2. Die nichts dagegen haben

3. die absolut Ungläubigen.

 

Die Beziehungen zwischen dem 1. und 2 Kreis seien schlecht: Die aus dem ersten Kreis wollen, dass die aus dem zweiten so werden wie sie und die aus dem zweiten Kreis wollen nichts weniger als so werden wie die im ersten Kreis.

 

Der zweite Kreis, das seien die Proselyten und seien als Gruppe das Gelenk zwischen dem ersten und dem dritten Kreis. Viele Engagierte kämen aus dem 2. Kreis. Doch sie hätten das Problem, wie sie z.B. 15 Jahre Leben außerhalb der Kirche wieder aufholen können. 

Das Hauptproblem sind die Beziehungen zwischen den Leuten des ersten und zweiten Kreises.

 

Vier Aufgaben: Gebet – Diakonie – Verkündigung – Charismen

 

In Zeiten der Veränderung seien klare Regeln nötig, sonst würden  die Schlaueren / die Mächtigeren die Herrschaft übernehmen.

 

Alle, die wollen, dürfen  in der Diözese Poitiers mitwählen. Die Zahl der Wählenden habe von mal zu mal zugenommen. Heute gibt es in der Diözese Poitiers 320 örtliche Gemeinden. Die kleinste Gemeinde ist in einem Dorf von 120 Einwohnern. Beim Gebet am Sonntag seien 40 da. Die größte Gemeinde habe acht Zivilkreise, die schon seit dem Mittelalter zu derselben Mark gehörten.

Nur der Bürgermeister dürfe nicht für eine „Mannschaft“ (Gemeinde) als Verantwortlicher gewählt werden.

 

Die Vorstellung, dass die Leute auf dem Lande zu den Letzten gehören, sei aus ihren Köpfen verschwunden. Es gebe großzügige Gemeinden und kalte Gemeinden.

 

Wichtig sei die Weiterbildung: Die empfindlichsten Probleme seien die geistlichen Probleme. Die Leute bekämen die Schwierigkeiten der Apostel zu spüren.

Viel habe man sich von den Kirchen in Südostasien, Afrika und Brasilien abgeguckt.

 

Kirchliche Autorität dürfe keine Angst davor haben, Regeln festzulegen. Autorität heiße nicht nur: Ich befehle, sondern ich erkenne an.

Von den 200 Priestern der Diözese leisteten acht Widerstand gegen die Umstrukturierung. Von Rom kam keine Reaktion.

Die Zukunft der Gemeinde liege da, wo Menschen, die sozial weit voneinander entfernt seien, sich zusammenfinden, sonst würden wir ein Klub der Hundertjährigen.

 

Die, die die Arbeit der Umkehr nicht machen wollen, die hätten es schwer.

 

Die Aufgabe (der Gemeinde) sei, die Menschen geistlich zu nähren.

 

Aufgaben des Leiters seien:


- Dienst an der Geschwisterlichkeit

- Achten auf regelmäßige Gottesdienste

- Offenhalten der Gemeinde für die Gesellschaft

 

Beispiel zwei alter Frauen, die durchs Dorf gehen und sich fragen, wie sie an diesem Ort dienen können und dabei einen sterbenden Aidskranken an einem Strohhaufen finden. Um ihm zu helfen, müssen sie das Dorf mobilisieren.

 

Shannon Jung (USA):
Perspektiven der US-Amerikanischen Kirche auf dem Lande

 

 

1. Soziale und ökonomische Trends

 

- Monopolisierung der Rindfleischverarbeitung ( 83,4 %,  Schweinefleischverarbeitung 66 %,  Hühnerfleisch 58,5 %)

- Supermarktketten und Nahrungsmittelindustrie:


- Wal-mart Stores (US): 312,4 Mrd. $

- Carrefour (Frankreich) 92,6 Mrd. $

- Tesco (UD) 69,6 Mrd. $

- Metro Group (Deutschland) 69,3 Mrd. $

 

- 8., 9., 10. - Rewe, Schwarz und Aldi (alle Deutschland) 51, 8 Mrd. ; 45, 8 Mrd. 45,0 Mrd. $
 

Die ländliche Bevölkerung in den USA nahm von 1995 von 61 Mill. auf 46 Mill. 2013 ab. Im Vergleich dazu blieb die ländliche Bevölkerung in Deutschland relativ konstant bei rund 21 Mill.

 

- In den USA sei das mittlere Haushaltseinkommen ist von 50.600 auf 46.500 gefallen.

 

- Die wachsende Schere zwischen Reich und arm, wobei die afrikanischen und spanischen Amerikaner besonders von Armut betroffen sind. Die Armutsrate liege bei 16,1 %. Die neu entstehenden Jobs sind schlechter bezahlt und abgesichert als diejenigen, die sie verdrängen.     

Das oberste 1 % der Bevölkerung besitze 40 % der Güter des Landes , während 80 % nur 7 % besitzen.

Es gebe eine weiße „underclass“ sowohl auf dem Land wie in den Innenstädten.

 

2. Pastorale und kirchliche Trends

Die bedeutendste Religion in den USA sei der Konsumismus. Der Wunsch, etwas zu besitzen, sei nur ein Ausdruck dessen, was mir versprochen wird, zu besitzen, wenn ich es habe: Beziehungen, Anerkennung, Liebe... So drücke der Konsumismus ein geistliches Bedürfnis aus, das es gilt zu transformieren.

 

Die großen liberalen Kirchen seien gut etabliert.

 

Die Zahl der Nichtreligiösen wachse, auch wenn sie ein spirituelles Bedürfnis haben (19 %).

Es wächse sowohl die Zahl der Mega-Kirchen als auch die Mitgliedschaft in kleinen Kirchen.

 

Etliche Seminare der großen Kirchen, wie der evangelikalen sind während der Wirtschaftskrise 2008 geschlossen worden. Seminare seien zerbrechliche / fragile Organisationen. Viele versuchen, ihre Strukturen umzubauen.

 

3. Theologische Grundpfeiler (bench marks)

 

- 1. Ortsverbundenheit: Wertschätzen der Menschen vor Ort, der Geschichte etc. Gott ist an diesem Ort gegenwärtig wirkend. Hier vor Ort ist man zur Jüngerschaft/Nachfolge berufen. Theologische Lehren, die dies unterstützen: über die Schöpfung, die Fleischwerdung Jesu Christi und die Immanenz/ die Gegenwart Gottes. Teil unserer Arbeit sei es herauszufinden, wie Gott vor Ort gegenwärtig ist.

 

- 2. Die Gemeinde bestätige den Wert von Gemeinschaft, in der kirchlichen wie auch in der zivilen Gemeinde. Die Pastorale Sorge gehöre den Laien ebenso wie den Pastoren. Alle sind berufen dem Nächsten zu dienen. Gott liebt jeden. Es geht um den Dienst der Laien.

- 3. Wesen von Leitung:  Leitet nicht nur die eigene Organisation, sondern steht bewusst in der Öffentlichkeit als Leiter! kooperative Arbeit und kooperativer Dienst; Blick nach außen, nicht nur nach innen;  dienende Leiterschaft, welche die Laien ermutigt;

 

- 4. Inklusivität: ländliche Gemeinden heißen bewusst Fremde und Neuankömmlinge willkommen, diese haben oft eine andere Hautfarbe. Es gehe um die Sorge für alle, die dort vor Ort leben. Dieses Willkommenheißen geschehe oft nicht. Es werde nur darüber geredet. Es gehe um Vielfalt und die multikulturelle Gnade Gottes. Es gehöre zu den schwersten Herausforderungen, die eigene Identität aufzugeben. Kirche verändere sich so.

 

- 4. Sich abzeichnende Probleme/Themen

 

- Zum Schluss sagte Ch. Jung kurz wie zur Lebendigkeit der Gemeinden beigetragen werden kann. Kleine Gemeinden glauben oft nicht, dass Gott in ihrer Mitte sei.

- In Workshops stelle er den Gemeinden einige Fragen: Was sind eure Stärken? -Ihr müsst nicht alles können und für jeden etwas anbieten. Wie kann diese Gemeinde an diesem konkreten Ort Kirche sein? Er lässt die Gemeinden auf Papier alles benennen was sie an Vermögen/ an Gaben / an Ressourcen haben.

- Kann jemand gut beten? Da gibt es z.B. jemanden, der gut mit Holz arbeiten kann. etc. Gibt es Zusammenarbeit mit anderen Vereinen etc?

- Was für eine Art von Dienst kann hier in diesem bestimmten lokalen Kontext geschehen?

- Es gelte sodann darüber nachzudenken und zu entscheiden, wozu ´die Gemeinde gesandt und berufen ist.

 

Die ländlichen Kirchen sind bezogen auf ihren Ort und ihre Geschichte. Sie wollen die Lebensqualität an ihrem Ort verbessern.  Wichtige theologische Lehren: Schöpfung, Inkarnation und Immanenz, Gottesdienst.

Die ländlichen Gemeinden schätzen den Wert der Gemeinchaft, sowohl in der Gemeinde wie in der Kommune.   

Theologisches Ideal: Priestertum der Gläubigen/ der Laien, Nächstenliebe.

 

Den Leitern gehe es um die Gesundheit aller. Sie engagieren sich auch in der Kommune.

Die Gemeinden bemühen sich Fremde und Neue willkommen zu heißen. Aber oft geschehe dies trotzdem nicht. Der barmherzige Samariter sei Vorbild für sie, sich um die zu kümmern, die in ihrem Gebiet ihre Hilfe brauchen.

Wichtige Punkte:

- Die Nahrung – die Kosten der Nahrung und gesunde Nahrungsmittelindustrie- das Wissen darum, woher unsere Nahrung komme und wie die Preise dafür zustande kommen.

- Die Erinnerung an alte geistliche Praktiken der christlichen Tradition bezogen auf die Nahrungsmittelindustri:. Das danken für die Nahrung und das Teilen miteinander.

 

- Informelle Kirchen

- Hauskreise

- Bibelstudien

- Missionsgruppen

- Rechtshilfe, Gruppen für soziale Gerechtigkeit

 

Weitere Formen von Kirche, die nicht voll ausgeprägt sind wie künstlerisch geistlich orientierte Zentren, andere Nischen

 

- Welthunger und Fettleibigkeit – beide Probleme durchdringen sowohl die häusliche wie die internationale Szene.

 

- ernsthafte Anstrengungen die Existenz von Hunger zu beseitigen

 

- es geht um die Gesundheit und um die Wege, auf denen sich Gottes Willen eines fröhlichen Lebens Gestalt gewinnt.

 

Christian Hennecke ( kathol. Theologe, Hildesheim):

Der Geist des Herrn erfüllt das All

 

 

Schafft die katholische Kirche sich selber ab? - Es sei die Frage: Schaffen wir das?

 

Wie sehen wir diese Welt, sei die entscheidende Frage.

 

Habe gelernt auf dem „Kongress Kirche Hoch 2“ zu twittern.

 

Die gegenwärtige Krise  sei vor allem eine Krise von Institutionen und Strukturen. In den 60er Jahren hatte die katholische Kirche eine Wachstumskrise (s. Gaudium et spes), aufgrund des schnellen Wachstums der Kirche in der dritten Welt.

Der Konsumismus sei der Wunsch nach Partizipation – global und lokal, eigentlich ein Wunsch nach Gemeinschaft. Ch. hennecke zitiert  Klaus Hemmerle, (deutscher Bischof, schon verstorben):

„Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich zu überliefern habe.“

 

Lernen, wie die Menschen sind, sie wahrnehmen, darauf komme es an!

 

Die entscheidende Frage sei nicht, wie wir Ehrenamtliche gut füttern, damit sie tun, was wir wollen, sondern verstehen wir sie.

 

Menschen seien Pilger, auf dem Weg. Sie lassen sich nicht einfach integrieren in unsere Strukturen.

 

Wir wären gesellschaftlich und kirchlich am Ende einer Epoche der Professionalität und des Klerikalismus.

Das Geld und das fehlende Geld seien eines der wesentlichen Instrumente des Heiligen Geistes. Er wolle uns damit etwas lehren: Die Rückkehr der Getauften.

Ch Hennecke selbst konnte das studieren in den Philipienen und Südafrika.

 

Nehmen wir die Charismen der Getauften wahr? Nutzen wir sie dann etwa (nur) für unsere Pläne?

Im Bistum Hildesheim sagen "wir": Wir brauchen eine lokale Kirchenentwicklung.

 

Es sei schon alles da (s. Jakob: Das Tor zum Himmel ist schon da.“) - Wir brauchen es nicht selbst tun.

 

Beispiel von zwei alten Frauen aus England, die die letzten im Gottesdienst waren und einsahen, dass für sie die Kirche nicht mehr geheizt werden könne. Der Pfarrer bat sie, für das Dorf zu beten. Sie taten das und entdeckten die Notlage der Nachbarn und beteten für sie, diese kamen dazu und so wuchs wieder Gemeinde.

Nähe heiße, dass wir Gottes Reich lokal erfahrbar machen. Wir, die Hauptamtlichen, sollen nicht die Pläne machen und die Leute dafür suchen, die wir dafür brauchen, sondern uns wie Gäste verhalten, wie Menschen, die achtsam auf das schauen, was der Heilige Geist wirkt, auf die Charismen der Menschen.

Anschließende Diskussion:

Die Menschen brauchen Institutionen, auch wenn sie ihnen nicht angehören wollen.    Der eigentliche Punkt sei, wozu dienen diese. Sie wollen etwas ermöglichen. Wie geht das bei Hauptamtliche: Das sei die entscheidende Frage in der katholischen Kirche.

 

Der Pfarrer sei überlastet. Ich habe Mitleid mit ihm, darum ich helfe ihm. Das sei noch keine Umkehrung. Wir müssten an der Änderung unserer inneren Bilder arbeiten. Beispiel Philippinen: ein Priester für 20.000 Gläubige und gerät nicht in Panik, sondern ist ganz ruhig. Welches innere Bild habe er? und haben wir? Unser Bild müsse sich ändern. Wenn wir das Bild haben: Hauptamtliche gibt es nicht mehr, nun macht das ehrenamtlich! - werden wir keinen Erfolg haben.

 

Ist die Arbeit eines Pfarrers in Geld umwandelbar?

 

Welche Vielfalt haben wir hier? - reich und arm, ostdeutsch und westdeutsch... ökonomisch, bildungsmäßig,...

 

Was teilt uns in dieser Vielfalt?

 

Wir haben hier in Deutschland im Unterschied zur USA Diakonie und Gemeinde zu weit auseinander gerissen, haben sie zu sehr professionalisiert und sind darum nicht bei den Nöten der Menschen.

 

Wie kommen wir an die Menschen ran? - sei eine sehr merkwürdige Frage. Wir sind doch ständig mit Menschen zusammen. Die Frage ist, wie wir ihnen dienen. Kirche ist an vielen Orten. Am weitesten nach außen reichen wir dort, wo wir den Menschen dienen.

 

Es folgte der Vortrag von Thiess Gundlach: Liebhaber ohne festen Wohnsitz - Kirche in der Fläche 2050,

den ich  oben schon zusammengefasst habe.

 

Nicht berücksichtigt ist hier bisher der Vortrag von Leslei Francis (Coventry), da er nicht übersetzt wurde.

 

Alle Vorträge sind 2014 vom Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung herausgegeben worden.

 


 

 

Auszüge aus der wissenschaftliche Hausarbeit meiner Tochter
Lý-Elisabeth Dang

 

Strukturreformen in der katholischen

Diözese Poitiers

in (Mittel-West) Frankreich

 

(Hier als pdf-Datei )

Die Diözese Poitiers ist eine der ältesten Diözesen in Frankreich. Sie blickt auf eine lange und reiche Traditionsgeschichte. Ihre Wurzeln reichen weit bis ins 4. Jahrhundert zurück.1 Die ersten christlichen Gemeinden sind in Städten entstanden. Die Stadt Poitiers, als Hauptstadt der ehemaligen Grafschaft Poitou, mit ihrer Universität von 1431 wird von einer langen geistigen Tradition geprägt. Die Umgebung jedoch ist von der Landwirtschaft geprägt. Je nach ländlicher Beschaffenheit dominieren Getreideanbau, Viehzucht oder kleine miteinander vernetzte Betriebe.2 Poitou ist in der Vergangenheit und noch in der Gegenwart Durchzugsgebiet gewesen. Rouet, der ehemalige Bischof von Poitiers, nennt ein daraus entstandenes Erfordernis und gleichzeitig eine beachtliche Stärke der Bevölkerung, nämlich das Pflegen starker menschlicher Beziehungen, in denen sich alles auf der Ebene von Mensch zu Mensch entscheidet.3

 

Heutzutage umfasst das Gebiet der Diözese zwei Départements, Deux-Sèvres und Vienne, und ist in 14 Räume aufgeteilt, wovon lediglich drei Städte sind.4 Die Bevölkerung beträgt um die 750 000 Einwohner. Davon lebt ungefähr die Hälfte in den drei größten Städten Poitiers, Niort und Chatellerault sowie deren Umland. Die Diözese konstatierte einen enormen Rückgang an Priestern. Von den dort geweihten 300 Priestern, waren Anfang der 90er Jahre bereits 100 über 80 Jahre alt. Es wurde davon ausgegangen, dass 2024 die Priesterzahl auf ca. 45 sinken würde. Somit entsprach das bisher flächendeckende Pfarreisystem nicht mehr den Herausforderungen der Gegebenheiten.5 Aufgrund dieser Situation wurden zwei Synoden der Diözese einberufen, von welchen die eine 1993 Richtlinien für die Strukturreformen in Poitiers setzte und die zweite 2003 eine Auswertung der gesammelten Erfahrungen zum Ziel hatte.

 

Zwei Ansätze prägten die Synode von 1993. Zum einen sah die Kirche von Poitiers sich selbst mit den gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden. So sei die Frage nach der Gestalt der Kirche, nicht zu lösen von der Frage nach der Entwicklung der Gesellschaft, z.B. die Abwanderung der jungen Leute vom Land in die Städte und damit die Entvölkerung ländlicher Räume. Zum anderen war der Ansatz, die Gleichheit der Getauften, also das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden wieder zu entdecken.6

 

Durch die Wahrnehmung Poitous als Missionsgebiet (trotz hoher Mitgliederzahl von 700 0007), dessen Bewohner sich nicht mehr mit dem Christentum identifizieren konnten, sollte die Dimension der Sendung zur Verkündigung des Evangeliums Priorität erhalten.8 Jegliches „Chefdenken“ sollte umgekehrt werden. Nicht die Gemeindeglieder sollten dem Priester dienen, sondern er ihnen. So wird der Dienstcharakter der Priester am Volk Gottes hervorgehoben. Die Synode berief sich auf die Sakramente der Initiation (Taufe, Firmung und Eucharistie), die jeden Christen befähigen, also auch die Laien ihren Glauben in Wort und Tat zu bezeugen. Die von der Synode eingerichteten Strukturen, also die 14 Räume (territoires), die 74 Sektoren, Verbände und Dienste sollten der Entstehung von Gemeinschaften dienen.

 

Es sollte ein Ansatz gefunden werden, der auf die Unterschiedlichkeiten der örtlichen Gegebenheiten einging. ….Dementsprechend schien Zentralisierung des christlichen Lebens keine Lösung, da diese das Leben auf dem Land weiterhin ausgedünnt hätte. Denn so sah es ohne hin aus: Das öffentliche Verkehrsnetz auf dem Land wurde reduziert, Schulen geschlossen, Dienstleistungen, wie die Post und Einkaufsmöglichkeiten verlagerten sich in die Städte. Dementsprechend zogen die Menschen vom Land in die Stadt um. „Die Ungleichheit wird größer: Zentralisierung schwächt die Peripherie.“9

 

Weitere Gründe waren, dass Zentralisierung die Macht der Priester stärkt und „man keinen einzigen neuen Christen“ dazu gewinnt.10 In anderen Diözesen geschah genau dies, die Vergrößerung der Pfarreien. Ursprünglich sollte das flächendeckende System der Pfarrei der größtmöglichen Nähe dienen. „Ein Priester kann nicht durch einen oder mehrere Laien ersetzt werden, schon gar nicht in Strukturen, die von Priestern für Priester konzipiert und von ihnen bestimmt sind.“11 Die Entscheidung gegen Zentralisierung, ließ den Blick frei werden für andere Orte, die sich anders organisieren:

 

Beispiele anderer Länder zeigen uns Modelle einer ganz anderen Funktionsweise. In Lateinamerika, in der Karibik, in Südostasien, in Afrika. Tausende von Christen sind anders organisiert, in Basisgemeinden, in Wohnviertelgemeinden, in Basisgruppen. Diözesen mit mehreren hunderttausend Einwohnern haben weniger als dreißig Priester oder sogar zwanzig, die weniger überlastet scheinen als die Priester in Frankreich. (…) Weil sie die Organisation, die für unsere Vergangenheit bestimmend war nie gekannt haben, waren sie auch nie in Versuchung zu meinen, Christus habe sie im Stich gelassen! Es geht hier um ein echtes Glaubensproblem. Wenn man das Leben der Kirche mit einer kontingenten Organisation verwechselt, (…), erscheint die Armut als völliges Aufgegebensein, als Gottverlassenheit. (…) Glaubt man hingegen, dass Christus uns treu bleibt und dass Ende einer Struktur nicht schon das Ende der Kirche bedeutet, dass Gott dieser Kirche die Arbeiter zugesteht, die sie heute benötigt, dann öffnet die Hoffnung die Tür zum Erfindungsgeist. Anders gesagt: Sie öffnet die Tür zum Vertrauen.“12

 

Nach der Synode von 1993 entschied sich die Diözese also bewusst gegen Zentralisierung und setzte sich einem Prozess der Neufindung und der Umkehr aus. Sie gab bewusst Raum zum Ausprobieren von Strukturen, welche durch die gemachten Erfahrungen bestätigt oder verändert werden durften. Zehn Jahre später fand 2003 die nächste Synode statt, worin die gesammelten Erfahrungen ausgewertet und offene Baustellen benannt wurden. Den zwei großen Versammlungen im Mai und Oktober 2003 gingen zwei Jahre an Vorbereitung voraus.13 Einige Schritte seien hier benannt, um eine Ahnung der Dimensionen von Beteiligung und des Prozesshaften zu geben: Pfingsten 2001 wurde die kommende Synode angekündigt. September 2001 fand bis Februar 2002 eine große Beratung und Befragung mit den Bewohnern der Diözese statt zum Thema: Dem Leben einen Sinn geben und Kirche gestalten.

 

Von Oktober 2002 bis 2003 sollte das Buch der Apostelgeschichte gelesen und meditiert werden. Im Januar 2003 erfolgte die Einberufung der Deligierten für die Generalversammlungen. Im November 2003 wurde schließlich der Synodenbericht herausgegeben.

 

Drei Merkmale werden hier hervorgehoben:

 

Zum einen sind die christlichen Sakramente der Initiation (Taufe, Kommunion und Firmung) Grundlage.

 

Als Zweites, wird als Ziel Zeugnis zu geben und die Mission der Kirche genannt.

 

Zum dritten wird eine pastorale Grundentscheidung benannt: menschliche Nähe als die Weise, wie Gott in unserer Geschichte gegenwärtig und sichtbar wird.14

 

Grundlegend für eine Neuorientierung mit der Synode von 1993 ist die Frage „Was ist nötig, dass Kirche existiert?“ Bischof Rouet benennt
drei Verantwortlichkeiten:

 

Den Glauben verkünden,
Beten und
den Menschen dienen.
15

 

Dementsprechend wurden drei Laien als Teil deréquipe locale d’animation“ abgekürzt „e.l.d’a.“ jeweils mit diesen drei Verantwortlichkeiten betraut. (Equipe heißt Mannschaft, locale – örtlich, d'animation – zur Belebung, d.h. also einer örtlichen Mannschaft (wie im Sport) zur Belebung der Gemeinden/Kirche.)

 

Methodisch wurde die Erfahrung gemacht, dass die zeitliche Begrenzung (3 Jahre, einmal wiederholbar) sowie eine präzise Aufgabenbeschreibung einen Rahmen setzen, der hilfreich für die Orientierung und die Motivation der Gerufenen ist.

 

Je mehr Vertrauen man nämlich in die Menschen setzt, desto genauer muss eine Verfahrensweise den Rahmen festlegen. Nicht um das Vertrauen dann doch wieder einzuschränken, sondern um den Menschen nicht zu strapazieren und ihre Großzügigkeit nicht zu missbrauchen. (…) Die Exaktheit der Aufgabenstellung ist eine Garantie für Zukunft und Weiterentwicklung.“16 Grundlegend ist für das Anvertrauen von Verantwortlichkeiten die Überzeugung, „dass es keinen Christen gibt, der unnütz ist oder unfähig, etwas beizutragen. Durch den Geist hat jeder für das Wohl aller wenigstens eine Qualität, eine Gabe, ein Charisma empfangen (vgl. 1 Kor. 4,7). Dieses Charisma muss von denen anerkannt werden, die für dieses Gebiet beauftragt wurden. (…) Der Rat des Sektors spricht die Anerkennung aus, das heißt, er ist es auch, der ruft. Und dieser Ruf bringt etwas in dem Menschen, an denen er ergeht, in Bewegung, auch wenn dieser ihn aus gutem Grund nicht annimmt. Der Ruf bewegt das Herz.“17

 

Zwei weitere Verantwortliche, die von der Gemeinde gewählt werden, kommen hinzu: Ein Schatzmeister, der für die materiellen und finanziellen Belange verantwortlich ist und ein Pastoraldeligierter, auf dessen Verantwortlichkeit noch näher eingegangen wird. (zu den Aufgaben dieser Verantwortlichen Seite 8 ff mehr).

 

Die Strukturreformen und Gemeindeentwicklungen fanden und finden in einem Parallelbestehen des alten Systems und einem Spielraum für ein zu Beginn noch nicht genau festgelegtes System statt. „Von den Menschen ausgehen, nicht von den Strukturen“18 meint somit die alten Strukturen, welche zum alten System der Pfarrei gehören und sich nicht mehr an den Beziehungen der Menschen vor Ort orientieren.

 

Bei der Umsetzung und Präzisierung der synodalen Leitlinien von 1993 haben viele mitgewirkt: Priesterrat, Gebiets- und Laiengremien sowie der diözesane Pastoralrat. „Ab 1995 sind die ersten örtlichen Gemeinden entstanden. Die diözesanen Dienste haben Weiterbildungen organisiert (Katechese, Katechumenat, Gebet, Dienst am Menschen). Jedes Jahr finden Treffen für die Pastoralbeauftragten und Schatzmeister statt.“19

 

Da das System der flächendeckenden Pastoral aufgegeben wurde, gab es Gebiete in denen kein Priester mehr arbeitete. Dabei wurden die Gründungen von örtlichen Gemeinden, niemanden aufgezwungen, sondern als Projekt angeboten. Bei den Strukturreformen handelt es sich also um ein Projektangebot. Voraussetzung für eine Gründung ist, dass sich für eine örtliche Gemeinde fünf Christen finden mit entsprechenden Charismen, die sich berufen und wählen lassen, um eine e.l.d’a. zu bilden. Möglicherweise ist die örtliche Gemeinde innerhalb des Gebietes einer ehemaligen Pfarrei oder geht in eine andere über. Das Gebiet entspricht den Beziehungen der Menschen vor Ort. Es ist nicht an die frühere Einteilung der Pfarrei gebunden. Entwicklungen wurden nicht erzwungen, sondern entsprachen der benötigten Zeit der Beteiligten. „Nach ihrem Anfang in ländlichen Gegenden breitet sich die Organisation in den kleinen Städten der Diözese aus. Sie beginnt bis in die großen Städte vorzudringen.“20

 

Was wir gegenwärtig erleben, ist das allmähliche Entstehen einer Gestalt von Kirche, deren Umrisse sich gerade erst abzeichnen. In dieser Etappe bewegt uns, (…), ein doppeltes Verlangen: zuerst auf die Fragen zu hören, die uns gestellt werden, und sie so ernst zu nehmen, dass wir bereit sind Einstellungen und unsere Praxis zu modifizieren; dann an den Grundlagen unserer pastoralen Entscheidungen zu arbeiten und unsere Ekklesiologie zu durchdenken. In einem Kontext, in dem so viele Fragen uns unter Druck setzen möchten und als dringlich hingestellt werden, scheint es uns wesentlich zu sein, den Wert einer gewissen Langsamkeit zu betonen, die uns die nötige Zeit verschafft für die Reflexion, die mit unserem missionarischen Elan zusammengehen muss. Damit versuchen wir, unsere Geschichtlichkeit und Bedingtheit ernst zu nehmen.“ 21

 

Nachahmern, die die Errichtung der örtlichen Gemeinden unzureichend kopieren zu versuchen, tritt der Bischof deutlich entgegen und betont, dass die Verfassung der örtlichen Gemeinde eine Institution sei, die „eine stimmige Konzeption und Logik“ habe.22 Die Institution bildet das Gerüst, um den Körper der Gemeinden aufrecht zu erhalten. Der Bau des Gerüsts entscheidet, inwieweit es den Körper (die Beziehungen der Menschen) tatsächlich oder wenig bis gar nicht stützt. Der Zusammenhang von Institution und seiner Funktionsweise müssen immer wieder überprüft werden.

 

Daher ist eine Funktionsweise notwendig, „die zugleich präzise ist, um jeden zu respektieren, und offen, um Freiheit zu Initiativen zu lassen und Menschen zu ermutigen, sich auf andere hinzubewegen“.23 Deren Anwendung soll auf ihre Schwierigkeiten hin reflektiert werden. Die hier behandelten Schwierigkeiten sind das Rufen neuer Personen, das Vermeiden von Rückschritten sowie die Qualifizierung von Initiativen.

 

Die Begrenzung auf drei bis sechs Jahre hat sich als große Herausforderung dargestellt, jedoch eine Kultur des Rufens entstehen lassen, welche essentiell für die Gemeindeentwicklungen ist. Rückschritt meint, wenn das bisherige Pfarreileben fortgeführt wird ohne Neues zu wagen oder zuzulassen. Kriterien für die Qualifizierung sind das Evangelium und die gelebte Nähe zu den Menschen. Es gibt Initiativen, die dies vernachlässigen.

 

Die Entscheidung gegen Zentralisierung und Vergrößerungen der Pfarreien, war gleichzeitig eine Entscheidung für Nähe, die den Beziehungen der Menschen vor Ort entsprach und ihnen dienen sollte.

 

So sei die grundlegende Frage heute nicht die Zahl oder Größe der Pfarrei (44% der alten Pfarreien zählen weniger als 300 Einwohner). Die wahre Frage findet sich im Funktionieren der christlichen Gemeinden miteinander und innerhalb dieser. Es gilt örtliche Gemeinden am menschlichen Maßstab zu schaffen, wo jeder jedem bekannt ist und jeder anerkannt ist. Dort soll jeder im Leben mit seiner Familie und im Ausüben seines Berufs, eine Idee vom Leben der christlichen Gemeinde haben und wie er dort mitwirken könnte. 24

 

Es wurden bereits die drei ekklesiologischen Grundvollzüge genannt: Leiturgia (Beten), Martyria (Wortverkündigung) und Diakonia (den Menschen dienen). Die drei Grundvollzüge konkretisieren sich in drei Verantwortlichen (délégués), die jeweils vom Pastoralrat des Sektors berufen werden. Aus pragmatischen Gründen kommen dann noch zwei weitere von der Gemeinde gewählte Personen dazu: der Verantwortliche für materielle Belange und der Pastoraldeligierte. Sind diese fünf Verantwortlichkeiten übernommen worden, entsteht die e.l.d'a und das Projekt der örtlichen Gemeinde kann beginnen. Die e.l.d’a. allein bildet noch nicht die örtlichen Gemeinde. Gemeinsam mit den anderen Gemeindemitgliedern sind sie eine Gemeinde. Die Teammitglieder suchen sich nicht gegenseitig aus und müssen sich damit auseinander setzen. Sie teilen miteinander und mit der örtlichen Gemeinde den gleichen Erfahrungsraum. Jedoch sind sie aufgerufen sich in Geschwisterlichkeit einzuüben und eine offene Gemeinschaft zu werden, und so Vorbildcharakter für die örtliche Gemeinde zu sein.

 

Die örtlichen Gemeinden gehen somit auf die Bedingungen der Nähe und der Möglichkeit zur Verständigung ein. Ihre Institution ist jedoch kein starres Gebilde, sondern bietet Spielraum. Ihr Gebiet kann variieren. Allerdings muss es groß genug sein, dass sich fünf Personen für die e.l.d’a. rufen lassen, außerdem „muss das Gebiet lebendigen menschlichen Beziehungen entsprechen. Sonst können diese nicht fruchtbar werden.“25 So gibt es Dörfer, die schon zuvor gut miteinander konnten und andere in denen erst viel Versöhnung geschehen muss. Die Zahl der Mitglieder bewegt sich zwischen 163 und 4000. Ein Sektor sollte um des Austauschs willen auf längere Zeit mehr als nur eine örtliche Gemeinde haben. Das Gebiet sollte möglichst nicht deckungsgleich mit der vorherigen Pfarrei sein, um einen Rückfall in alte Muster zu vermeiden.26

 

Des Weiteren kann der Faktor der kulturellen Verbundenheit, also der Möglichkeit zur Verständigung ebenfalls mehr Gewicht bekommen, sodass es zur Bildung nicht ortsgebundener Gemeinden (communautés non-territoriales) kommen kann: Im Januar 2000 wurde eine vietnamesische Gemeinde im Sektor Hauts-de-Poitiers gegründet und im September 2006 eine afrikanische im Sektor Poitiers-Sud.27 Die Bildung einer Equipe ist immer freiwillig. Sie wird nicht von oben her verordnet, sondern lediglich als Projekt angeboten. Einige örtliche Gemeinden sind neu in Stadtvierteln entstanden, in denen es zuvor keine christlichen Gemeinden gab. Dies bedeutet, dass örtliche Gemeinden sowohl aus vormals bestehenden Gemeinden erwachsen können, als auch neu gegründet werden können. Die Tatsache, dass eine örtliche Gemeinde mit fünf Personen beginnt, weist auch darauf hin, dass Kirche immer eine Gemeinschaft sein muss. „Die Kirche ist ein Volk, ein Leib.“28

 

Eine örtliche Gemeinde hat eine e.l.d’a. und einen zuständigen Priester, der maximal in zehn örtliche Gemeinden in einem Sektor gesandt werden kann. An mehreren Stellen29 wird betont, dass die e.l.d’a. nicht mit der Gemeinde selbst zu verwechseln sei und auch nicht den Priester ersetzen solle oder könne, sie brauche ihn. Er trägt die „Vaterschaft im Glauben“, dient „der Gemeinschaft unter den verschiedenen Gemeinden“ und ist „das lebendige Zeichen für den Anderen“, dabei wandert er wie Paulus von Gemeinde zu Gemeinde.30 „Er muss zum Kern der Sache kommen, zu dem was seine ganz eigene Sache ist: Er muss dem Wachstum im Glauben und der missionarischen Dynamik dienen.“31 Es wird klar unterschieden zwischen Dienstamt und Verantwortlichkeit.

 

Die e.l.d’a. geht heraus zu den Menschen und wagt die Nähe. Sie teilt Aufgaben gemäß den Kapazitäten von jedem ein. Sie arbeitet als Team. Sie trifft sich oft, nicht unbedingt lang, lädt den Priester dazu ein und informiert ihn. Sie führt ein Heft, worin sie Beschlüsse für das nächste Mal und die relecture32 festhält. Der Raum einer Gemeinde ist der Wohnort der jeweilige Mitglieder der e.l.d’a. Jeder, der getauft und gefirmt wurde, kann Mitglied der e.l.d’a. werden. Eine Beauftragung kann ebenfalls von einem Ehepaar oder einer kleinen Gruppe übernommen werden. Zusätzlich kann ein Stellvertreter dazu kommen. Die fünf Verantwortlichen machen nicht alles allein. Jeder von ihnen ist aufgerufen ein kleines Team für seinen Bereich zu bilden. So kommt es zu einem Multiplizieren der Beteiligten.

 

Der/die Pastoraldeligierte

 

Von der Gemeinde wird ein Pastoraldeligierter gewählt, der Vertreter der örtlichen Gemeinde vor den Kommunen ist. Seine Aufgabe ist es u.a. dem Zusammenhalt und der Gemeinschaft zwischen e.l.d’a. und den anderen Gemeindemitgliedern zu dienen. Verglichen mit den bisherigen Pfarreien ist ein bemerkenswerter Anstieg bei der Wahlteilnahme zu verzeichnen.33 Alle Mitglieder der jeweiligen örtlichen Gemeinde, die getauft und gefirmt wurden, können wählen und sind wählbar. Der Pastoralrat des Sektors organisiert die Wahlen.34

 

Der Pastoraldeligierte ist aufgerufen dem Evangelium gemäß zu leben.35 Sein Vertrauen und seine Treue zu Christus sind inmitten aller Bereiche seines Tuns. Im e.l.d’a. ist es seine Aufgabe die Personen der jeweiligen Beauftragungen zu respektieren und zu ermutigen. Er dient der Eintracht des Teams. Seine erste Arbeit besteht darin, ein echtes Team zu schaffen. In der örtlichen Gemeinde lädt er zu den Treffen der e.l.d’a. ein. Er leitet die Treffen und berücksichtigt die Arbeit von jedem. Er trägt Sorge dafür, dass das Heft für die Treffen geführt wird. Er gibt acht, dass die Anliegen der örtlichen Gemeinde zur Sprache kommen. Sein Blick gilt zudem den Entwicklungen der Bevölkerung. Gegebenenfalls macht er die örtliche Gemeinde auf diese aufmerksam. Schließlich sucht er die Offenheit der Gemeinde zu pflegen. Außerhalb der örtlichen Gemeinde ist er deren Repräsentant. Unter Verantwortung des zuständigen Priesters, schafft er Verbindungen und Kontakte zu den betreffenden öffentlichen Verwaltungseinrichtungen. Gemeinsam mit dem Priester und dem Schatzmeister, wacht er ebenfalls über das Innere des Kirchengebäudes. Im Sektor ist er Mitglied des Pastoralrates. Mit den anderen Mitgliedern der e.l.d’a. denkt er darüber nach, wie ein pastorales Projekt umgesetzt werden kann. Er stellt die Verbindung zwischen seiner örtlichen Gemeinde, dem Sektor und den anderen christlichen Gruppen (Bewegungen und Verbände, religiöse Kommunen, Orden) her und pflegt sie. Am Ende der drei Jahre bereitet er mit den anderen Beauftragten seiner örtlichen Gemeinde einen Auswertungsbericht für den Sektor vor. Des Weiteren pflegt er das Rufen von Menschen, für seine Gemeinde und für die Berufungen der Kirche. Am Ende seiner Beauftragungszeit gibt er Auskunft über seine weitere Dienstbereitschaft und Ansprechbarkeit für andere ekklesiale Dienste.

 

Der/die SchatzmeisterIn

 

Der gewählte Schatzmeister trägt die Verantwortung für die laufenden kleineren Kosten in der Gemeinde. Er steht im Kontakt mit den Kommunen bei materiellen Belangen und ist Mitglied des Sektoralrats für Finanzen (hier werden die größeren Kosten der Gemeinde behandelt).36 Während der Einsetzung einer Örtlichen Gemeinde wird die Art und Weise, wie man mit den Gütern wirtschaftet, festgelegt durch den Bedarf der Mission und die Notfälle der Nächstenliebe. Die christlichen Gemeinden haben sich an die öffentlichen Regeln des Staates zu halten. Die beiden Synoden haben Prinzipien (Übersichtlichkeit und Rechenschaftsabgabe, Solidarität im Sektor und in der Diözese, geteilte Verantwortung hinsichtlich der pastoralen Entscheidungen) und die Finanzverwaltung der Diözese hat genaue Regeln für die örtlichen Gemeinden erstellt.

 

Der /die Gebetsverantwortliche

 

Seit den Ursprüngen der Kirche gibt es die Liturgie. Das christliche Gebet ist zu allererst gemeinschaftlich.37 Das gemeinsame Gebet vereint das Wort Gottes mit den Ereignissen unseres Lebens und das der, die um uns sind. Um eine Liturgie vorzubereiten, braucht es somit zunächst die Textmeditation und das erneute Betrachten der Ereignisse des Gebietes und der Gemeinde. Darauf wählt man die Lieder, die Gesten usw. Die Person, welche für das Gebet beauftragt wurde, (und ihr Team) hält die Kirche offen und sauber. Sie sorgt für die Blumen und hält die Sakristei instand. Sie schlägt besondere Zeiten für ein gemeinsames Gebet vor. Mit ihrem Team, denkt die verantwortliche Person daran zu Liturgien einzuladen: Eine Familie in Trauer, Paare zur Ehevorbereitung, Jugendliche und Kinder, die selbst vorschlagen können wozu gebetet werden soll. Denn die Öffnung für das Gebet hat eine missionarische Dimension. Das betende Volk, ist ein Volk des Zeugnisses. An Sonn- und Feiertagen bereitet die Person, die für das Gebet beauftragt ist, (und ihr Team) die Messe vor, wenn der Priester des Sektors kommt. Falls ein anderer Priester, der auf der Durchreise ist, kommt und der zuständige Priester davon erfahren hat, kann die Eucharistie gefeiert werden. Wenn es gemäß des Sektorkalenders keine Eucharistiefeier gibt, feiert die örtliche Gemeinde eine sonntägliche Versammlung.

 

Der/die Verantwortliche für die Verkündigung

 

Das Zeugnis des Glaubens drückt sich folgendermaßen in der Gemeinde aus: Sie bekennt ihren Glauben im öffentlichen Leben und indem sie Rechenschaft gibt.38 Christus hat ein einziges Gebot erlassen, an welchem wir als seine Jünger erkannt werden sollen: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Den Glauben zu verkünden ist keine Nebensache der örtlichen Gemeinde, es ist die erste Verantwortung der ganzen Gemeinde. Diese Aktivität vereint die Gemeinde. Die Entdeckung des Evangeliums und der Kirche lässt sich in jedem Alter machen. Es ist ein Geschenk für eine Gemeinde, wenn sie einen Erwachsenen zur Taufe hin begleitet. Nach dem ersten Kontakt, wird ein Gang im Sektor gemacht und eine Verbindung zum diözesanen Dienst für Katechumenat hergestellt. Beim Anlass der Bitte um eine Eheschließung, der Bitte um eine Kindertaufe, eine Einschreibung in einen Glaubenskurs können die Erwachsene, die als Kleinkind getauft wurden, ihren Wunsch nach Glaubensvertiefung ausdrücken. Es ist wichtig sie zu empfangen und ihnen einen Vorschlag im Sektor zu machen. Es ist normal eine Zeit der Weiterbildung und Vertiefung im christlichen Glauben vorzuschlagen.

 

Der/die Verantwortliche für die Barmherzigkeit (Charitas)

 

Die örtliche Gemeinde übt einen Dienst aus, der an das Teilen der ersten christlichen Gemeinde erinnert.39 Die Kirche ist der Ort, wo sich die Liebe Gottes ausdrückt, vor allem dort, wo Menschen durch das Leben auf verschiedene Weise verletzt wurden. Für die örtliche Gemeinde bedeutet dies ein aufmerksames Sehen üben, denn oft versteckt sich Armut. Diese ist vielfältig: Einsamkeit und Krankheit, ungesundes Wohnen und Erwerbslosigkeit. Die erste Arbeit besteht also darin, das Leid unter uns zu entdecken. Natürlich kann man nicht alles tun. Wir müssen in Weisheit unsere Grenzen kennen. Geld ist nicht immer das wichtigste: ein Besuch, ein Dialog sind Taten der Anerkennung. Zusammen gilt es sich zu engagieren. Viele Christen sind bereits in zivilen oder kirchlichen Bewegungen tätig. Es ist dennoch wichtig, dass die örtliche Gemeinde Zeugnis gibt von ihrem Dienst. Dies verhindert nicht die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen. Es gibt viele Arten und Weisen Nächstenliebe zu üben, den vielen Händen und Schritten entsprechend: Ein Besuch, ein Auftrag, ein zurückerwiesener Dienst, eine heiße Suppe, Zeit mit einem anderen.

 

Wie auch immer die Gemeinde diakonisch tätig ist, Trauerbegleitung einer Familie, zusammen Weihnachten feiern oder zusammen beten – Die Liebe ist erfinderisch!

 

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Die Verantwortlichkeit selbst wird durch die unterschiedlichen Personen und deren Eigenarten, die sie über die Jahre ausüben, differenziert. Es kann negativ wirken, wenn eine Person, die zuvor eine Verantwortlichkeit übernommen hatte, ganz allein versucht ihre Nachfolge zu sichern, da sie möglicherweise nach jemandem, der wie sie selbst ausschaut. „Wenn man einen Posten zu sehr personalisiert, verwehrt man Leuten mit anderem Profil den Zugang.“40 Umso wichtiger ist es, dass es Sache des Pastoralrats des Sektors ist, eine geeignete Person zu berufen. Die zeitliche Begrenzung einer Verantwortlichkeit setzt einen überschaubaren Rahmen, der zugleich eine Überforderung oder gar ein Ausnutzen verhindern soll. Zum anderen entsteht aus der Begrenzung ein Aufmerksamwerden für die Charismen in der Gemeinde und eine Kultur des Rufens. Die Aufmerksamkeit für Charismen soll hierbei nicht auf die fünf Verantwortlichkeiten beschränkt werden. Es sollen Personen nicht ausschließlich für bestimmte Aufgaben gesucht werden, sondern es soll von der Person ausgehend gefragt werden, inwieweit deren Charismen der Gemeinde und dem Aufbau des Leibs Christi dienen können. „Die Phase des Suchens kann lange dauern, manchmal kann sie sich über mehrere Jahre hinziehen. Es ist eine Zeit des Heranreifens und des immer wieder neuen Erklärens.“41 „Jeder Verantwortliche hat die Mission, Menschen zu rufen, die mit ihm zusammenarbeiten. Auf diese Weise breitet sich in einer Kirche, die ruft, weil sie selbst gerufen ist, eine Kultur des Rufens aus.“42 Des Weiteren bringt die zeitliche Begrenzung für die Gemeinde die Notwendigkeit und die Zeit einer Auswertung der vergangenen drei Jahre. Es ist eine Zeit der Prüfung, in welcher die Chance zur Erneuerung liegt.43Für die Teammitglieder gibt es eineZeit der relecture, dem geistlichen Wiederlesen der erlebten Erfahrungenim Horizont derNachfolge Jesu, die mit dem Ende des Mandats weiter geht. Die relecture wird mit einem Diözesanbeauftragten durchgeführt. Sie fördert außerdem eine Kultur des Austausches über die persönlichen Glaubenserfahrungen. Dieser Austausch ist meist ungewohnt und fremd und benötigt Zeit, um eingeübt zu werden.44

 

Für die Zeit der Erneuerung gibt es kein perfektes Rezept.45

 

Bis heute hat jede Person, die ihr Mandat abgab, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger gefunden.“46

 

Zu den inneren Strukturbedingungen gehört unter anderem die strukturierte Kommunikation, welche eine gewisse Ordnung des Kommunizierens meint, die den Beteiligten bekannt ist und ihnen zur Orientierung im Miteinander dient.47 Im Ablauf des Gottesdienstes, einer Andacht oder Trauerfeier gibt es z.B. unterschiedliche Momente des Redens, Schweigens, Hörens und Singens der versammelten Gemeinde und der Gemeindemitglieder, die diesen strukturieren. Für die gebetsbeauftragte Person (und ihr Team) ist es ein Lernprozess, wie eine Andacht oder eine sonntägliche Versammlung zum Gebet etc. vorbereitet und begründet wird.48 Die Zusammenstellung der e.l.d’a. haben, wie zuvor erwähnt, deren Mitglieder nicht selbst gewählt, sie müssen lernen zu kommunizieren, zuzuhören und eine Gemeinschaft zu werden, die den anderen Mitgliedern vor Ort dient und im Horizont des Sektors arbeitet.49 Für die Leitung der e.l.d’a. Treffen und der Kommunikation mit der kommunalen Gemeinde ist der Pastoraldeligierte zuständig, in den einzelnen Teams ist es, die mit der Verantwortlichkeit beauftragte Person.

 

Eine strukturierte Kommunikation an sich macht jedoch noch nicht das „Spezifikum der Kirche“ aus.50 Dieses nimmt erst Gestalt an, wenn Menschen sich gemeinsam um das Wort Gottes versammeln. Dem Wort Gottes kommt also ein zentraler und ein fester Ort zu, um dem Wesen, Auftrag und Ursprung von Kirche zu entsprechen, (ist diese doch aus evangelischer Sicht selbst creatura verbi divini).51 Der feste Ort kann symbolisch in Form der aufgeschlagenen Bibel auf dem Altar oder in praktischer Form im Lesen, Hören, Auslegen und Bedenken des Bibeltextes geschehen. Neben dem Gottesdienst kann es andere vielfältige Bereiche in der Gemeinde geben, in denen die Verkündigung und das Praktizieren des Wort Gottes hör- und sichtbar werden.52 Aus katholischer Sicht ist die Kirche das gerufene, gesammelte und gesendete Volk Gottes, welches an Gottes Heilsgaben Teil hat, dadurch ein Mysterium Gottes und ein Sakrament für die Welt ist.53

 

Der Gottesdienst oder die sonntägliche Versammlung zum Gebet hat in den örtlichen Gemeinden eine neue Qualität im Bewusstsein und in der Benennung bekommen. Auf einer Arbeitshilfe wird zum Thema „Les assemblées dominicales“ darauf hingewiesen, dass die alte Bezeichnung der sonntäglichen Versammlung in Abwesenheit des Priesters („assemblée dominicale en l’absence de prêtre - ADAP“) eine Notlösung war.54 Denn Christen versammeln sich nicht unter dem Vorwand, dass ihnen der Priester fehlt. Sie kommen zusammen, um die Schöpfung, welche den Menschen anvertraut wurde, und vor allem um die Auferstehung des Herrn, den Tag des Herrn, zu feiern. Der auferstandene Christus hat seinen Namen für den Sonntag gegeben. Es ist wichtig, aufmerksam das Wort Christi zu behalten: „Da wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).

 

Die örtlichen Gemeinden versammeln sich natürlich wie alle anderen christlichen Gemeinden um das Wort Gottes. Die drei Grundvollzüge sind dabei feste Orte, an denen das Wort Gottes konkret Gestalt oder ein Lautwerden gewinnt. Das Besondere der örtlichen Gemeinde ist jedoch ein spezifisches Lautwerden, eine „Akzentsetzung“55 des Wort Gottes: Die Verheißung der Taufe. Die Taufgnade und damit auch eine missionarische Dimension nehmen eine zentrale Stellung ein. Die Mission der Kirche ist nicht von ihrem Mysterium zu trennen. Denn die Kirche „ist ihrem Wesen nach ‚missionarisch‘, da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des Vaters“ (AG 2). Das Bekenntnis des trinitarischen Glaubens drängt die Kirche demnach auf die Wege der Mission.56 Bei den örtlichen Gemeinden, die auch „Gemeinden der Nähe“ genannt werden, handelt es sich um eine „Mission der Nähe: Christinnen und Christen tun etwas dafür, näher zu den Menschen hinzugehen und diesen zu erlauben, näher zu kommen; so zeugen sie für die Nähe des Evangeliums.“57

 

Kirche entwickelt sich nur dann weiter, wenn sie immer wieder eine Metanoia vollzieht, also umkehrt, sich bekehrt und neu anfängt. Die Erfahrung lehrt, dass Verordnungen und Abhandlungen dazu allein nicht ausreichen.58 So gibt es Andachten und Gottesdienste mit Tauferinnerungen, die bewusst den Neuanfang in der Beziehung mit Gott und die damit verbundenen Verheißungen ins Gedächtnis rufen. Besonderes Gewicht kommt der Begleitung von Katechumenen und Neugetauften zu, wobei die Gemeinde immer wieder lernt den Glauben und dessen Relevanz im persönlichen Alltag und dem eigenen Leben in Wort und Tat neu zu buchstabieren.59 Die örtlichen Gemeinden fußen auf der Bekehrung der Gemeinde und auf einem Leben nach dem Evangelium von jedem Mitglied. Diese Bekehrung gilt es unaufhörlich zu wiederholen und zu verfolgen. So gilt es darauf zu achten, dass sich über die Jahre nicht die Gewohnheit und der Trott einrichten.60

 

Das Taufbekenntnis zur Trinität Gottes wird hervorgehoben, welches Konsequenzen für das Miteinander der Christen haben sollte. Dieses Bekenntnis zur Einheit, zur Gemeinschaft und zur Gleichheit der drei unterschiedlichen göttlichen Personen, die zueinander in Beziehung stehen, bilden die Grundlage für ein geschwisterliches Miteinander der Teammitglieder der e.l.d’a. und der Christen allgemein. Es ist demnach nötig, dass die Kirche Zeugnis von dieser Gleichheit in der Verschiedenheit und der Gemeinschaft zwischen den Glaubenden gibt (Rm 12,4-5). Es ist die gleiche Taufe, die uns alle zu Christen macht.61 In diesem Sinne geben bereits die Treffen der e.l.d’a. Zeugnis davon, inwieweit gegenseitige Unterstützung, Ermutigung, Versöhnung und Vergebung in den Beziehungen untereinander gelebt werden. Das Bekenntnis zur Trinität eröffnet gleichzeitig die Dimension von Mission, zu der die Kirche und somit ebenfalls eine e.l.d’a. beauftragt sind. Russeil spricht von einer tiefen Freude, mit welcher die e.l.d’a. ihren Teil der Mission wahrnehmen.

 

Als dritter Punkt wird die Entdeckung von Gaben und versteckten Talenten benannt, welches das Vertrauen, das Menschen ruft, ans Licht bringen kann. Die Erfahrung in örtlichen Gemeinden ist, dass der Heilige Geist sich wirksam erweist in den Begabungen, die in den Menschen gelegt sind.

 

Es gibt kein steriles Christsein. Jeder bringt seine persönlich empfangene Gabe für die anderen ein. Der Glaube erfordert, dass wir uns auf solche Weise organisieren, dass jeder Christ bekannt und anerkannt sei. Das Glaubensleben ist Teilen und Dialog.62

 

Es obliegt der pastoralen Arbeit diese Begabungen zu erkennen, zu unterscheiden und ihnen angemessenen Raum zur Entfaltung zum Wohle aller zu geben (Röm 12,1-16; 1 Kor 12,12-31). Mit den Worten der Kirchenväter Nordafrikas: „Man kommt nicht als Christ zur Welt, man wird zu einem“. Es gilt in einem Paradoxon von zwei Seinsformen als Christ zu leben, nämlich gleichzeitig verwurzelt und in Bewegung zu sein. Wenn wir dies nicht ertragen, riskieren wir in die Bedeutungslosigkeit oder in die Selbstgenügsamkeit zu fallen. Es gilt eine Achtsamkeit darüber zu pflegen, inwieweit unsere institutionelle Gestalt mit dem Evangelium übereinstimmt. Es werden einige Beispiele geannt wie offene Kirchentüren, das Instandhalten des Kirchengeländes, Trauerbegleitung von Familien, der Empfang für die Vorbereitung zur Taufe und Ehe, die Zeugnis für die Mitmenschen sein können und nicht den Amtsträgern allein vorbehalten sind. Das freiwillige Engagement der Christen einer örtlichen Gemeinde, welches auch außerhalb der Gemeinde sein kann, im Verein oder in der Kommune, ist Quelle der Glaubwürdigkeit und Anerkennung in der Gesellschaft. „Ces services témoignent de la vie spirituelle de ceux qui les vivent.“63Von grundlegender Bedeutung sind dabei gerade die Alltags- und Berufserfahrungen der Laien.64

 

So verlangt das menschliche Netz aus Beziehungen zuallererst Nächstenliebe und Aufmerksamkeit dem gegenüber, der sagt: „Ich gebe euch ein neues Gebot. Liebt einander. Daran soll man euch als meine Jünger erkennen“(Joh 13,34f.). Es gilt Begegnungen zu wagen und Verständnis für alle Einwohner des Gebietes einer örtlichen Gemeinde zu haben, auch die, die noch nie in der Kirche waren. Die Kirche, somit auch die örtliche Gemeinde ist wegen ihnen gemacht und zu ihnen gesandt worden. 65 Eine Möglichkeit Nähe zu leben, ist die räumliche und zeitliche Einrichtung eines gastfreundlichen Ortes, der bekannt gemacht wird und an dem Menschen mit Angelegenheiten, Problemen, aber auch einfach nur so zum Gespräch vorbeikommen können. Die Menschen, die diesen Dienst verrichten, vertreten die Kirche. Sie berichten wie sie gelernt haben, anders auf die Menschen zu schauen, für sie in dieser Zeit voll und ganz da zu sein, und von den Überraschungen, dem Unerwarteten, das sie erlebt haben.66 Begräbnisse und Taufen haben dabei als besondere Situationen den Verantwortlichen u.a. neu existenzielle Fragen stellen lassen. Bulteau bezeichnet diese Glaubensprozesse als „einen Weg (…), um immer mehr Mensch zu werden.“67

 

In der Unentgeltlichkeit dieser Dienste, spiegelt sich Gottes Großzügigkeit wieder. In den örtlichen Gemeinden wurde die Erfahrung gemacht, dass der Taufglaube sich dort entfaltet, wo Männer und Frauen frei Verantwortung annehmen. Sie geben sich nicht zufrieden beim Reden über Probleme zu bleiben. Bei ihnen ist eine Haltung des Vertrauens und der Bereitschaft zu Dienen zu verzeichnen. Dies geschieht in kleinen, bescheidenen, aber echten Schritten. Diese Art und Weise in der Welt zu leben, wird von den kommunalen Verantwortlichen wertgeschätzt. „Ils savent pourvoir compter sur des chrétiens.“68

 

Auf die Frage, wie sich ein Bewusstsein für die Taufe und dessen Bedeutung entwickelt, führt Russeil an, dass in diesem Bereich eine unendliche Kreativität besteht, gleichzeitig aber hinter den verschiedenen Angeboten der Diözese pädagogische Konzepte stehen, in die investiert wurde. Als Beispiele nennt er u.a. die grundlegenden Impulse der Diözesansynoden69, das seit 1974 gegründete Theologische Zentrum, einen zweijährigen Kurs für Laien, Bibelkurse, die im Monat zweimal erscheinende Bistumszeitung mit praktischen Arbeitshilfen.70 Für die e.l.d’a.s spielt der diözesane Dienst bei der relecture, der spirituellen und pastoralen Deutung der gesammelten Erfahrungen, die sie im Verlaufe der drei Jahre gemacht haben, eine wichtige Rolle. Es gilt herauszufinden, was für Christen sie am Ende dieser Wegstrecke geworden sind.71

 

Russeil beschreibt drei Herausforderungen und drei Risiken, die mit solch einer Akzentsetzung auf den Taufglauben einhergehen:

 

Die erste Herausforderung ist es, den Glauben in dieser Welt zu leben und glaubwürdig das Evangelium zu verkünden.

 

Die zweite ist es, wiederum glaubwürdig und sichtbar einen Leib, den Leib Christi zu bilden.

 

Die dritte betrifft die Zukunft und die Notwendigkeit der Dienstämter, die als Gelenke zwischen den Gliedern funktionieren.

 

Es ist erstaunlich zu sehen, wie die Mitglieder der e.l.d’a.s, wenn ihre Taufwürde zur Entfaltung kommt, den Priestern mit mehr Respekt und Wertschätzung begegnen.72

 

Als Risiken sieht Russeil:

  • die Gefahr der Gemeinden, sich in sich selbst zu verschließen,

  • das alleinige Wiederholen von bereits Bekanntem und die damit verbundene Verhinderung der Metanoia, der Buße.

  • Zuletzt nennt Russeil als mögliches Risiko den Wegfall der missionarischen Dimension der örtlichen Gemeinden, die ohne diese nur noch zu Verwaltern des Priestermangels degradiert werden.73

 

Schließlich stellt Russeil fest, dass die örtlichen Gemeinden für die Schönheit der Taufgnade und die Neuartigkeit eines Lebens in Christus stehen. Sie bezeugen, dass der Ruf zur Heiligung und zur Beteiligung an der Mission der Kirche an alle gerichtet ist. Diese pastorale Wahl zeichnet ein Bild von Kirche in der Welt, die fortwährend in der Geburt ist.

Der Sektor und die örtlichen Gemeinden stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander.74

 

Der Sektor ersetzt nicht die örtlichen Gemeinden. In der Beziehung zwischen Sektor und den örtlichen Gemeinden treffen unterschiedliche christliche Formen zusammen (Bewegungen und Dienste). Daneben geht es auch um die Beziehungen der Gemeinden untereinander, die eine Kommunion bilden. Die Lebendigkeit des Sektors ist von den örtlichen Gemeinden abhängig. Je lebendiger sie sind, desto aktiver wird er sein. Er unterstützt ihre Initiativen und fördert ihren Austausch. Er entsendet sie in die Mission und unterstützt sie durch die relecture ihrer Arbeit, sodass jeder seine Gaben ausüben kann. Die örtlichen Gemeinden werden vereint durch die Dienstämter der Kirche, um den Leib Christi zu formen.

 

Die Einsetzungsfeier der e.l.d'a

 

Nachdem die e.l.d’a. konstituiert wurde und sie bereits eine Weile arbeitet, erfolgt eine Einsetzungsfeier durch den Bischof oder Bischofsvikar. Zum einen um die Übernahme von Verantwortung im Gegensatz zu bloßen Helfen und guten Willen zu kennzeichnen. Zum anderen bringt der Ritus die empfangene Mission der Kirche zum Ausdruck und schafft Neues.

 

Russeil beschreibt den Ablauf der Errichtungsfeier, die eine dafür eigen geschaffene Liturgie bekommen hat. Er hebt drei strukturierende Momente75 hervor. Hierbei führt er die Frage- und Antwortpassagen an die jeweiligen Beauftragten auf. Der Bischof ruft den Priester, dieser ruft die Mitglieder der e.l.d’a. nach vorn. Nach jedem Moment wird ein Gebet gesprochen. Erster Moment ist das Rufen. Zweiter Moment ist die Übertragung der Aufgaben. Im dritten Moment werden die e.l.d’a. und die dazugehörigen und nun gerufenen équipes (dt. Mannschaften wie im Sport) gesegnet und ausgesendet. Ist der Bischofsvikar da, so stellen sie sich gemeinsam dabei vor das Evangeliar oder vor das Kreuz. Ist der Bischof da, so darf der Hirtenstab berührt werden.76 Nach der Eucharistiefeier wird, um die Teilhabe auszudrücken der Hirtenstab, das Evangeliar oder das Kreuz zusammen gehalten.77 Russeil hebt die notwendige Abfolge von Ruf-Antwort-Sendung hervor. „Weil wir gerufen sind, werden wir zur Antwort fähig.“78 Diese Befähigung drückt die Annahme von Verantwortung aus. Diese Verantwortung wiederum ist Teil der Sendung Gottes, die gute Nachricht den Menschen vor Ort zu verkünden. Die Gerufenen werden dabei in der Errichtungsfeier öffentlich vor Gott gestellt und „vor die ihnen für eine bestimmte Zeit anvertraute Mission.“79 Des Weiteren werden in der Eucharistiefeier der geographische, politische und soziale Kontext der örtlichen Gemeinde vorgestellt, denn sie lebt nicht für sich, sondern erfährt ihr Werden und Leben im Nahe sein der Menschen.

 

Das Taufbekenntnis soll besonders hervorgehoben werden, wobei alle Gemeindeglieder einbezogen werden. Das Ausgießen des Heiligen Geist wird zur Erbauung der Gemeinde und Kirche erbeten.

 

Nachdem Gisèle Bulteau 13 Jahre Diözesanbeauftragte für Seelsorge an Schulen war, übernahm sie 1998 die Aufgabe, die ca. 100 örtlichen Gemeinden zu begleiten und die Kontakte zu den Diensten der Diözese herzustellen. Zuvor hatte es eine solche Stelle nicht gegeben, sollten die Gemeinden doch erstmal selbst ihre Erfahrungen machen. Nun erschien es aber von Vorteil einen Diözesanbeauftragten mit der Begleitung der neu entstandenen Gemeinden zu betrauen. Begleitung bedeutet hierbei zunächst „zuhören und anderen das Wort zu geben, ein Klima des Vertrauens und der Geschwisterlichkeit schaffen, Verbindung herzustellen, zwischen dem was man erlebt und erzählt, und dem Wort Gottes.“80 Die meiste Zeit verbringt sie „mit der relecture von Erfahrungen, um besser Erfolge und Fehlschläge zu verstehen und besser herauszufinden, wohin das Wort Gottes uns ruft. Oft bin ich Garantin und Zeugin wichtiger Übergänge in örtlichen Gemeinden, insbesondere bei der Errichtung und der Erneuerung von Gemeinden.“81

 

Wird die schmerzlich erfahrene Vergänglichkeit der flächendeckenden pastoralen Strukturen von der Treue Gottes unterschieden, wird seiner Zusage, der Kirche genug Arbeiter zu geben, wieder Gewicht gegeben. Sie „öffnet die Hoffnung die Tür zum Erfindungsgeist. Anders gesagt: Sie öffnet die Tür zum Vertrauen. Die Christen sind eingeladen, miteinander so umzugehen, wie Gott mit ihnen umgeht: mit Vertrauen.“82

 

Armut:

 

Rouet verweist darauf, dass es sich „um ein echtes Glaubensproblem“ handele, wenn das Leben der Kirche mit einer Organisation verwechselt werde, sodass „deren Armut als völliges Aufgegebensein, als Gottverlassenheit“ verstanden werden kann. Die Aktivitäten konzentrieren sich auf den Erhalt „der Strukturen von gestern“, wobei man „zu allen Tricks bereit“ ist. So werden Ersatzlösungen herangezogen, wie z.B. das Senken der „Kriterien für die Priesterweihe (Hauptsache fromm!). In solchen Fällen gilt die Armut als Katastrophe: Was wird da aus der ersten Seligpreisung?“83 Diese Armut, die einen Mangel an Finanzen, an Kirchenmitgliedern, an Priestern beschreiben kann, kann in eine grundlegendere tieferliegende Armut führen, nämlich eine spirituelle Armut. Diese Armut kann ebenfalls bestehen bei finanziellen Reichtum, vielen Kirchenmitgliedern und vielen Priestern. Wie auch immer die Situation der Finanzen, der Mitglieds- und Priesterzahlen ist, ist die spirituelle Dimension, die Gottesbeziehung zu pflegen und als Fundament anzusehen, auf das alle andere folgt und gebaut wird. Armut kann also auch positiv verstanden werden, als ein Angewiesensein auf Gott, das es gilt zu hegen und zu pflegen. So sieht Kasper für die Kirche, das regelmäßige Besinnen auf die Quellen, aus denen Kirche lebt, nämlich das Wort Gottes und die Sakramente als zweite Perspektive an.84 Diese Armut beschreibt ebenfalls eine Empfangsbereitschaft und ein Empfangsbewusstsein, die Gottes Gaben in Dankbarkeit wahrzunehmen und anzunehmen. In Poitiers wurde und wird diese Armut gepflegt. Sie ließ die Diözese noch unbekannte Wege gehen und sich einem Prozess der Umkehr aussetzen. Die unbekannten Wege waren z.B. die zehn Jahre zwischen den beiden Synoden, in denen ein Spielraum des Ausprobierens errichtet wurde, in dem Erfahrungen gesammelt werden durften.

 

Bei der Einsetzungsfeier der e.l.d’a. sind eine Eucharistiefeier und eine Tauferinnerung grundlegende Bestandteile. Den örtlichen Gemeinden ist es erlaubt die Kommunion mit bereits zuvor konsekrierten Brot ohne Priester innerhalb der sonntäglichen Versammlungen zu feiern, dabei gehört zur Liturgie die Bezugnahme auf die Eucharistiefeier, die an diesem Sonntag im Sektor in einer anderen örtlichen Gemeinde gefeiert wird. Die örtlichen Gemeinden praktizieren ebenfalls ein bewusstes Kommunionsfasten, um sich die Bedeutung der Eucharistie immer wieder bewusst zu machen. Die Krankenkommunion darf die örtliche Gemeinde ebenfalls ohne den Priester praktizieren. Im Gemeindeleben wird sie als wichtig erachtet.85

 

Das Studieren der Bibel und der Austausch in Bibelkreisen nehmen ebenfalls eine wichtige Rolle dabei ein. Den Mitgliedern der örtlichen Gemeinden wird bewusst gemacht, dass ihr Getauftsein einerseits eine Verwurzelung und andererseits eine Bewegung ist. Es wird an mehreren Stellen davon gesprochen, dass es nötig sei im Glauben erwachsen und mündig zu werden. Die Gemeindemitglieder lernen Zeugnis in Wort und Tat von der Taufgnade zu geben, die sie empfangen haben. Die Verheißungen, die mit der Taufe einhergehen, bekommen bewusst Raum zur Gestaltwerdung in den drei Jahren einer e.l.d’a. Die relecture und die Erneuerung einer e.l.d’a. sind ebenfalls regelmäßige Prozesse der Tauferinnerung.

 

Wenn Strukturen der Kirche als ein umfassendes System von Beziehungen verstanden werden, die sowohl die Beziehungen zum Inhalt als auch der Menschen miteinander, dann kann Vertrauen als essentielle Bausubstanz der Strukturen verstanden werden.

 

Das Vertrauen, welches in der Gesprächsinitiative zu Tage tritt, ist ebenfalls in Poitiers anzutreffen. Hadwig Müller stellt fest, dass das Entscheidende dieser Gesprächsinitiative das Vertrauen ist. Sie beschreibt was passiert, „wenn Vertrauen zum Baustein von Kirche wird.“86 Einige ihrer Beschreibungen wie sich Vertrauen im Hinblick auf die Gesprächsinitiative zeigt, soll im Folgenden auf Poitiers übertragen werden, denn dort heißt es: „Es sind nicht die Christen, die fehlen, was fehlt, ist das Vertrauen, das man ihnen entgegenbringt.“87 Dieses Vertrauen war Voraussetzung für die Entstehung der örtlichen Gemeinden. Müller sagt: „Vertrauen ist ein Akt der Freiheit, der frei lässt.“88 Diese Freiheit spiegelt sich in den örtlichen Gemeinden wieder. Zu deren Gründung und Gemeindeleben haben sich die Gemeindemitglieder selbst entschieden. Sie waren frei auf das Projektangebot und das ihnen entgegengebrachte Vertrauen der Diözese zu antworten. „Dieses Vertrauen begründet das Bewusstsein, dass alle Getauften aktive Partner einer gemeinsamen Mission sind.“89

 

Das Vertrauen, das den örtlichen Gemeinden entgegengebracht, geben diese zurück, indem sie „zustimmen eine Kirche zu sein, die noch im Werden ist“90 und damit sich und ihre Zukunft Gott anvertrauen. Dadurch und durch ihre stetige Neuerung, entdecken sie ihren Glauben immer wieder neu und können von Katechumenen lernen.

 

Das produktive Handeln nutzt nicht nur bereits gegebene Ziele und Regeln, sondern sucht auch „neue Ziele und Regeln zu finden und zu erfinden; die örtlichen Gemeinden (…) sind das Ereignis, in dem es passiert.“91 Der Sektor entspricht nicht einer Großpfarrei und die örtliche Gemeinde ist ebenfalls etwas anderes als eine bloße Untergliederung der Pfarrei. Neuartige Ziele und Regeln haben sich entwickelt, z. B. die e.l.d’a., in denen zwei von der Gemeinde gewählt werden und drei vom Sektoralrat berufen werden. Es wurde entdeckt, „dass die anvertrauten Aufgaben nicht selbst das Ziel sind.“92 Produktives Handeln ist also ein Prozess, in dessen Verlauf Ziele und Regeln erst gefunden werden müssen.

 

Woran produktives Handeln hingegen anknüpft bzw. woher es seinen Leitfaden gewinnt, sind Schlüsselerfahrungen. Damit sind Erfahrungen gemeint, die im Handeln selbst gemacht werden und für das Handeln maßgeblich werden. Ja es sind die Erfahrungsberichte aus den örtlichen Gemeinden (…), die sagen: ‚Es geht!‘ und ‚So geht es!‘“93

 

Hierzu gehört die Entdeckung, dass nach drei bzw. sechs Jahren Nachfolger gefunden wurden, nur indem Menschen gefragt wurden, „die im Milieu der alten Pfarrei gar nicht als potenzielle Kandidaten für ein Amt in Erwägung gezogen worden wären. Aber genau so geht es!

 

Das hat eine wichtige Konsequenz: Erneuerung wird hier nicht ‚gemacht‘, sondern erfahren. (…) Diejenigen die eine örtliche Gemeinde bilden müssen umkehren, denn sie müssen alte Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten aufgeben, erfahren zugleich aber, was sie nicht für möglich gehalten haben – weder bei sich noch bei anderen.“94

 

Dabei wird die Form des Erzählens bewusst in den Texten aus Poitiers verwendet, um produktivem Handeln zu entsprechen und es zu fördern. Die relecture beruht auf Erzählen. Aus den ersten Erfahrungen der jeweiligen e.l.d’a. entsteht „ein Bild des Sich-Ereignens örtlicher Gemeinde. Produktives Handeln entbehrt der Vorschriften, produziert aber ein Vorbild.“95

 

Im Verlauf eines Prozesses sammeln die örtlichen Gemeinden durch produktives Handeln neuartige Erfahrungen und machen dabei die Entdeckung von Schlüsselerfahrungen. Diese Erfahrungen werden zu Vorbildern für andere Gemeinden und werden in einer Kultur des Erzählens weitergegeben. In den Texten von Poitiers, werden Dinge berichtet, die „alle sagen“. Hier jedoch durften getaufte Männer und Frauen erlernen, was es heißt, in der Sendung der Kirche zu stehen und Zeugnis zu geben, zu dienen und gerufen zu sein. Hier darf erlernt werden, was es heißt, eine Kirche der Nähe zu sein und das „Personen wichtiger als Strukturen sind.“96Ein organisatorischer Grundsatz ist der „Mix aus demokratischem und hierarchischem Vorgehen.“97 Es geht hierbei um die Art und Weise, sowie die Prioritätensetzung von kirchlichem Agieren in Poitiers. Die Einführung des Projekts der örtlichen Gemeinden und die Errichtung dieser sind solch bedeutende Einschnitte, die so viel verändern, dass es nötig ist, dass der Bischof sie vollzieht in Absprache mit den Diözesanräten. „Instituieren als Akt kann nicht von der Basis ausgehen.“98 Der Bischof trägt für diesen Akt die Verantwortung und damit die praktische Umsetzung der Lehre der gleichen Würde aller Getauften (LG 10). Wichtig ist hierbei die Art und Weise wahrzunehmen, wie freiwillige Laien sich engagieren. So ist das Vorhandensein von ehrenamtlicher Beteiligung noch nicht der ausschlaggebende Punkt. Dieses gibt es in deutschen Gemeinden ebenfalls. Der entscheidende Unterschied ist ein Bewusstseinswandel der „Übergang vom Helfen zur Übernahme von Verantwortung“.99 Der Akt des Bischofs ist ein Akt des Vertrauens, der die Sendung des gesamten Volk Gottes und den tiefen Wunsch der Christen, ihr christliches Leben mündig zu leben, ernst nimmt und in der Errichtung einer örtlichen Gemeinde mit einer e.l.d’a. konkret wird. Dieser Akt trägt seine Früchte, indem den Menschen, denen Aufmerksamkeit gegeben wurde, selbst eine Haltung zuwächst, in denen sie auf ihre Mitmenschen aufmerksam werden. So wird den Verantwortlichen einer e.l.d’a. zuallererst aufgegeben, die anderen Menschen ihrer Gemeinde zu sehen und anzusprechen, wenn sie z.B. eine équipe für ihre Beauftragung gründen wollen oder im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit tätig sind. Das hierarchische Handeln des Bischofs ermöglicht also die Entstehung von demokratischen Strukturen, die jedoch mit den hierarchischen Elementen verbunden bleiben. Auch hier ist ein wichtiger Unterschied hervorzuheben: Es ist nicht die Aufgabe der kirchlichen Leitung jeden Bereich zu kontrollieren und die Tätigkeiten jeder Person festzulegen. Vielmehr weiß sie um den Grund und die Quelle, aus der Kirche lebt und zu der sie gesendet ist. So ist es in ihrer Verantwortung, sich darum zu bemühen, dass in der Gemeinde jene Grundvollzüge stattfinden, die diese überhaupt eine christliche Gemeinde sein lassen.

 

Eine weitere organisatorische Regelung ist das „Zusammenspiel von örtlicher Gemeinde und Sektor“.100 In dieser Regelung kommt die dritte Dimension der communio-Ekklesiologie, communio als Einheit, zu tragen: „Keine örtliche Gemeinde ist eine Insel“101, sie bleibt „nicht ihr eigener Horizont. Sie ist innerhalb eines pastoralen Sektors verortet“.102 Das organisatorische Angewiesensein einer örtlichen Gemeinde auf die anderen verhindert, dass die örtlichen Gemeinden, sich in sich selbst verschließen. Es öffnet sie nach außen. Im Gegensatz zu einer Pfarrei, die „alles hat“ (eigenen Pfarrer, hauptamtliche Mitarbeiter für Katechese, Gemeindegebäude, etc.) oder in der die Veranlagung ist „alles haben zu wollen“, lebt eine örtliche Gemeinde eine „offenkundige Armut“.103 Sie bedarf einzig allein des guten Willens der Menschen, um sich z.B. in den Räumen von diesem oder jenem versammeln zu können.104 Feiter weist im Zusammenhang mit dem Begriff der Armut, auf die Gefahr hin, dass man auch in Deutschland diesen und jenen Mangel „spiritualisiert“, z.B. dass es Gottes Wille sei, dass weniger Kinder zum Gottesdienst kommen oder die Kirche „gesund schrumpft“.105 In Poitiers wird nicht von Mitgliedermangel oder Priestermangel gesprochen, wenn es um den Grund der Errichtung örtlicher Gemeinden geht. Es wird stattdessen der Mangel an Vertrauen in das Volk Gottes und in dessen Gründer ernst genommen. Vielmehr wird als Grund der Wille genannt, Gemeinden auf Grundlage der Sakramente der christlichen Initiation zu bauen.106 Die örtlichen Gemeinden leben eine bewusst organisatorisch angelegte Armut, die sie öffnet und durch die sie erfahren, dass man als Kirche nie allein ist.107 Als Priester gehört man ebenfalls dem Priesterstand an, dessen Pluralität und Dienstcharakter einer unabhängigen, alleinherrschenden, einzelkämpfertümlichen Arbeits- und Lebensweise widerspricht, welche im Pfarramt begünstigt wurden. Immer wieder wird in Poitiers betont, dass es nicht darum ginge eine Kirche ohne Priester zu schaffen, sondern es ginge darum eine andere Gestaltwerdung des priesterlichen Dienstes zu entdecken und zu erkunden.

 

Der Begriff der „Nähe“ kommt immer wieder in den Texten aus Poitiers vor. So entdeckt eine örtliche Gemeinde, dass es ihrer Bestimmung entspricht, so wie Jesus sich in die Nähe der Menschen begeben hat, in der Nähe zu den Mitmenschen zu leben.108 Die Ängste, Nöte und Freuden der Mitmenschen werden wahrgenommen und geteilt. Die Erwartungen der Mitmenschen werden ernst genommen. Nähe ereignet sich, wenn Menschen einander begegnen und sich austauschen. Der kirchliche Grundvollzug der diakonia, wird auch als „Dienst der Nähe“ bezeichnet.

 

Zuletzt sei ein weiterer Begriff genannt und betrachtet: Rufen.109 Die Kultur des Rufens wird als essentiell für die Gemeindebildung in Poitiers angesehen. Dieser Begriff ist mit einer einfachen Regel verbunden, nämlich der zeitlichen Begrenzung einer Verantwortlichkeit auf drei, bei einer Wiederholung auf maximal sechs Jahre. Diese Regel verhindert, dass eine verantwortliche Person ihre Beauftragung und die damit verbundenen Aufgaben nach dem Schema der Selbstverständlichkeit ausfüllt. Es verhindert des Weiteren, eine ungesunde Machtaneignung innerhalb des Aufgabenbereichs, sodass jemand „unentbehrlich“ wird. Gemeindeglieder wären einerseits erleichtert, dass sie selbst entlastet werden, andererseits kann sich eine Unzufriedenheit entwickeln, darüber dass mögliche, vielleicht sogar notwendige Veränderungen und Entwicklungen keinen Raum bekommen. Darüber hinaus kommt einem anderen Aspekt noch größeres Gewicht zu: Die Konsequenz der Befristung ist die notwendige Einübung einer Kultur des Rufens in der örtlichen Gemeinde und im Sektor, die zu einer Grundhaltung wird. Denn drei, auch sechs Jahre vergehen wie im Flug. Diese Grundhaltung meint ein Aufmerksamwerden für die Menschen, die um einen herum leben und das Hingehen zu diesen, um sie zu fragen. Diese Grundhaltung ist geprägt von Vertrauen und wurde bereits vom Bischof vorbildhaft beim Akt des Errichtens vollzogen. Solch ein Vertrauen setzt auf die Fähigkeiten, die in anderen verborgen sind und zu Tage gefördert werden können, die sich entwickeln dürfen. Das Rufen ist verbunden mit dem Erlernen, die vielfältigen Gaben zu unterscheiden. Es ist Aufgabe der Dienstämter, aber auch der Getauften allgemein.

 

Eine örtliche Gemeinde wird im Gemeindeleben begleitet und kann Angebote der Schulung wahrnehmen und suchen. Dies geschieht jedoch auf rein freiwilliger Basis mit, wenn überhaupt nur geringen finanziellen Aufwand, da das Budget einer örtlichen Gemeinde ein völlig anderes als das von deutschen Gemeinden ist. Hierzu bemerkt Feiter, dass die Finanzen einer örtlichen Gemeinde es nicht erlauben einen entsprechend ausgebildeten Laien hauptamtlich für die Pastoral der Gemeinde anzustellen. 110 Trotzdem wird Laien in Form einer e.l.d’a. das Leben der Gemeinde anvertraut. Die Dienstämter stehen nicht in Konkurrenz zur e.l.d’a. und engagierten Christen vor Ort, sie sollen vielmehr ihnen dienen und ihnen helfen ihre jeweilige Berufung wahrzunehmen. So geht es nicht darum, das gemeindliche Leben „am Laufen zu halten“ und bestimmte Aufgabenbereiche zu besetzen: „Der Weg des Glaubens führt durch die Aufgaben, die zu erfüllen sind, aber endet nicht bei ihnen.“111 Der persönliche Glaube steht beim Rufen im Mittelpunkt. So heißt Glauben antworten auf einen Ruf. Nur der Gerufene kann antworten. In den biblischen Berufungsgeschichten gehört die Sendung in den Dienst zur Abfolge des Ruf-Antwort-Geschehens.

 

Wer nicht gerufen wird, kann keinen Zugang zu seiner menschlichen Verantwortung finden. Er kann seine Fähigkeiten nicht entdecken, weil niemand da ist, um sie aufzudecken.“112 Die Kultur des Rufens in den örtlichen Gemeinden beschreibt einen Weg, nach Bulteau, immer mehr Mensch zu werden. Die örtlichen Gemeinden müssen dazu ihren Blick von sich selbst nehmen, um die anderen wahrnehmen zu können.

 

Das „Wie“der örtlichen Gemeindebildung ist entscheidend. Nachahmer seien darauf hingewiesen, dass es sich um kein fertiges Modell handelt, sondern, dass sie sich ebenfalls einem vergleichbaren Prozess wie Poitiers aussetzen müssen.

 

Das Besondere an Poitiers ist die Kultur des Rufens, die gelebte Nähe, die Sicherstellung der drei kirchlichen Grundvollzüge sowie die stimmige Konzeption und Logik der Strukturen, die immer wieder erneuert und überprüft werden. Deshalb ist das „was alle sagen“113, tatsächlich für die Mitglieder der örtlichen Gemeinden erlernbar. Zusätzlich zeichnet sich die Diözese Poitiers dadurch aus, dass sie sich bereits Anfang der 90er Jahre, im Gegensatz zu den restlichen französischen Diözesen, gegen eine Zentralisierung entschlossen hat.114

 

So kann Poitiers im weitesten Sinne schon fast als ein Beispiel für das gelebte „Priestertum aller Gläubigen“ im evangelischen Sinne angesehen werden. Freilich unterscheidet sich die theologische Begründung der Hierarchie und die damit verbundenen Weiheämter von der evangelischen Begründung einer Ordnung deutlich. Dennoch sind die Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen.

 

Deshalb ist das Beispiel von Poitiers von großer Bedeutung auch im evangelischen Raum. Gerade in den ländlichen Räumen, insbesondere der Neuen Bundesländer Deutschlands, ähnelt die gesellschaftliche und kirchliche Situation der Poitiers Anfang der 90er Jahre: Abwanderung vom Land, demographischer Wandel, hohe Erwerbslosigkeiten, Verlagerung wichtiger Infrastrukturen in Ballungsräume und dementsprechend hohe Frustration sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch in und an kirchlichen Gemeinden. Zusätzlich finden eine Zentralisierung und Zusammenschlüsse der Gemeinden statt. Folglich ist die Überlastung der Pfarrer dieses Systems spürbar.

 

Um diesem Teufelskreis Einhalt zu bieten, ist eine neue Haltung, eine Umkehr, wie sie in Poitiers stattfand, notwendig. Dann steht nicht mehr der Mangel an Gemeindemitgliedern im Fokus und damit unterschwellig ein Misstrauen gegenüber Gott, sondern der Reichtum der einzelnen Gemeindemitglieder. Dadurch entstehen wieder Gemeinden, die sich ihrer Taufwürde bewusst sind und sich auch wieder als christliche Gemeinschaft erfahren.

 

Literaturverzeichnis

 

Die Abkürzungen richten sich nach S.M. Schwertner (Hg.): Abkürzungsverzeichnis der TRE. Berlin, New York 1994

 

Feiter, Reinhard/Müller, Hadwig (Hg.): Frei geben. Pastoraltheologische Impulse aus Frankreich, Ostfildern 2012.

Feiter, Reinhard/Müller, Hadwig(Hg.): Was wird jetzt aus uns Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, , Ostfildern 32010.
Darin Übersetzung von:

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darin wiederum:
  2) Rouet Albert: [Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche] Vers un nouveau visage d’Église, 19-61.

 3) Bulteau, Gisèle: [Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden] Mes responsabilités auprès des communautés locales, 63-105.

 4) Russeil, Jean Paul: [Schritte der örtlichen Gemeinden im Glauben] L’itinéraire de foi des communautés locales, 107-164.

 

Un gout d’espérance. Vers un nouveau visage d’Eglise II, Rouet, Albert/ Boone, Eric/ Bulteau, Gisèle/ Russeil, Jean-Paul/ Talbot, André: Paris 2008, 49-126.

darin:

5) Rouet, Albert: [Die örtlichen Gemeinden als Institution] Les communautés locales come institution, 75-98.

6) Bulteau, Gisèle: [Ein Weg, um immer mehr Mensch zu werden] Les communautés locales, un chemin d’humanisation, 49-73.

7) Boone, Eric: [Örtliche Gemeinden und Dienstämter: Anhaltspunkte, Erfahrungen, Suchbewegungen] Communautés locales et ministères: points d’appui, expérience et recherche, 99-126.

 

Gmelch, Michael: Gott in Frankreich, Zur Glaubenspraxis basiskirchlichlicher Lebensgemeinschaften, Würzburg 1988.

 

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Müller, Hadwig/Schwab, Norbert/Tzscheetzsch (Hg.): Sprechende Hoffnung – Werdende Kirche. Proposer la foi dans la societé actuelle. Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft, Ostfildern 2001.

 

Müller, Hadwig: Wenn Vertrauen zum Baustein einer Kirche wird. Impulse aus „Proposer la foi dans la societé actuelle“, in: Boehme, Katja/Herkert, Thomas (Hg.): Proposer la foi – Dem Glauben einen Weg bereiten: Madleine Delbrêl, Freiburg 2006, 87-107.

 

Müller, Hadwig: „Im Dienst eines besseren Zusammenlebens aller Glieder der Gesellschaft“. Zur „laïcité à la française“, in: Pastoraltheologische Informationen 26 (2006), 1,118-133.

 

http://www.diocese-poitiers.com.fr

 

Diocese de Poitiers: Guide de travail 2, à l’intention des secteurs pastoraux et des communautés locales, Poitiers 2004, Download unter: http://www.diocese-poitiers.com.fr/page-daccueil/publications-et-documents, zuletzt besucht am 17.07.2012.

 

Rouet, Albert: J’aimerais vous dire, Montrouge Cedex 2009, 13-47.

 

Spanjard, Annette: Zu Frankreich und Deutschland als Gesprächspartner, in: Müller/Schwab/Tzscheetzsch (Hg.), Sprechende Hoffnung – Werdende Kirche, Proposer la foi dans la societé actuelle. Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft, Ostfildern 2001, 80f.

 

 

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Gaudium et Spes: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_en.html, zuletzt besucht am 22.07.12.

 

Johannes Paul.: Apostolisches Schreiben Novo Millennio Ineunte, Nr. 46. http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/apost_letters/documents/hf_jp-ii_apl_20010106_novo-millennio-ineunte_ge.html, zuletzt besucht am 22.07.12.

 

Sacrosanctum Concilium: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19631204_sacrosanctum-concilium_ge.html, zuletzt besucht am 22.07.12.

 

Presbyterium ordinis, http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decree_19651207_presbyterorum-ordinis_ge.html, zuletzt besucht am 22.07.12.

 

CIC http://www.vatican.va/archive/DEU0036/_INDEX.HTM, zuletzt besucht am 22.07.12.

 

Routes d’Evangile 1993, zum Anschauen im Netz: http://www.diocese-poitiers.com.fr/page-daccueil/publications-et-documents/routes-devangile, zuletzt besucht am 23.06.2012.

 

Serviteurs d’Evangile 2003, zum Anschauen im Netz: http://www.diocese-poitiers.com.fr/page-daccueil/publications-et-documents/serviteurs-devangile, zuletzt besucht am 23.06.2012.„Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft“. Der Brief an die Katholiken in Frankreich. Deutsche Übersetzung von: Proposer la foi dans la societé actuelle (III), Lettre aux catholique de France, Les Éditions du Cerf 1996, In: Müller, Hadwig/Schwab, Norbert/Tzscheetzsch (Hg.): Sprechende Hoffnung – Werdende Kirche. Proposer la foi dans la societé actuelle. Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft, Ostfildern 2001, 16-74.

 

Lexikaartikel und Zeitschriften:

 

Baumgartner, Alois: Artikel Reform, LThK 8, 927.

Beintke, Michael: Artikel Ekklesiologie, RGG4, 1183.

Härle, Wilfried: Artikel: Kirche VII, in: TRE 18, 277-317.

Gabriel, Karl: Artikel Struktur, LThK 9, 1048.

Kasper, Walter: Artikel Kirche III. Systematisch-theologisch, LThK 5, 1465-1474.

Kasper, Walter/Drumm, Joachim: Artikel Kirche II. Theologie-u.dogmengeschichtlich, LThK 5, 1464.

Kehl, Medard: Artikel Ekklesiologie, LThK 3, 568-573.

Kopf, Ulrich: Artikel Reformgedanke, RGG4, 159-164.

Pree, Helmuth: Artikel Pfarrei (katholisch), RGG4, 1195f.

Les communautés locales. Fiches pratique, in: Église en Poitou, Hors Série N°2, Poitiers 2007, download unter: http://www.diocese-poitiers.com.fr/page-daccueil/publications-et-documents, zuletzt besucht am: 17.07.2012

Rese, Frederike, Artikel: Strukturalismus, RGG4, 1781.

Zulehner, Paul M.: Artikel Ekklesiogenese, LThK 3, 567-568.

Vorträge

 

Russeil, Jean-Paul: Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale. Congrés du 14 au 16 octobre 2011 à Huysburg.

 

 

Anmerkungen:

 

1

Folgende Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Gemeinden in Poitiers entspricht dem Praxisblatt „D’où venons-nous?“ der

 

 

Diözesanzeitschrift, dem Guide de Travail 2 sowie dem Abschnitt „Le diocèse de Poitiers“. Vgl. Fiche 1, in der Zeitschrift: Eglise en

 

 

Poitou, 24. Oktober 2007. Vgl. Guide de Travail 2, 34. Vgl. Rouet u.a., Un nouveau visage d’Eglise, 15-17.

 

2

Vgl. Ebd., 17.

 

3

Vgl. Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 17. Vgl.

 

 

Rouet u.a., Un nouveau visage d’Eglise, 20.

 

4

Vgl. Rouet u.a., Un nouveau visage d’Eglise, 15.

 

5

Vgl. Synopse der Teilnehmerberichte, 21f.

 

6

Vgl. Synopse der Teilnehmerberichte, 22.

 

7

Vgl. Synopse der Teilnehmerberichte, 21.

 

8

La dimension apostolique était prioritaire.” Vgl. Rouet u.a., Un nouveau visage d’Eglise, 24.

 

9

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 23.

 

10

Synopse der Teilnehmerberichte, 22.

 

11

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 23.

 

12

Ebd., 25f.

 

13

Vgl. den folgenden Abschnitt mit Les grandes etappes du Synodes, in: Serviteurs d’Evangile.

 

14

Vgl. Russeil, Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale,, Einführung.

 

15

Vgl. Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Ebd., 26ff.

 

16

Ebd., 29f.

 

17

Ebd., 30.

 

18

Müller zitiert Bulteau, in: Ebd., 11.

 

19

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Ebd., 40.

 

20

Ebd., 40.

 

21

Boone, Örtliche Gemeinden und Dienstämter: Anhaltspunkte, Erfahrungen, Suchbewegungen, in: Ebd., 148.

 

22

Rouet, Die örtlichen Gemeinden als Institution, in: Ebd., 103.

 

23

Ebd., 117.

 

24

Vgl. Abschnitt mit „Des communautés: visages et chemins d‘Evangile“, Fiche 3, in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24.


Oktober 2007, Punkt 1.

 

25

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 33.

 

26

Vgl. Ebd., 32f.

 

27

Vgl. Introduction in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007.

 

28

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 51.

 

29

Vgl.: „L’équipe locale d’animation n’est pas toute la communauté!“ Fiche 7 und Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der


örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 51.

 

30

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Ebd., 38f.

 

31

Ebd., 39.

 

32

Relecture meint das Wiederlesen der gemachten Erfahrungen.

 

33

Vgl. Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 31.

 

34

Vgl. Fiche 7 in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007.

 

35

Vgl. Ebd. Fiche 8.

 

36

Ebd. Fiche 9.

 

37

Ebd. Fiche 10.

 

38

Ebd. Fiche 12.

 

39

Ebd. Fiche 13.

 

40

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?,57.

 

41

Ebd., 54.

 

42

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Ebd., 32.

 

43

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Ebd., 56.

 

44

Ebd., 57.

 

45

Anregungen zur Erneuerung sind auf Fiche 14 zu finden in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007.

 

46

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?,57.

 

47

Vgl. Härle, Artikel Kirche VII, TRE, 303f.

 

48

Vgl. Bulteau, Mein Autrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller, Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 65.

 

49

Vgl. Ebd., 121.

 

50

Härle, Artikel Kirche VII, TRE, 304.

 

51

Vgl. Ebd., 281

 

52

Vgl. Ebd., 304

 

53

Vgl. Kasper, Art. Kirche, LThK, 1465f.

 

54

Vgl. den Abschnitt mit Fiche 11 in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007

 

55

Vgl. Titel von Punkt II „Quels sont les effets de l'accent mis sur la grâce du baptême ? des Vortrags Russeils.

 

56

Russeil, 85.

 

57

Müller, Ein Schimmer von Hoffnung – eine Einführung, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof,

10. Kennzeichen von Basisgemeinden in Südamerika und Afrika sind eine Mission der Nähe und eine pfarreiunübliche Strukt

 

 

 

 

ur. Vgl. ebd., 10.

 

58

Vgl. Russeil, Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale, 2.

 

59

Vgl. PO, 6. Wird zitiert in Russeil, Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale, 1.

 

60

Vgl. „Des communautés: visage et chemins d‘Evangile“, Fiche 3, in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007, Punkt 2.

 

61

Vgl. „Que demande la foi?“, Fiche 2, in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007, Punkt 2.

 

62

Vgl. Fiche 2, in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007, Punkt 3. Übersetzung von L.E.D.

 

63

Ebd., 3.

 

64

Vgl. Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 59.

 

65

Vgl. Abschnitt mit “L’esprit des communautés”, Fiche 4, in der Zeitschrift: Eglise en Poitou, 24. Oktober 2007, Punkt 2 und 3.

 

66

Vgl. Bulteau, Ein Weg immer mehr Mensch zu werden, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 122f.

 

67

Ebd., 120.

 

68

Ebd., 3.

 

69

In der Diözese gibt es ein tradiertes Bewusstsein, dass Priester Apostel sind. Dies spielt weiterhin eine große Rolle. Die


Berufung und die Mission der Laien werden seit Jahren gefördert. Die Rezeption des Vat. II wurde begonnen und wird n


och weitergehen. Vgl. Russeil, Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale, 4.

 

70

Des Weiteren werden die Begleitung der e.l.d’a.s durch den diözesanen Dienst für spirituelles Leben sowie andere Angebote

(Einkehrtage, individuelle Begleitung, etc.), vielfältige Veröffentlichungen zur Stärkung des Glaubens und des Gebetes

genannt. Vgl. Abschnitt mit Russeil, Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale, 3-4.

 

71

Vgl. Bulteau, Ein Weg um immer mehr Mensch zu werden, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?,130ff.

 

72

Vgl. Abschnitt mit Russeil, Au cœur des communautés locales, la grâce baptismale, 4-5. In der Fußnote 8 heißt es dazu, dass


diese Anerkennung die Frucht mehrerer Faktoren ist: Das gegenseitige Zuhören und der Austausch, Begleitung und


Weiterbildung, geistliches Leben und Anerkennen der unterschiedlichen Gaben und Dienste, der Glaubensweg als Bekehrung,

das Bewusstsein für die Mission der Kirche und ein pastorales Projekt. Vgl. ebd.

 

73

Vgl. Ebd., 5.

 

74

Die folgende Darstellung entspricht „Secteurs et communautés locales : la ‚va-et-vient‘“, Fiche 6 in der Zeitschrift: Eglise en Poitou,

24. Oktober 2007.

 

75

Moment meint einen bestimmten liturgischen Teil der Errichtungsfeier.

 

76

Vgl. Russeil, Schritte der örtlichen Gemeinden im Glauben, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr?, 70-75.

 

77

Vgl. Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Ebd., 37.

 

78

Vgl. Russeil, Schritte der örtlichen Gemeinden im Glauben, in: Ebd., 76.

 

79

Ebd., 76.

 

80

Ebd., 45.

 

81

Ebd., 45f.

 

82

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 25f.

 

83

Zitate aus vorangegangenen Sätzen von Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, 25.

 

84

Vgl. Kasper, Theologie und Kirche, 280.


85

Meistens wird Kommunion gefeiert, dabei wird immer der Bezug zur Eucharistiefeier im Sektor hergestellt. Die Krankenkommunion spielt

ebenfalls eine wichtige Rolle im Gemeindeleben. Ein Kommunionsverzicht bietet sich in der Fastenzeit wie der Advent an.“
Vgl. Vgl.

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 50f.

 

86

Müller, Wenn Vertrauen zum Baustein von Kirche wird, in: Boehme/Herkert (Hg.), Proposer la foi – Dem Glauben einen Weg

bereiten: Madeleine Delbrêl, 87-107.

 

87

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 36.

 

88

Müller, Wenn Vertrauen zum Baustein von Kirche wird, in: Boehme/Herkert (Hg.), Proposer la foi – Dem Glauben einen Weg

bereiten: Madeleine Delbrêl,96.

 

89

Müller, Wenn Vertrauen zum Baustein von Kirche wird, in: Boehme/Herkert (Hg.), Proposer la foi – Dem Glauben einen Weg

bereiten: Madeleine Delbrêl, 100.

 

90

Müller, Wenn Vertrauen zum Baustein von Kirche wird, in: Boehme/Herkert (Hg.), Proposer la foi – Dem Glauben einen Weg bereiten: Madeleine Delbrêl, 106.

91

Feiter, Die örtlichen Gemeinden von Poitiers - Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?,

153.

 

92

Ebd., 99.

 

93

Ebd., 154.

 

94

Ebd., 154f.

 

95

Ebd., 155.

 

96

Ebd., 157.

 

97

Vgl. folgenden Abschnitt mit „Der Mix aus demokratischen und hierarchischen Vorgehen“ bei Feiter, Die örtlichen Gemeinden von Poitiers -

Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: Ebd.,
157f.

 

98

Ebd., 157.

 

99

Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche, in: Ebd., 37.

 

100

Vgl. folgenden Abschnitt mit „Das Zusammenspiel von örtlicher Gemeinde und Sektor“ bei Feiter, Die örtlichen Gemeinden von Poitiers -

Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: Ebd.,
158ff.

 

101

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Ebd.,49.

 

102

Bulteau, Mein Auftrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, in: Ebd., 121.

 

103

Rouet. Die örtliche Gemeinde als Institution, in: Ebd., 115.

 

104

Vgl. ebd., 115.

 

105

Ein von der Verfasserin gewähltes Beispiel, welches die Abwegigkeit einer solchen
missbräuchlichen Spiritualisierungsstrategie

darstellen soll.

 

106

Vgl. Feiter, Die örtlichen Gemeinden von Poitiers - Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus

uns, Herr Bischof?,, 159.

 

107

Bulteau,Mein Autrag: Begleitung der örtlichen Gemeinden, In: Ebd., 51.

 

108

Vgl. auch Zitat aus Serviteurs d’Evangile zuvor.

 

109

Abschnitt entspricht Feiter, Die örtlichen Gemeinden von Poitiers - Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: Feiter/Müller (Hg.), Was

wird jetzt aus uns, Herr Bischof?, 162ff.

 

110

Hierbei wird ebenfalls die Handhabe vermieden, jemanden als Ersatz für den Pfarrer zu finden, der auf Dauer dessen Aufgaben

erfüllt. Vgl. Ebd.,

 

111

Bulteau, Ein Weg, um immer mehr Mensch zu werden, in: Ebd., 132.

 

112

Rouet, Die örtliche Gemeinde als Institution, in: Ebd., 100.

 

113

Feiter, Die örtlichen Gemeinden von Poitiers - Reflexionen zu ihrer Reflexion, in: Feiter/Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns,

Herr Bischof?, 157.

 

114

Hadwig Müller hat der Verfasserin dies in einem persönlichen Gespräch erklärt.

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

Albert Rouet:
Aufbruch zum Miteinander. Wie Kirche wieder dialogfähig wird.

Ein Gespräch mit Denis Gira

 

aus dem Französischen übersetzt, eingerichtet und mit einer Würdigung versehen von Thomas Philipp, Herder Verlag Freiburg im Breisgau 2012, ISBN- 978-3-451-341 56-4
(Originalausgabe: J'aimeras vous dire. Entretien avec Dennis Gira, 2009 Bayard Editions)

 

- Für mich wichtige Gedanken und bemerkenswerte Sätze hier abgeschrieben und mit dick gedruckten Zwischenüberschriften versehen, die nicht dem Buch entsprechen -
durch Katharina Dang: - hier als pdf-Datei -

 

Zu unserer Krise

 

„Heute, obwohl es ruhiger aussieht, stecken wir in einer viel tieferen Krise (als im Mai 1968), der Krise des Gefrierens: die Eigeninitiative erstarrt, die gesellschaftliche Verantwortung gefriert, das politische Leben auch. Die Zeit ist schwierig, weil sie gnadenlos vereinfacht. Alles wird auf das Wirtschaftliche zurückgeführt, das Wirtschaftliche aber auf das Geld. Was sich nicht rechnet, lässt man beiseite, sogar die Politik oder die Frage nach der Gegenwart der anderen. Die Gesellschaft hat Angst und will sich schützen mit Regeln, Dekreten, Gesetzen und Erlassen. Die Haltung ist zugleich weit, nämlich globalisiert, und sehr eng, weil sie alles von diesem einen Zugang her angeht. In dieser Welt bewegt sich die Kirche. Sollte sie sich nicht besser zurückziehen und versuchen, mit starken Worten und strengen Regeln die Fragen der Menschen zu lösen? Eine echte Versuchung! … Dieses Buch leistet ein wenig Widerstand, ruhig, heiter. Wir dürfen das Leben der Kirche nicht an diese Verhärtungen binden, sonst verliert es seinen Sinn.

 

Die Erstarrung überträgt sich auf das Leben der Kirche. Wir meinen, Regeln klärten alles, es gebe irgendwo Zauberworte. Eine Art heilige Sprache, die richtig angewandt, von allein überzeugte. Die Vielfalt der Meinungen bleibt verdächtig. Wir treten in eine Zeit der Verhärtung ein. Aber solche Zeiten sind immer Zeiten der Bedeutungslosigkeit. Denn die Verhärtung hat Sinn nur für jene, die sie teilen, die sich immer mehr in Türme, Mauern und Festungen einschließen. Sie entfernen sich immer mehr von allen, die diese Verhärtungen nicht teilen, und verurteilen sie. Es ist mir wichtig, Ihnen zu sagen: Das ist eine Sackgasse.... Mehr als der oft angeprangerte Relativismus prägen zusammenhanglose Gewissheiten diese Zeit. Sie laufen auf Schienen nebeneinander her, verhärtet, einander entgegengesetzt.“ (S. 12f)

 

„Aber hinter der Sprache, die sich so verhärtet, liegt etwas Tieferes, gleich ob in der Wissenschaft oder im Alltag: Anziehung nämlich und Sehnsucht. Ein Heranwachsender, den ein Thema begeistert, dringt tief in es ein. Auf einmal beherrscht er abstrakte Begriffe: Weil er liebt. Wer liebt, weiß zu arbeiten und zu denken. Wer nicht liebt, dem kommt schon das kleinste Wort fad und kompliziert vor. Erst die Gleichgültigkeit macht die Dinge abstrakt. Wenn ein Thema Sie anzieht, ist es nicht schwer für Sie, Ihr Herz ist ja dabei. Der Glaube ist nicht in erster Linie eine Frage der Sprache, sondern eine Frage der Beteiligung. Machen wir den Glauben anziehend, und seine Sprache wird singen! Machen wir den Glauben attraktiv, und die Lahmen werden gehen!“ (S. 12)

 

„Das Pfarrsystem lässt sich nicht mehr halten. Die Pfarreien zu vergrößern, löst das Problem nicht. Ees geht nicht mehr darum, das Gelände abzudecken, weil etwas Grundlegendes sich ereignet hat: der Auftritt des individuellen Bewusstseins. Die Menschen wollen heute aktiv am Entstehen ihres Glaubens mitwirken. Was bleibt also, um sie zu berühren? Nur das Wort! Deshalb ist die Frage nach dem rechten Wort nicht mehr... eine technische Frage. Damals ( zu Zeiten des Hilarius, geb. 315)) ging es darum, genau zu sagen, welche Begriffe der Frohen Botschaft entsprachen. Heute geht es darum, wie wir den Glauben überhaupt mitteilen können. Das Pfarreisystem kann die Menschen nicht mehr kontrollieren; und es gibt keinen gesellschaftlichen Druck mehr, sich taufen zu lassen. Es bleibt uns nur, mit unserer Botschaft zu überzeugen. Deshalb haben Sprache, Dialog, eben die Frage nach dem rechten Wort ein solches Gewicht erlangt. Die Kirche kann heute weder durch Reichtum noch durch die große Zahl ihrer Gläubigen Eindruck machen; ein einziges Fußballspiel versammelt heute ja fast so viele Leute wie alle christlichen Gottesdienste zusammen.“ (S. 26)

 

Die Frohe Botschaft – nur als Dialog zu kommunizieren

 

„Wir können die Frohe Botschaft nur in Form eines Austausches verkünden. Wir können aber nicht mit jemandem austauschen, wenn wir seinen Wortschatz nicht kennen, seine Logik nicht begreifen, nicht wirklich erfassen, was ihn lebendig macht.

Wer die Beziehung abschneidet, macht das Wort unfruchtbar. Dann bleibt vielleicht ein richtiges, aber kein gutes Wort. Vielleicht genau, aber ohne den Reichtum einer Beziehung. Dann fehlt die menschliche Kraft.“ (S. 29)

 

„Ein Dialog besteht doch zu einem guten Teil darin, das eigene Denken zu klären, ...Die Sprache ist immer eine Baustelle. Nur durch lange Arbeit, die immer wieder von vorn beginnt, schaffen wir es, ein wenig klarer auszudrücken, was wir eigentlich sagen wollen. Und dann: Verstehen wir einander wirklich? Sicher ist das nicht. Denn zwischen den Worten, die ich ausspreche, und dem Vollzug meines Sprechens erstreckt sich die unauslotbare Welt der Vorstellungen und Bilder, die den Worten Qualität gibt.“ (S. 31f)

 

„Worte haben eine Aura, die ihren Sinn vertieft und zugleich unscharf macht. Unsere Worte sind nur Ausdrucksversuche, Annäherungen unter den Bedingungen einer Kultur.“ (S. 32)

 

„Jesus tritt nicht als Moralist auf, der eine Grenze zwischen Gut und Böse zieht. Auch nicht wie ein Philosoph, der erklärt, was es mit dem Sinn auf sich hat. Er fragt die Menschen nach ihren Vorstellungen, nach ihrer Beziehung zu Gott.“ (S. 34)

 

„Bezeichnenderweise stellen die Leute dem matthäischen Jesus 75 Fragen – und er ihnen 80! Das sind beachtliche Zahlen; bei Lukas sind sie noch höher: wenn Gott näher kommt, beginnt das offenbar, indem er Fragen stellt.“ (S. 34)

 

„Das Buch Judith nennt Gott einen, der Mauern bricht. Von Gott können wir nur sprechen, indem wir etwas öffnen. Sonst bleiben die Menschen eingesperrt in der Vorstellung, das Christentum sei eine kindliche Illusion.... Was wir über Jesus wissen, kann uns satt machen, uns hindern, ihn zu entdecken. Aber wir sollen uns immer weiter voran tasten, in unseren Wunden, unseren Fehlern. Wir sollen uns mühen, um das rechte Wort, und sei es schwerfällig und schmerzhaft. Ja, es ist schmerzhaft, weil es weh tut, nie genau mit dem übereinzustimmen, was wir sagen wollen.“ (S. 35)

Wir sollen Lust wecken, Jesus zu entdecken. Wir können ja niemandem Lust einflößen, Christus zu suchen, wenn er nicht fragt. Die Suche, sogar der Zweifel sind wertvoll, weil sie Lust machen zu gehen... Heute stellen wir uns das Wort des Glaubens wie ein Medikament vor, im Sessel einzunehmen oder im Bett. Und hopp, sind wir geheilt, also glauben... So hat es nie funktioniert! Es geht um Arbeit, um Geburt. Wir sind gesandt in die Welt, sie zu entdecken. Eine Welt, die vor unseren Augen immer größer und klarer wird, uns aber nicht gehört.“ (S. 36)

 

„Je weiter der Glaube voranschreitet, umso mehr schrumpft er. Nur wenige, wirklich wichtige Punkte bleiben. Kein vages Weitwerden, also; sondern eine immer genauere, immer klarere Frage. Zuletzt sucht ein Mensch nur eines im Leben, nämlich den anderen zu begegnen. Nur darum geht es.“ (S. 36)

 

„Die wahre Einfachheit steht erst am Ende einer langen Auseinandersetzung, mit dem seltsamen Gemenge, das ein Leben ausmacht. … Eine Auseinandersetzung kommt nur in dem Maße in Gang, wie sich eine Geschichte erschließt. jemand fragt mich: 'Was heißt Vergebung?' Wir trafen uns dreimal im Jahr, und ich habe fünf Jahre gebraucht, bis ich die Frage verstand. So lange brauchte sie, um einfach zu werden. Solang einer nicht halbwegs weiß, warum er eine Frage stellt, wird er eine Antwort gar nicht annehmen können, oder sie wird seinen Zweifel noch verstärken. Ja, es stimmt: Es gibt viel mehr Fragen als Antworten, und Antworten sind gefährlicher als Fragen.“ (S. 37)

 

„Zwar können wir die Sprache in kleine Stückchen pressen. Dann wird sie Propaganda und zwingt die Erfahrung der Menschen in fertige, austauschbare Schablonen. Aber in einer pluralistischen Welt kann das nicht funktionieren. Wenn wir uns nicht offener verstehen, treiben wir die Menschen in den Unglauben. Die Identität der Christen liegt nicht darin, lauter zu schreien als alle anderen, mehr Bücher zu schreiben,...Sie liegt darin, dass sie ihre Sprache mit jener der anderen mischen. Christen treten nicht in Konkurrenz, sondern in Dialog. Christen verhökern ihren Glauben nicht auf dem Marktstand, sondern treten in Beziehung und bauen mit den anderen die Sprache des Glaubens. Dazu müssen sie die anderen kennen. Der Same des Wortes keimt in der lebendigen Begegnung.“ (S. 38f)

 

„Es gilt nicht nur die Frohe Botschaft in diese Zeit zu übersetzen, sondern ebenso die Fragen zu hören, die diese Zeit der Heiligen Schrift stellt. Der Theologe hört auf die Widersprüche dieser Zeit. Er sucht nach Wegen, nach Beziehungen, durch welche die Offenheit der Schrift den Menschen in seinen Widersprüchen finden kann.

Widersprüche sind etwas sehr Wichtiges; sie gehören zur Sprache! Was auf der Hand liegt, darüber sprechen wir nicht mehr. Was zu kompliziert ist, macht uns sprachlos. Sprache bewegt sich zwischen den beiden Polen. Sie erklärt die Dinge und macht sie zugleich komplizierter. Sprache entsteht, wo der Mensch nicht genau weiß, wer er ist. Er ist das eine und zugleich das andere; gesund und krank; er arbeitet, aber verdient nicht genug; er ist verliebt, aber sie nicht... Der Mensch steckt voller Widersprüche. … Worte entstehen gerade an der Erfahrung des Widerspruchs, der etwas zum Schmelzen bringt. Etwas öffnet sich, will den Widerspruch in Worte fassen, sehnt sich nach mehr.“ (S. 39)

 

„Ich finde es schade, dass das kirchliche Leben sich faktisch kaum von Theologie nährt. Schade auch, dass die Theologen so wenig auf die Widersprüche der Zeit hören und auf das Gottesvolk, das mitten in ihnen steckt. Weil wir aus der Theologie zu schnell eine Wissenschaft machen, schneiden wir sie von ihrer existentiellen Quelle ab, von ihrem Feuer, ihrer Wucht.“

 

Die jungen Leute heute gehen nicht von ihren eigenen Fragen aus, dass heiße nicht, dass sie keine hätten. „Oft muss man kräftig provozieren, dass wenigstens ein, zwei Fragen kommen. ich vermute, dass dies hartnäckige Schweigen, diese Passivität von viel Angst erzählt. Die jungen Leute wissen nicht, wozu sie lernen, was für einen Beruf sie finden werden und was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Sie gehen auf Nummer sicher und speichern einfach, was der Lehrer sagt. Sie wagen nicht, etwas in Frage zu stellen, was immer ein Zeichen von Freiheit ist.. Mich beunruhigt diese Atmosphäre, diese Haltung und die Zukunftsangst dahinter. ..Wer keine Hoffnung hat, hat auch keinen Raum, um Fragen zu stellen. Dann gibt es nur einen mehr oder weniger sicheren Plan für die Karriere, das Fortschreiben des Gegebenen, wenn möglich etwas besser. Hauptsache abgesichert!“

 

„Nietsche, Freud und Marx stellten den Glauben grundsätzlich in Frage. Sie zwangen uns zu einer soziologischen, psychologischen und existentiellen Auseinandersetzung, wir konnten ihr nicht ausweichen... Verdacht und Zweifel, Auseinandersetzung und Kritik waren Teil unseres Alltags.

Wenn es so steht, gibt es zwei mögliche Strategien. Man kann eine belagerte Festung inszenieren. Aber früher oder später fällt jede Burg, weil es leicht ist, ihre Bewohner auszuhungern. … Einige wenige flohen also hinter die Mauern einer Kirche, die sie als Festung verstanden, und leben seither ihren Glauben als Kristallisierung in wachsender Verhärtung unantastbarer Elemente. Der Glaube sieht hier aus wie eine black box: Bloß keine Fragen stellen! Nichts anfassen! Das wäre Gotteslästerung! So eine Haltung ist tödlich, weil sie sich jeden Zugang zum lebendigen Werden verbaut und sich in Nebensächlichkeiten verbeißt. Es sieht dann so aus, als sei die Farbe irgendeines liturgischen Gewandes genauso wichtig wie das Geheimnis der Messe selbst. Dieses Gefrieren will der Lehre der Kirche geradezu mechanisch treu sein: ein Materialismus des Glaubens! …

Wer das nicht wollte, dem blieb nur ein anderer Weg: an der eigenen Haut herauszufinden, worauf es ankommt und auf was nicht.... Wir haben zwei, drei Elemente gefunden, die dem Feuer widerstanden. Diesen Weg durch das Feuer, durch die Wüste, sollten wir eben gehen. Als wir lebend herauskamen, wenn auch mit ein paar Kilo weniger, wussten wir, dass unser Wasser trinkbar war. Und noch etwas war uns klar geworden: es gibt keine Gewissheit ohne Engagement.“ (S. 48f)

 

„Was heute in der Kirche geschieht, ist nur als Antwort auf die Erfahrungen meiner Generation verständlich. Als wäre es möglich, die Geschichte anzuhalten und mit einem Tastendruck die Tatsache zu löschen, das der Mensch sich Fragen stellt.... Der Zweifel gehört zum Glauben!“
(S. 49)

 

Er zitiert Johannes vom Kreuz: „Wer sich auf Reisen begibt, kann sich nicht durch eigene Ortskenntnis orientieren, sondern nur durch Zweifel und fremde Auskunft.“ (Anm. 2: Johannes vom Kreuz, Die dunkle Nacht, Kap. 16, Aloysius ab Immacultelata Conceptione, München 1992, 9. Aufl., , S. 138 übersetzt: Wenn ein Reisender in neue, ihm unbekannte und noch nicht erforschte Länder gelangen will, muss er auf neuen Wegen gehen, die er noch nicht kennt und von denen er weder aus sich etwas weiß, noch durch Mitteilung anderer erfahren hat.“). Rouet urteilt: „Ein großartiger Satz!“ (S. 54)

 

Er schreibt: „Wenn ich mir keine Fragen stelle, werfe ich alles durcheinander. Der Zweifel ist nötig, um mich zu reinigen und für andere Bilder zu öffnen. Wenn ich meiner Worte über Gott absolut sicher bin, dann macht diese vergegenständlichende Haltung aus Gott einen Götzen....Indem ich glaube, zweifle ich, ob meine Worte dem entsprechen, wovon sie sprechen. Sonst mache ich mein Gegenüber zu einem Ding, zu einem Foto, makellos, aber unberührbar und unwirklich: eine Illusion.“ (S. 55)

 

„Dieser Zweifel an allem lässt den Glauben wachsen.“ (S. 56)

 

„Ohne Selbstzweifel wird der Glaube unmenschlich und entlässt die Gläubigen in absurde Welten voll Enge, Härte und Arroganz.“ (S. 60)

 

Die Notwendigkeit des Glaubens / des Vertrauens/ von Beziehungen

 

Zum Begriff der Wahrheit

 

„Wir klagen, die Kirche habe gar nicht die Mittel, die Botschaft wirksam zu verkünden. Aber stellen wir uns einmal eine Kirche vor, die alles hätte: Menschen, Geld, Gebäude. Wäre sie dann noch auf den Glauben angewiesen? Sie könnte sich doch auf ihren Reichtum verlassen – statt auf Gott, der für die Bibel der wahre Reichtum ist. Heute machen wir eine Erfahrung von Armut. genau sie ist die Stunde des Glaubens.“ (S. 62)

 

„Wir wollen das Leid wie von Zauberhand davon schweben sehen, ohne sonst irgend etwas zu verändern. Dieser Wunsch erinnert an die Tragik jener Revolutionen, die aus Gefängnisinsassen Wärter machen und umgekehrt. Verändern, um nichts zu verändern. Es werden die Seiten gewechselt, die Logik bleibt gleich. Aber Jesus hat eine neue Logik: Sanftmut und Leichtigkeit. Er lehrt uns, wie wir eine sanfte Beziehung zu uns und zu anderen haben können, auch wenn es uns schlecht geht. Die Beziehung ändert sich und damit unsere Art zu schauen. … Seine Sanftmut ist wie eine neue Geburt. Wie eine Auferstehung in aller Stille. Auf laute Schreie antwortet Gott leise. Nur wenn wir den Zweifel zulassen an der Beziehung, die wir zu unserer Not unterhalten, hören wir ihn. Sonst werden wir nie Frieden finden. Wie leicht vergessen wir diese Beziehung und ihre Qualität! Aber in der Frohen Botschaft kommt es gerade auf sie an. Es gibt die Wahrheit und es gibt die Art, wie wir uns auf sie beziehen. Erst die Beziehung lässt eine Wahrheit falsch erscheinen – oder macht sie wirklich wahr.“ (S. 64f)

 

„Angesichts des Klassenkampfes eine Theologie zu entwickeln ist leichter als angesichts eines Einkaufszentrums. Was das Unbewusste für das geistliche Leben bedeuten könnte, ist spannender als eine Gesellschaft, die sich mit Beruhigungsmitteln vollstopft. Heute haben wir über das Alltägliche, das Mittelmaß nachzudenken, das sich von selbst versteht.“ (S. 67f)

 

Rouet las zwölf moderne Romane und stellte fest, dass die Handlung verschwunden ist. „ ..es bleibt nur eine Linie nebeneinandergestellter Punkte. Warum ist das so? Wahrscheinlich, weil es keine großen Utopien mehr gibt. Es bleibt nur, was sich gerade ereignet, hier und jetzt. Es gibt diese Hoffnung nicht mehr, die antrieb und für Entwicklung sorgte. Über einen revolutionären Kampf kann man Romane schreiben. Aber nicht über das Einzige, was sich heute noch bewegt: die Börsenkurse.“ (S. 68)

„Dieser intellektuelle Niedergang zeigt eine wichtige Veränderung der Mentalität: Wir leben trotz des Pluralismus der Kulturen in einer einförmigen Welt. Die Hiltonhotels sind ein Bild dieser Globalisierung. In jeder Hauptstadt gibt es eins, und überall sind die Zimmer genau gleich gebaut und eingerichtet. Wir reisen, um das Gleiche wiederzufinden. Es gibt nichts Überraschendes mehr.“ (S. 69)

 

„Auf einer tieferen Ebene schwingt Enttäuschung mit: Der Westen hatte gehofft, Wissenschaft und Technik würden Krankheiten, Unbildung und Aberglauben ausrotten. Das Ergebnis war Hiroshima. Die Wissenschaft, gemacht für das Leben, hat den Tod gebracht und führt zu aberwitziger Konkurrenz zwischen den Konzernen. Die Technik dient heute nicht mehr einem Ideal – so war es in der Aufklärungszeit – sondern dem Gewinn. Wir haben an Entwicklung und Veränderung der Gesellschaft geglaubt. Der Schwung endete in der Arbeitslosigkeit. Wir hielten Wachstum und Fortschritt für unendlich. Jetzt beuteln uns tiefe finanzielle und wirtschaftliche Krisen. ….

 

Uns allen ist klar, wie die Medien funktionieren, sie können ja nicht anders. Kommunizieren, das heißt etwas ausprobieren. Aber was ist dann wirklich wahr? Unsere Zeit glaubt nicht mehr an die Wahrheit, weil es zu viele davon gibt und jeder behauptet, er besäße sie. Sonntag für Sonntag feiern in Poitiers 30 Gruppierungen Gottesdienst. Welche ist die wahre? Was man heute Toleranz nennt, geht fließend über in ein vorsichtiges Vermeiden von Debatten, die wahrscheinlich nicht zu beenden sind.“ (S. 69)

„Also begnügt man sich mit schlichten subjektiven Gewissheiten. Sie sind der letzte Schutz gegen eine sinnlose Welt. In einer Gesellschaft, in der Sie keinen Einfluss darauf haben, wer zu welchen Bedingungen die Erzeugnisse Ihres Hofes kauft; wo sie keinen Einfluss auf die Preise der Rohstoffe haben, die Sie benötigen; wo gegen die Macht der Verwaltung kein Kraut gewachsen ist; wo sie keinen Einfluss auf die Verhältnisse haben, in denen Sie arbeiten, weil nämlich Holdings entscheiden, die auf den Kanareninseln oder in New York sitzen: Wo können Sie da noch etwas selbständig gestalten – außer in ihrer Subjektivität.... Diese Subjektivität ist eher die letzte Bastion eines Menschen, der sich noch irgendwo als frei erfahren möchte. Wenigstens bleibt sich der Einzelne hier bewusst, dass er lebt, dass er seine persönliche Wahrheit bewahren kann.“ (S. 70)

 

„Die Wahrheit ist heute wirklich eine Frage, ..die Angst macht. Diese Lage begünstigt auf der ganzen Welt fundamentalistische Bewegungen in ziemlich allen geistigen Strömungen, einschließlich Katholizismus und Liberalismus. Zweitens hat sich das Problem verschoben: Es geht nicht nur um die Wahrheit als solche, sondern um die Wahrhaftigkeit...

Das griechische aletheia bedeutet ein Aufsteigen aus dem Vergessen, eine Entblößung, einen Verlust an Schutz. Hier steht jenseits von Worten, Theorien und Meinungen das menschliche Leben auf dem Spiel: nackt, unmaskiert, ohne Rüstungen und Sicherheiten. das eine Leben, das es nicht zu verfehlen gilt. So steht es um die Wahrheitsfrage.“ (S. 71)

 

„In Lexika wird Wahrheit als Wissen definiert, das Fakten entspricht. „Eine leicht verständliche Definition! Sie geht auf die mittelalterliche Scholastik zurück: Wahrheit sei adequatio rei et intellectus, Übereinstimmung zwischen Sache und Bewusstsein. Aber diese Definition funktioniert nicht mehr. Denn heute gibt es nichts mehr, was nicht zur Debatte steht; im Gegenteil: Die Wissenschaft schreitet voran, indem sie alles in Frage stellt.“ (S. 72)

 

„Man stellt sich die Wahrheit wie eine Gleichung vor: dann hat das Subjekt kaum noch etwas zu sagen. Im Ergebnis raubt das dem Menschen seine existentielle Wahrheit. Auf der einen Seite stehen Ideologien, für welche die Wahrheit nicht subjektiv sein kann: da muss der Einzelne sich einfach unterordnen. Auf der anderen Seite Multis, für die Wahrheit das Gleiche ist wie Profit: da ist der Mensch nur noch Verbraucher. Von einer existentiellen Wahrheit will man nichts wissen. Damit das Ganze nicht in die Luft geht, würzt man mit einer Prise Spiritualität, einer Extraportion Seele, etwas sozialem Ausgleich. Gerade so viel Salz, das die Suppe essbar wird.“ (S. 74f)

 

„Wer also behauptet, etwas gelte für alle, wer von der Kultur, dem Menschen spricht, macht seine eigene Logik zum Götzen. Weil nur Europäer so sprechen, sieht diese Art von Wahrheit Europa im Mittelpunkt. Wenn jemand heute von allgemeingültigen Wahrheiten spricht, seien Sie sicher: Er stammt aus Westeuropa!“ (S. 75)

 

Die Bibel lehrt, „dass Gott Gott sich umso mehr verbirgt, je mehr er sich zeigt. Was er zu verstehen gibt, ist größer als Worte. Gott teilt sich selbst als unbegreifliches Geheimnis mit. Er schenkt seine Gegenwart. Diese Wahrheit scheut sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Gott hat die Menschheit in Gewalt, Inzest und Ehebruch gesucht, einfach überall. Eine unerhörte Wahrheit, die in der Nacht leuchtet und am Tag Schatten spendet! Eine Wahrheit , die sich gibt, ohne sich zu entblößen. Sich zeigen und sich verbergen sind eins.“ … Wenn man diese Haltung des Respekts vor der Wahrheit, die sich die Bibel immer wohltuend und Leben spendend vorstelle, verlasse, „gehört zur Wahrheit auf einmal ein Haufen nutzloses Zeug, das nicht leben hilft. Für die Bibel hat nur Bestand, was Leben schafft. Die Wahrheit muss sich in der konkreten Erfahrung als schöpferisch erweisen. Zu ihr gehören immer Hoffnung und eine Zukunft, die sich öffnet.“ (S. 76)

 

Das Hebräische emet „heißt zugleich Wahrheit und Treue. Dahinter steht ein Verb, das bedeutet 'ein Fundament legen, ein Haus bauen, sich auf jemanden stützen', also vertrauen und glauben.“ (S. 78)

 

„Es geht darum, niemanden fallen zu lassen. … Wirklich wahr ist, was nicht fallen lässt. Alles andere ist überflüssig, Fassade, Dekoration, manchmal sogar albern. Die Kirche kann die Wahrheit nur sagen, indem sie bis zur Erschöpfung jene sucht, die weit weg sind. Die Wahrheit sagt man nicht von oben herab. Wenn ein Prediger es von der Kanzel auf seine Gläubigen herab donnern lässt, hat er seine Arbeit nur halb gemacht. Wahrscheinlich hat's ihm Spaß gemacht, aber es ist nur die eine Hälfte. Die andere ist, den Leuten leben zu helfen. Sonst ist's eine Philosophie, ein Feuerwerk vielleicht, aber die gute Nachricht Jesu Christi? Wahrheit wird in der Beziehung (relation) geboren.“ (S. 78f)

„Drittens ist Wahrheit in der Bibel mehr eine Frage des Tuns als des Redens.“ (S. 79)

 

„Wir entdecken den Glauben nicht auf der Schulbank, Lektion für Lektion. Unser Leben entspricht nur selten jener Tiefe, in der Gott uns berührt. Leben wir also im Bewusstsein, das selbst unsere Rückzüge und Umwege am Ende dem Plan Gottes – der Wahrheit dienen können! Mit der Wahrheit ist es wie mit dem Säen. Es genügt, die Erde zu bereiten und dem Korn Zeit zum Wachsen zu lassen.“ (S. 79f)

 

 

Die ethische Frage heute angesichts der Globalisierung,

von Einförmigkeit und Starkult

 

„Übertriebene Härte macht löbliche Ziele hässlich. Also ist der erste Schritt der Ethik, mich zu fragen, wie ich mit der Ethik umgehe. Sonst verlasse ich den Raum der Ethik und betrete jenen der autoritären Weisungen, die zwingend sein wollen wie ein Bahnfahrplan.“ (S. 80)

 

„Wenn ein Herz ihm offen steht, bleibt Gott nicht an der Tür stehen.“ (S. 81)

 

„Klare und scharfe Gegensätze zwischen Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, Schwarz und Weiß sind unbewusste Denkformen, die auf die Kindheit zurückgehen. Sie sind alle etwas schlicht.... das Reptilienniveau des Denkens! Leider sind Reptilien ziemlich beweglich, und das Denken in scharfen Gegensätzen kann brillant wirken. Aber es führt in die falsche Richtung. Suchende wissen um Graustufen der Wahrheit und der Treue zu ihr. Gott gegenüber gibt es nur einen Standpunkt: unterwegs. Leben ist Bewegung. Das helle Strahlen der Wahrheit zieht uns an, bis dahin, dass wir die verstecktesten Fünklein lieben, die in unserer Lebensgeschichte ausgestreut sind. Steinige und dornige Felder, die gibt es. Aber die Wahrheit kann sogar Grabsteine heben und zum Leuchten bringen, und aus Dornen eine Krone machen. Es gibt keine letzte Unfruchtbarkeit. Die Geschichte ist nicht leer, sie liegt nicht in Ruinen. Sie erlebt ihren Frühling. Die Schöpfung trägt vielfältige Zeichen der Gegenwart Gottes, Spuren seines Plans. … Die Kirche befindet sich nicht vor einer Welt, die nie etwas mit Gott zu tun gehabt hätte, nicht vor einem geistlichen Nichts. Sie befindet sich vor den Spuren Gottes.“ (S. 82)

 

„Die Wahrheit hält Abstand zu den Worten, in denen sie sich ausdrückt. Sie gibt Zeichen und geht weiter als die Sprache.“ (S. 83)

 

„Man kann manch Schlimmes über den Marxismus sagen (ich spreche nicht vom Stalinismus): Die Hoffnung, die er ausdrückte, findet heute nirgends mehr Halt. Es bleibt nur die Globalisierung der Dinge. Sie setzt sich lieber für virtuelle Geldströme und für niedrige Handelskosten ein als dafür, Menschen zusammenzubringen.....Wir befinden uns heute in einer Ideologie des Gleichen. Sie umgreift die ganze Welt und verfolgt mit aller Kraft ein einziges Ziel: Alle Völker sollen den Lebensstil des Westens übernehmen und nach schnellem Gewinn streben.“ (S. 85)

 

„Die Globalisierung bringt enorme Fähigkeiten hervor, mit Unterschieden zu leben. Wenn sie an ihrem Platz bleiben, sorgfältig eingepasst in die herrschende Identität, akzeptieren und anerkennen wir sie. … Das manche Leute das Recht beanspruchen, anders zu leben, ist für die Ideologie des Gleichen kein Problem. Denn sie nimmt es als wirkliches Anderssein gar nicht ernst.

Diese Herrschaft des Gleichen will ihre Einförmigkeit zeigen. Deshalb sind heute Stars so wichtig, bis an die Grenze des Erträglichen. Auf Kosten der Personen und Institutionen, die vermitteln und repräsentieren, benehmen sich Staatschefs wie Stars und machen sich bewusst zum Symbol der Einförmigkeit. Dieser Regierungsstil greift nach den Medien. Fernsehen und Internet sagen, was der große Mann sagt. Sie ermöglichen ein Regieren ohne Vermittler, das sich vom Gipfel der Macht direkt an die hinterste Hütte wendet. Das Gleiche in Sport und Theater: Die Rolle der großen Künstler und Sportler ist, die Einförmigkeit darzustellen.“ (S. 86f)

 

„Wir machen uns nicht klar, welches Gewaltpotential der Druck zur Einförmigkeit freisetzt. Je mehr Sie alles in eine Form pressen, desto mehr Widerstand schlägt ihnen entgegen. Ohne etwas rechtfertigen zu wollen, das macht die Flut lokaler Unabhängigkeitsbewegungen und terroristischer Gewalt verständlich. Wenn die Gesellschaft den Menschen keine Möglichkeit gibt zu sagen: 'Ich bin anders als ihr denkt!', provoziert sie eine Art Adoloszenzkrise und ruft Gewaltausbrüche hervor. Die Einförmigkeit ist gefährlich, weil sie das Anderssein ablehnt. genauer: weil sie die Auseinandersetzung mit dem Anderssein verweigert.“ (S. 88)

 

„Wir erleben zwar ein kulturelles Feuerwerk. Aber das heißt nicht, das die Menschen einander begegnen. Eine Globalisierung der Menschen hat noch nicht stattgefunden.

Aber in Wirklichkeit entscheidet der andere, wer er ist, was seinen Unterschied zu mir ausmacht. Sein Anderssein liegt nicht in meiner Hand. Der andere ist nicht verpflichtet, auf mich Bezug zu nehmen. Mich aber verpflichtet sein Anderssein, meine Grenzen anzuerkennen. Ich muss anerkennen, dass ich nicht die ganze Menschheit bin. Dass der andere anders ist, als ich mir überhaupt vorstellen kann. Hier geht es um den ganzen Reichtum der Kulturen. Der andere zeigt andere Zugänge zum Dasein. ...Wenn wir das Anderssein nicht zwiefach denken, führt das immer zu Machtbeziehungen. Dann vereinnahme ich den anderen und will vermeiden, das er mich vereinnahmt.“ (S. 89)

 

„Es ist niederschmetternd, das unsere Kirche Gefahr läuft, Abbild dessen zu sein, was in der Gesellschaft geschieht. Tatsächlich ist die Kirche wie ein Tonstudio; oft liefert sie gute Aufnahmen der gesellschaftlichen Stimmung.... Heute sind wir versucht zu organisieren, zu denken, zu verwalten, wie es die Gesellschaft tut: mit demselben Starkult, in dem alle dieselben charismatischen Ausnahmepersönlichkeiten verehren und die Übersetzer verschwinden. Aber das Christentum denkt ganz anders. Es ist auf Geschwisterlichkeit und Gemeinschaft gestimmt! Es glaubt, das niemand die Beziehung beherrscht, weil sie vom Geist ausgeht. Es setzt in Beziehung, ohne Unterschied zu leugnen. So schützt es die Person.“ (S. 90f)

 

„Soziologisch betrachtet, ist Zurückhaltung nur eine unter mehreren Kommunikationsformen der Kirche: nämlich in Milieus, welche ihr nicht naheliegen, die sie nicht wahrnehmen will. Ich habe noch nie gehört, sie hielte sich bei den Arbeitgebern oder berühmten Künstlern zurück. Aber gegenüber dem Arbeitermilieu, den Landarbeitern, jenen Klassen, denen gegenüber sich die Gesellschaft selbst vornehm zurückhält, weil sie sie nicht sehen und keine Macht zugestehen will: Da verbirgt sich die Kirche. Die Forderung nach direkter Sprache statt Zurückhaltung erzählt von einer herrschenden Schicht, die den Großteil der Gesellschaft weder wahr- noch ernst nehmen will.“ (S. 91)

 

„Ein Beispiel! Beim französischen Fernsehen gibt es Arbeiterpriester, als Beleuchter, Tontechniker, Hilfsarbeiter. Auf der Bühne erscheinen sie nicht: Sie bleiben unsichtbar: Einen Star-Priester akzeptiert unsere Zeit ja gern. Aber wenn er Tontechniker ist, interessiert er niemanden. Die anderen Techniker und Hilfsarbeiter, aber verstehen den Priester, weil er sich mit ihnen verbirgt. Indem er schweigt, spricht sein Dienst. So soll die Kirche kommunizieren. Wenn sie es von außen kommt, wie es alle Welt tut, entsteht die falsche Art von Beziehung. Diese Art sich breit zu machen, sich vorzudrängen und das Wort zu ergreifen, passt allzu gut zum Stil dieser Zeit. Je mehr die Kirche sich so benimmt, entwertet sie sich, weil sie dann eine Stimme unter vielen ist. Je mehr sie schreit, sie sei einzigartig, ordnet sie sich in den großen Chor der Einzigartigen ein. wenn die Kirche eine platte Lesbarkeit, eine zu starke Identität vor sich her trägt, die nicht wirklich Platz hat für den anderen, steht die Kirche neben sich. Sie macht sich zum Außenseiter, gerade indem sie den Mittelpunkt beansprucht. Es gibt ein Paradox des allzu Sichtbaren, allzu Massiven, das nicht darüber nachdenkt, wie eine Beziehung zum anderen entsteht. Im Grunde erwarten Kirchenleute hier immer noch, das alle vor ihnen auf die Knie fallen.

Je mehr wir auf der selbsternannten Einzigartigkeit herumreiten, desto weniger einzigartig ist sie. Einzigartig nennt sich heute jedes beliebige Waschmittel! .. Hier übernimmt die Kirche eine wirtschaftliche und parteipolitische Methode.“ (S. 92f)

 

„Und die Jugend? Sie muss ihre Identität suchen in einer Welt, die den meisten wenig und einer sogenannten Elite viel Raum gibt. Sie steht in Versuchung, sich mit fremden Bildern zu identifizieren, um den gesellschaftlichen Spannungen zu entrinnen.

So rechtfertigt sich die Vereinheitlichung selbst. Sie zimmert sich ein goldenes Zeitalter zurecht und sucht Macht und Gelegenheit, es durchzusetzen. Der Erfolg und seine Bilder sind in der Globalisierung der Dinge unglaublich wichtig geworden.... Die äußeren Zeichen des Reichtums sind auf der ganzen Welt identisch, das man sie gleich wiedererkennt: ein Trend zum Banalen. Wirkliche Kreativität findet sich kaum mehr; die zeitgenössische Kunst ist in den letzten vierzig Jahren ja schnell alt geworden. Über Bilder, die gestern Höchstpreise erzielten, reden wir schon heute nicht mehr.“ (S. 95)

 

„Es ist faszinierend zu beobachten: Wenn jemand eine Identität durchsetzen will, bindet er sie an Dinge, die nur von den Mitgliedern seiner eigenen Gruppe verstanden werden... Aber die Botschaft gehört nicht dem, der sie sendet, sondern dem, der sie liest. Das ist internationales Postrecht: Sobald sie einen Brief in den Kasten geworfen haben, gehört er dem Empfänger!... Gerade so gibt es einen Übergang, an dem Ihre eigene Identität sich Ihnen entzieht und in den Einflussbereich des anderen eintritt.“ (S. 95)

 

Zur Frage von Gira: „Viele Leute in und außerhalb der Kirche lassen sich vom Sakralen faszinieren, das man keinesfalls antasten darf. Das man es kaum oder gar nicht versteht, stört sie kaum. …“

„Rouet: Diese Beziehung zum Unantastbaren beruht auf einer Allmachtsphantasie. Sie funktioniert nämlich wie ein Spiegel. Die Leute betrachten und idealisieren ihr eigenes Bild. Eine Art unbewusste Selbsttäuschung! Hinter dem unantastbaren und einheitlichen Bild verbirgt sich nämlich ein Wille zur Macht, der seine eigene Identität inszeniert. Es geht nur um Selbstbestätigung.“ (S. 97)

 

„Identität im vollen Sinne gibt es nur als Botschaft, im Raum gegenseitiger Anerkennung. So wie in der intimsten Begegnung zwischen Mann und Frau gerade der Körper, der die Einheit schafft, unüberwindliche Unterschiede setzt! Im Augenblick der mächtigsten Einheit gewinnt auch die Unterschiedlichkeit die größte Kraft. Ein großartiges Paradox, das uns Christen etwas zu sagen hat: Eine Identität kann nie so selbst gewiss sein, das sie den Raum des anderen an sich reißen und so den anderen leugnen könnte, der auf andere Weise anders ist. Die wahre Lösung liegt in einer Beziehung, welche die Verschiedenheit anerkennt.“ (S. 97)

 

Zur übertriebenen Bedeutung, die manche ..Großanlässen zumessen: „Es gibt die Versuchung, Identität, Macht und Zahl in eins zusetzen. Aber wir haben nicht recht, weil wir dreihunderttausend sind“ Meine Generation hat genug Gewaltherrscher erlebt, die große Menschenmassen und viele junge Leute auf die Beine brachten. Nichts gegen große Treffen,... Aber mit unserem Selbstbewusstsein, mit unserer Identität haben Großanlässe gar nichts zu tun. Was sollte das auch für eine Botschaft sein, die nicht Beziehung sein will und stattdessen Geschmack an der großen Zahl findet. Vergessen wir doch nicht, das zuerst und immer die Hingabe an den anderen, also das Loslassen seiner selbst die christliche Identität ausmacht.“ (S. 98f)

 

„Ein Grundsatz des Christentums lautet, dass Gott, der uns ohne uns geschaffen hat, uns nicht ohne uns retten wird. Wie lassen wir die Menschen, die wir heute ansprechen, an ihrer Rettung mitwirken?“ (S. 99f)

 

s. Seligpreisungen Jesu „Wenn wir nicht bei dieser Sehnsucht nach Glück ansetzten, bei diesem Sehnen nach Begegnung und Anerkennung, wie wollen wir dann den anderen erreichen? Dann berühren wir die Frage der Identität gar nicht, dann geht es nur um Ergebnis, Ertrag und Statistik. Wenn wir uns aber die Mühe machen, das Sehnen des anderen kennenzulernen, es anzunehmen und auch unser eigenes Selbst durchscheinen zu lassen, mag es auch lange dauern und langsam vorangehen: Dann bewegen wir uns innerhalb der christlichen Identität. Sie bedeutet Anerkennung und Respekt. Sie verlangt eben nicht vom anderen, er möge aufhören, anders zu sein.

'Werdet ähnlich wie ich, denn auch ich bin ähnlich geworden wie ihr!' (Gal 4,12). das ist christliche Identität: Eine Antwort können wir nur erwarten, wenn wir uns verletzbar gemacht haben, wenn wir selbst der Einsatz sind. Wenn wir nicht bloß sagen, was wir zu sagen haben! Es kommt auf die Ähnlichkeit mit der Lebensform, den Sorgen und Nöten der anderen an. Mit anderen Worten: Wenn wir Christen uns nicht von Rentabilität und Erfolg lösen, verlieren wir unsere Identität. Die Worte Erfolg und Scheitern kommen ja in den Evangelien gar nicht vor Wie sollten wir auch unsere sogenannten Erfolge bilanzieren? Mit Zahlen, wie jeder beliebige Betrieb dieser Welt? Wenn wir auf Erfolg verzichten und schlicht versuchen, Beziehungen zu knüpfen,.. wenn wir also unsere Identität verlieren: genau dann aufersteht sie. Wir finden uns in der Begegnung mit dem lebendigen Anderen!“ (S. 100f)

 

Orientierungspunkte

angesichts von Armut, Migration und Kirche als Unternehmen

 

„Lassen wir doch unsere festen Orientierungspunkte los! Manche Leute meinen ja, unsere Gesellschaft habe die Orientierungspunkte verloren. Aber in Wirklichkeit gibt es zu viele davon! … Schon das Wort Orientierungspunkte (repère) befriedigt nicht. Es ist nämlich mit répertoire verwandt, mit der Auswahl von Musikstücken, die ein Heranwachsender spielen gelernt hat. Und flugs ist man in der Wiederholung, im Gleichen. Und orientiert sich an der Vergangenheit. Aber die frohe Botschaft fordert heraus, an der Zukunft zu bauen! Es gibt keine christliche Identität ohne Hoffnung. Wenn du morgen Kind Gottes sein, seinen Willen tun willst, dann lebe die Seligpreisungen!“ (S. 101)

 

„Bezeichnenderweise diskutiert die Kirche heute drei große Fragen. Wie sollen wir die Armut werten – bedeutet sie ein Übel, um jeden Preis zu meiden? Oder bedeutet Armut gerade jenes Loslassen, des die Hoffnung bedarf? Breitet sich die Frohe Botschaft einfach durch Verkündigung, oder durch den Dialog mit der Welt aus? ...Schließlich: Empfängt die Kirche etwas von der Welt? Leben wir nach der Art der Inkarnation, oder stehen wir der Welt gegenüber wie eine Gesellschaft der anderen? Erinnern wir uns daran, dass nichts der biblischen Botschaft mehr widerspricht als die Vorstellung eines Monopols.“ (S. 101f)

 

„Wir können die Frohe Botschaft nicht verkünden, als hätte sie nichts mit uns zu tun. .. Ein Christ soll lernen Ich zu sagen, aber nicht das Ich ! des Stolzes.“ S. 103

 

 

„..wenn ein Subjekt etwas sagt, objektiviert es, was in ihm ist. Wenn wir ernstlich nachdenken, lassen sich Subjektivität und Objektivität nicht trennen.

Wir kommen nicht darum herum: Die lebendige, eigenständige Subjektivität muss zu Worte kommen. Wäre dem nicht so, könnten wir mit Gesetzen alles lösen, wie es Frankreich heute missbräuchlich versucht. Als könnten wir der Machtfantasie des Einzelnen die Machtfantasie einer idealen und vollständigen Gesetzgebung entgegenstellen! Könnten wir – ach, es wäre ein Fluch! - mit Gesetzen alles lösen, nähmen wir den Menschen alles, was ihn vom Tier unterscheidet: Distanz, Ungewissheit, zwang zu entscheiden, kurz: unsere Subjektivität.“ (S. 106)

„Es wäre indes arg idealistisch, sich diese Subjektivität ohne Widersprüche vorzustellen. seit Freud wissen wir, dass sie immer von Hintergedanken bestimmt ist. Ein Mann aus Poitiers, Michael Foucauld, hat uns vor Augen geführt – ein schrecklicher Satz! -, dass wer die Sexualität beherrscht, den Menschen beherrscht. Dieser Zustand des Subjekts macht das Nachdenken über Ethik nicht sinnlos. Aber das Nachdenken soll auch selbst ethisch bleiben, indem es mit der Unfertigkeit des Menschen rechnet.“ (S. 107)

 

 

„Die Offenheit für den anderen braucht ein Minimum an Halt, sonst bedeutet sie Selbstauflösung. Wenn das Reality TV unter dem Vorwand der Offenheit alles zeigt, leistet es Beihilfe zu einem Zustand, in dem das Ich sich selbst nicht mehr gehört...Wenn der Selbstschutz verloren geht, verliert die Person ihre Identität. Das ist ein ernstes Problem, und es hilft nicht, in esoterische, literarische oder spirituelle Träumerei ohne Bodenkontakt auszuweichen. Es geht darum, das Ausschließen zu vermeiden – der oder ich! - und auf konkrete Anpassung, Annäherung, Partnerschaft zu setzen. So wie die Bibel auf den Bund setzt, nicht auf Konkurrenz und Ausschluss, die immer Gewalt und Machtkämpfe nach sich ziehen.“ S. 113

 

„Es gibt nicht einfach mich und den Anderen, sondern auch ein Drittes, das vermittelt, zum Beispiel Wohnung, Verkehrsmittel oder das Recht. Denken wir nur daran, was wir empfinden, wenn unser Land viele Fremde aufnimmt, ohne zu prüfen, ob sich die Mitglieder von Verbrecherbanden unter ihnen befinden. Ich weiß wohl, das ist heikles Gelände. Aber man fällt nicht aus der Ethik heraus, indem man diese Frage stellt.“ (S. 113)

 

„Zum Beispiel kann eine Schulklasse bis 50 % Fremde verkraften, wenn nur zwei Volksgruppen im Spiel sind. Dann lernen die Kinder genauso schnell wie eine andere, die aus nur einer Nationalität besteht. Wenn aber mehr Sprachen hinzukommen, dürfen es nicht mehr als 30 % Fremde sein, sonst lernen die Kinder statt einer gemeinsamen Sprache schneller ein Kauderwelsch, um sich untereinander zu verständigen. Es mag Methoden geben, diese Zahlen noch etwas hinauszuschieben, aber aus dem Weg räumen kann man sie nicht. wer vom Anderen spricht, ohne diesen Erfahrungen Rechnung zu tragen, bereitet Gewaltausbrüchen oder wenigstens Ungerechtigkeiten den Weg. Heute laufen wir Gefahr, den Fremden einfach dahin zu schicken, wo wir ihn brauchen können, als Müllmann und Hilfsarbeiter. Nichts gegen den anderen, solange er sich unterordnet! Das sichert den Einheimischen die oberen Plätze.... Die Begegnung mit dem Anderen verlangt eine äußere Ordnung, die Nahrung, Wohnung, Recht, vielleicht auch Berufswahl regelt, damit die Beziehungen nicht nur von gutem Willen, Höflichkeit oder Lust und Laune abhängen.“ (S. 116)

 

Sein Bistum hat viel getan, um Migranten aufzunehmen... „Es reicht nicht, bestimmte Verhaltensweisen zu verurteilen und den Leuten Schuldgefühle aufzuladen. Wir, die Kirche, sollen viel über Formen der Vermittlung nachdenken. Unser Problem sind weder Quoten noch Gewalt, weder Naivität noch der Mut zur Kritik. Unser Problem ist die Vermittlung. Wir dürfen nicht meinen, eigentlich müssten die Menschen doch von Luft und Liebe leben in ungetrübter, idealer Gastfreundschaft. Und sie vor lauter Idealismus verachten!“ (S. 117)

 

„Die Aufgabe liegt nicht darin, dass die Fremden in unserer Kirche Platz finden, sondern das sie als Fremde Verantwortung bekommen. Einige werden ja in ihre Heimat zurückkehren und wollen ihre Kultur behalten...Es kommt nicht darauf an, dass sie uns ähnlich werden, sondern dass sie uns geben können, was sie sind. Hinter der Kritik, die mehr Integration fordert, stand die Vorstellung einer einförmigen Kirche. Aber kein Wort widerspricht der Kirche mehr als einförmig. …. die Kirche ist nicht einförmig wie die Hotelketten, die in allen Hauptstädten gleich aussehen, auch nicht wie die Spielregeln des Fußballs oder der olympischen Sportarten, die in allen Ländern gleich sind. Hier handelt es sich gar nicht um Einheit, sondern bloß um Einförmigkeit, die jemand durchgesetzt hat. Es ist ganz klar: Wenn die Kirche so denkt, zwingt sie den Anderen in westliche Denkweisen und Strukturen. Dann muss, wer Christ sein will, sich unter das Joch unserer Kultur beugen. Die Kirche aber ist katholisch, eine Gemeinschaft von Ortskirchen und keine Pyramide, die über die ganze Erde herrscht. Katholisch bezieht die Eigenheit eines jeden ein, während das Einförmige darauf beschränkt, Menschen und Staaten zusammenzuzählen. Alles – griechisch pan - bedeutet Verallgemeinern, Breitmachen, Aufeinanderstapeln. Katholisch – holos, ganz – bezieht sich auf jeden Ort, von dem her sich der ganze Mensch erschließt: Die Kirche ist katholisch, weil sie im Herzen berührt und so alles zusammenführt, was von lebendiger Bedeutung ist. Verallgemeinern heißt vereinnahmen, katholisch sein heißt verbinden. Der Weg des Katholischen führt über das Herz. Deshalb schließt er die Vielfalt ein.“ (S. 121)

 

Wer also, einfach als Mensch, eine zweideutige Haltung zum Anderen vermeiden will, kommt von allein in die Nähe des katholischen Begriffs der Gegenseitigkeit, in dem jeder dem anderen etwas gibt. Gerade das, was er eben hat – ein Lächeln kann ja ein vermögen wert sein! Der Austausch sucht gar nicht danach, das jeder gleich viel gibt. Austauschen ist auch nicht dasselbe wie etwas miteinander teilen. .“ (S. 121)

 

„Dem Elend entkommen wir, indem Jesus uns einen Bund anbietet, der uns aus der Einförmigkeit befreit.“ (S. 123)

 

“Die Kultur und Lebensart ausländischer Christen machen uns bewusst, dass wir ja selbst Christen in einer gegebenen Kultur sind. Erst durch sie entdecken wir, wer wir sind. Sie erfahren das genauso, und diese ähnliche Abhängigkeit macht uns zu Geschwistern.“ (S. 125)

 

Die Bitte um Einheit im Hochgebet der Eucharistie „Diese Bitte ergibt sich unmittelbar aus dem Glauben an den dreifaltigen Gott, in dem sich innigste Einheit mit äußerstem Respekt für jede der Personen verbindet.“ (S.126)

„Ich muss beim Friedensgruß oft an die Angst vor dem anderen denken. In Wirklichkeit haben die Leute ja meistens Angst voreinander. Unsere Gesellschaft gibt sich zwar einförmig und auf gemeinsame Ziele bezogen, aber in der Tiefe ist sie zerrissen. Untergruppen und verschiedene Milieus sprechen nicht miteinander, kennen einander nicht einmal. Es ist wichtig, diese Angst auszutreiben. wenn wir wenigstens in der Kirche lernen könnten, keine Angst voreinander zu haben!“ (S. 128)

 

„Wo solche Orte der Vermittlung funktionieren, sieht man auch, wie fruchtbar sie sind. Statt zu sagen: „Seid doch lieb zueinander und öffnet allen die Türen“, stellen wir lieber Vermittlungsstrukturen auf die Beine! Sie ermöglichen die Begegnung von Mensch zu Mensch, von Gläubigen zum Gläubigen, ohne den Anderen zu verstümmeln. So dass er nicht verleugnen muss, wer er ist.“ (S. 129)

 

„Vermittlung hat mit dem Recht zu tun. Warum gibt es so wenig Kontrollen und Anklagen gegen Schlepper, diese Verbrecher und Sklavenhalter? Obwohl sich jene, die sich den Menschenhändlern für teures Geld anvertrauen, sich darüber nicht allzu viele Sorgen machen. Statt die Leute zu belästigen, wenn sie schon hier sind, sie vor Schul- oder Krankenhäusern festzunehmen, würden wir besser die Schlepper verfolgen. Solange es keine wirksame und gemeinsame Politik zur Abschreckung der Schlepper gibt, bleiben die Meere voller Seelenverkäufer, mit Hunderten Menschen an Bord, ständig vom Sinken bedroht; gibt es in den LKW Verstecke und in den Bussen falsche Pässe; übernehmen Taxis die Leute an den Autobahnraststätten und bringen sie an den Zielort.“ (S. 129f)

 

„Weil der andere so wichtig ist, bin ich so besorgt über die gegenwärtige Restauration in der katholischen Kirche, die sich für das einzig wahre Christentum hält. Die Kirche steht heute in der Versuchung zur Einstimmigkeit, zur Einförmigkeit zurück zu wollen. Schauen Sie nur auf das Sprechen in der Einzahl: Das Heilige, der Respekt, der Priester, alles wird auf eine Einheit mit eindeutigem Mittelpunkt zurückgeführt. Aber der Papst ist so weit weg, so abstrakt, das jeder aus ihm macht, was ihm gefällt. Das Einheitliche kann man nicht manipulieren. Es ist eine traurige Tatsache, das unsere Kirche sich benimmt wie ein Unternehmen, das seine Marktanteile verteidigt. Sie verengt sich auf ihr eigenes Funktionieren, ausgerechnet gegenüber schweren Notlagen wie jene, von der wir sprachen. (S. 130)

 

„Was wir sind, wurde uns gegeben, weil Christus uns vertraut. Als Erster glaubt Gott an den Menschen. Das Schönste, was wir geben können, ist das Geschenk, von dem wir leben: Vertrauen.... Bevor er zu predigen begann, hat Jesus der Welt vertraut. Bevor er sprach, hat er immer Zeit gelassen, damit Vertrauen entstehen konnte. Er hat den Menschen gezeigt, dass er ihnen vertraute, auch wenn nichts zurück kam. Als Judas ihn verriet, sprach Jesus ihn mit „mein Freund“ an. Seien wir also dieser Beziehung treu! Was wir geben können, ist gerade das Vertrauen, das uns zu dem macht, was wir sind. Angst ist das Gegenteil von Vertrauen. Entweder vertrauen wir, oder wir geraten unter die Herrschaft der Angst. Das Vertrauen bezieht sich nicht auf ein paar wenige, die uns umgeben und uns ähnlich sind. Das wäre nur Selbstbespiegelung und Vetternwirtschaft.“ (S. 131)

 

„Natürlich ist es mit dem Anderen immer schwierig, aber gerade hier entscheidet sich, ob wir Christen sind. Wir sollen Vertrauen verkörpern.“ (S. 132)

 

„Es sind also beide Aspekte wichtig: die Erfahrung von Vertrauen, auf die Heranwachsende enorm aus sind – sie zweifeln ja so sehr an sich selbst, das sie meinen, die ganze Welt zweifelte an ihnen! Und ebenso die Sehnsucht, eine solche Erfahrung zu machen! Dabei gibt es Bilder, die den Weg versperren, zum Beispiel ein so hoch gehängtes Idealbild des Vaters, das niemand mithalten kann. Und manche Männer können nicht heiraten, weil ihre Erfahrung der Mutter so dominant ist, dass keine Frau dieses Niveau erreichen kann. Da ist es doch gut, dass jeder seine Grenzen hat!... Der Andere wird wertvoll, indem wir über bisherige gute Erfahrungen, Gemeinschaft und Begegnungen hinauswachsen. Und indem wir unsere schlechten Erfahrungen ohne Bitterkeit annehmen.“ (S. 132f)

 

„Für junge Leute (und jung ist man bis 40) sind heute die Kameraden eine große Gefahr! Das Wasser, das sie trägt, überschwemmt sie auch, so dass sie nicht zu echter Selbstbestimmung finden. So wie früher die Beziehungen zur Familie belasteten, belastet heute jene zu Kameraden.“ (S. 133)

 

„Das der Pfarrer über alle Rechte verfügt, einschließlich der finanziellen, das gibt es erst seit 100 Jahren! Plötzlich fand sich der Priester in einer Situation ohne Gegenüber, in einer idealen, völlig freien Gesellschaft.., dem Traum des Mittelalters. Es ist erstaunlich, was dem Mittelalter nicht gelang, die völlige Unabhängigkeit der geistlichen Macht, gelang der Trennung von Kirche und Staat!

Die Kirche lebt heute in einer Gesellschaft, die, abgesehen von Kleinigkeiten, überall die gleichen Strukturen hat, ohne Rücksicht auf die Umstände. Schrecklicher Zentralismus! Wenn es irgendwo in der tiefsten Provinz Ärger gibt, spricht das Fernsehen nicht mit einem Fachmann, es wendet sich an den Minister..., gerade so wendet man sich immer gleich an den Bischof.... Die Leute haben diesen Starkult mit den kirchlich Verantwortlichen vor den Augen, der das Erscheinungsbild der Kirche einschließlich der movimenti prägt. Da verstehe ich, wenn sie sagen: „Es reizt uns nicht, in dieses System mit starren Regeln einzutreten. Obwohl wir eigentlich bereit wären, zu hören, was Jesus sagt.“ Die Kirche soll über das Bild nachdenken, das sie abgibt!“ (S. 136f)

 

„Ja, wir kennen Dialog und Streitgespräch, das ausgetauschte Wort, in dem sich eine geschwisterliche Haltung zeigt. Aber das Pfarreisystem und die Allmacht des Priesters stehen nicht zur Debatte.

Die griechischen Städte waren Orte des Streitgesprächs, an dem nur die Bürger teilnehmen durften. Paulus verteidigt seinen Status als römischer Bürger so energisch, weil es das Recht auf freie Rede und anständige Behandlung einschließt. Es ist der Schlüssel zur politischen Mitwirkung. Deshalb sagt Paulus den Ephesern (…), früher seien sie Fremde mit Wohn-, aber ohne Bürgerrecht gewesen, heute aber Bürger des Himmels. Paulus geht von der politischen Ordnung der Stadt aus, um einen Rollenwechsel verständlich zu machen....

Heute leben wir in einer ganz anderen Gesellschaft als vor der Revolution. Aber das geweihte kirchliche Amt gibt es immer noch. Seine Rolle weiterzuentwickeln bedeutet nicht, das Amt abzuschaffen; … Ich bin gewiss, dass unsere Art, als Kirche zu leben, unserer Welt nicht gut antwortet. Auf die Höhe der Zeit bringt uns doch nicht das Internet, es treibt die Zentralisierung und deren Tempo ja noch an. Machen wir ernst damit, dass der Glaube, andere Beziehungen fordert als jene, die heute üblich sind! Dass man seinem Chef gehorchen soll, ist keine besondere Weisheit. Das zu sagen hätte Christus nicht kommen müssen. ...Wir Christen unterscheiden uns vom Geist dieser Welt! Wenn im Erscheinungsbild der Kirche keine größere Weite spürbar wird, verbirgt es auf missliche Weise , was es zeigen sollte. Jesus hat ja etwas Neues geschaffen, nicht wie der Tempel, nicht wie die mächtigen Religionen, die er vorfand. Paulus hat das Neue am besten erklärt: Sein Leib. Wir werden mit Christus eins und stehen zueinander wir Gliedmaßen und Organe. Deshalb lässt sich die Einheit nicht als Einförmigkeit, sondern nur als Gemeinschaft verstehen. Wir sind ein lebendiger Körper, in dem jeder gibt und empfängt. Wenn ich immer nur empfange, ohne etwas zu geben, genieße ich kein Ansehen. Wenn ich immer nur gebe, ohne zu empfangen, bin ich ein Tyrann. Unsere Identität verlangt Formen des gegenseitigen Austauschs!“ (S.138f)

 

„Jesus hat die Apostel um sich gesammelt in einer Atmosphäre, in der man reden konnte. Was tun wir?“ (S. 139)

„Wir sollen den kirchlichen Verantwortlichen ihre Star-Position nehmen.“ (S. 141)

 

 

 

Wie kann die Kirche glaubwürdig sein?

 

„Indem die Gläubigen selbst die Verantwortung für das Zeugnis übernehmen! Darin liegt ein enormes Potential. In unserer schwierigen Lage sollen wir Paulus folgen und zur Quelle kommen, von der alles ausgeht. … Wir sollen es anders halten als die Massenmedien, die einen Nobelpreisträger für Physik über den Anbau von Erdbeeren interviewen. Hübsche Idee..., aber bloß weil einer ein Gebiet beherrscht, muss er vom nächsten noch nichts verstehen. Wenn die Kirche glaubwürdig sein will, soll sie die große Vielfalt der Aufgaben, Ämter, Dienste wieder zulassen, welche die paulinischen Ortskirchen kannten, auch wenn wir nicht im Einzelnen wissen, was sie umfassten. Diese Vielfalt bot jedem Möglichkeiten, sich auszudrücken und Anerkennung zu finden. Ein jeder wurde unverwechselbar dank der Gabe, die der Geist ihm verlieh zum Wohl der Gemeinschaft.

Die Kirche hat ein echtes Problem, zu sagen, was wir glauben sollen und was nicht. Wir (und auch so manche Nichtchristen) ermessen kaum, wie wichtig es ist, geschichtlich zu denken.“ (S. 141f)

 

„Ich spreche mit Leuten am Rand der Kirche und merke, sie haben Angst. Das beschäftigt mich. Weil die Kirche ihnen wie ein geschlossenes System vorkommt, das alles weiß, was man machen muss..., das es zwar nicht umsetzen kann, aber das Bescheid weiß. So walzen wir die Leute einfach nieder. Unser Allwissen lastet zentnerschwer auf ihren Schultern. Wir machen uns nicht klar, wie verbreitet diese Angst ist, und wie viele Menschen sich nicht trauen, einen Priester aufzusuchen Nur muss man ziemlich lange mit den Leuten reden, bis sie es zu sagen wagen. Die Kirche soll wieder Vertrauen gewinnen, und dafür muss sie mit Sicherheit anders funktionieren als heute. Die große Versuchung der Kirche liegt darin, die modernen Medien zu nutzen, um zu verbergen, dass sie nicht wirklich in diese Zeit eintreten will. Dann haben wir prima Computer, aber verstehen den menschlichen Sinn der Worte nicht mehr. Die falsche Art modern zu sein.“ (S. 143)

 

„Wir stellen einen Turm hin, vielleicht bewundernswert, den Turm einer Kathedrale, oder einen Eiffelturm: 'Kommt wir wollen uns einen Namen machen!' Aber wer wird nach uns rufen, wenn wir alle in diesem Mief versammelt sind? Dann stirbt der Dialog. Die Kirche braucht die Christen. Ich mache die Erfahrung, dass umso mehr Früchte erscheinen, je mehr ich den Christen vertraue. Natürlich, manchmal gibt’s Ärger, aber was heißt das schon... Wenn Sie ein Zusammenleben ohne Ärger gefunden haben, schreiben Sie mir eine Karte! Aber mehr davon haben wir nicht als früher. So oder so, Vertrauen schafft Ärger nicht ab. Es sieht ihn in neuem Licht.“ (S. 145)

„Auch ich habe wenig Lust, mir wieder einen Kaiser oder König als Lehnsherrn einzuhandeln. Aber Siegen ist auch etwas Schreckliches. Die Kirche hat über die Stämme der Völkerwanderung gesiegt und über das Kaisertum. Diese Siege laden ihr große Verantwortung auf. Denn wer einen Gegner besiegt, ist schnell dabei ihn zu plündern: Er nimmt seinen Stil an, übernimmt, was ihm heilig galt, Machtsymbole, Auszeichnungen, die ganze Art zu funktionieren. Jedenfalls ist das so, wenn man ein Kaiserreich besiegt. Seit der Antike sind so viele Symbole der Macht aus dem Heidentum in die Kirche eingewandert! Es ist Zeit, aus diesem Erbe herauszufinden.“ (S. 145)

 

„Bei Lukas heißt es: „Sie lassen sich Wohltäter nennen.“ Aber selbst wenn jemand Gutes tut, darf er daraus keine Machtposition formen. Unsere westliche Haltung verlangt ständig vom Verantwortlichen, dass er den Boss heraushängt. Genau das wollen die Evangelien vermeiden.“
(S. 146)

 

 

Gira: Manche würden betonen, dass Christus wirklich Gott ist und leiten daraus ein Kirchenbild ab, das vom Gehorsam geprägt ist, andere denken von unten her und betonen, dass Jesus den Menschen, besonders den Armen ganz nahe war, deshalb müsse es auch die Kirche sein. Rouet: „ Das sind bloße Worte. denn ob Sie nun vom Allerhöchsten oder vom Allertiefsten sprechen, alles spielt in einer senkrechten Bewegung. Aus beiden Ansätzen kann man eine Ideologie machen. Die Frohe Botschaft ist aber keine Ideologie. Im Namen der Niedrigkeit können Sie die Frohe Botschaft ebenso in ihr Gegenteil verkehren wie im Namen des Höchsten und Allmächtigen. Denn der am allertiefsten hinabgestiegen ist, weckt in Ihnen ein Schuldgefühl, das sich jeder Kritik entzieht. Darin steckt ein enormes Machtpotential. 'Sorgen Sie genug für Schuldgefühle, dann gehorchen sie!' Das ist stärker als jeder Befehl. Ich meine, dass die Frohe Botschaft nicht in diese senkrechte Denkweise passt. Jesus denkt geschwisterlich. 'Zeig uns den Vater!' 'Wer mich sieht, sieht den Vater!' (Joh. 14,9).... weder die Christologie von oben noch die von unten zeigt die Beziehungen, welche die Mitte der Frohen Botschaft ausmacht. Der Tonfall einer Beziehung ist nämlich wichtiger als ihr Inhalt. Ja! Denn aus dem Inhalt einer Beziehung kann man alles Mögliche machen... Die Frage ist, was man aus ihm macht, für was für eine Beziehung es steht. Man kann von oben so gut wie von unten gnadenlos denken, in der Art einer Macht, die keinerlei Spielraum lässt.... Die Gegenwart der Armen kann der maßloseste Zwang sein, den Sie jemandem aufladen können. Aber wo Pflicht, mechanische Gesetze oder deduktive Metaphysik herrschen, geht die Frohe Botschaft verloren.“ (S. 147f)

 

„Es kommt also nicht auf Worte an, sondern darauf, was sie bedeuten. Worte haben eben nicht immer den gleichen Sinn. Es würde der Kirche gut tun, das ernst zu nehmen und in Beziehungen zu denken, statt in abstrakten Prinzipien. Das stellt den Bischof in eine doppelte Verantwortung. Erstens hat er nicht das Recht, den Gläubigen etwas aufzuerlegen, was nicht zum Glauben gehört. Die Macht des Bischofs bezieht sich nach Paulus ja nur auf die Wahrheit! Und zweitens soll der Bischof dafür sorgen, dass jeder Christ sagen darf, was er zu sagen hat. Er muss nicht schweigen, bloß weil Frau X oder Herr Y empört sein werden. Manche Leute finden es derart herrlich, sich zu empören, man soll ihnen das nicht wegnehmen! Es wäre doch traurig, wenn sie nichts mehr hätten, worüber sie sich beschweren können... Anerkennen wir also das Recht der Leute, zu sagen, was sie zu sagen haben. Dann merken wir nämlich, dass das , was wirklich verpflichtend ist, viel weniger Raum einnimmt, als wir meinen. In der Kirche gibt es eine große Freiheit zu denke! Und diese Freiheit wird es immer geben, auch wenn in Kirche und Gesellschaft der Frost nach der Freiheit zu Denken und zu sprechen greift. Zu viele von uns halten sich an Denkverboten fest. Wenn es Beschwerden gibt, steht dahinter oft jemand, der die anderen zwingen will, so zu denken, wie er. Da geht es um Macht. Wir sollen aber auf jeden Fall an unserer Freiheit des Gedankens, des offenen Wortes und der Suche festhalten. Und dann gibt es noch dieses Argument, man müsse die Schwachen schützen. Ich habe mit zwei, drei Fällen näher zu tun gehabt, in denen Christen eine neue Ausdrucksweise der Theologie befremdlich fanden. Ich mache die Erfahrung, dass Christen Verständnis zeigen, wenn wir ihnen die Sache erklären, außer ein paar wenigen, die derart gern empört sind, dass sie sich hinter den Schwachen verstecken. Sie akzeptieren einfach keine Ausdrucksform des Glaubens, die nicht in ihren Kopf passt. Ich sehe das als Machtmissbrauch. Das heißt nicht, dass es gar keine Regeln gibt – aber schon das Wort Regel mag ich nicht, es klingt einfach nach Krämern und Zollbeamten. Besser wäre, sich eine Vision vor Augen zu stellen, was das heißt, Menschen in Treue zum Glauben zu führen. Wir Bischöfe sind Hirten, keine Tierärzte. Ein Hirte führt seine Schafe auf die Weide und möglichst an Orte, wo sie sich ausruhen können. Er ist nicht dazu da, jemanden einzusperren. So ist das mit der Kirche, und ich bin ziemlich sicher, dass Jesus es so gewollt hat.“ (S. 150f)

 

Lebendig sein

 

„Leben ist eine Quelle, die Freigiebigkeit selbst. Es geht darum, leer zu werden von sich selbst, loszulassen, sich hinzugeben. Er ist, indem er loslässt, indem er sich hingibt. Das macht ihn so frei, er besitzt einfach nichts. Dass er nichts für sich behält , macht ihn glücklich. 'Alles, was mir mein Vater gegeben hat, habe ich euch weitergegeben.'... Diese Beziehung ist etwas Einzigartiges, ohne Parallelen. Weil er in dieser Beziehung der Freigiebigkeit steht, ist es logisch, dass geben Leben bedeutet und sterben auferstehen. Das kommt uns neu vor, geradezu fremd..., weil wir noch keine Christen sind, oder jedenfalls kaum. Wir sollen uns bekehren, das wird die Welt verwandeln. Eine Frage, die mich immer wieder umtreibt: Die Kirche hat Heilige hervorgebracht, viele sogar, bemerkenswerte Leute, Denker und Künstler, aber sie hat es nicht geschafft, die Gesellschaft gerecht zu gestalten. Sie hat nur den Einzelnen eine Ethik gegeben – natürlich, das sollen wir tun, und kommen an kein Ende – aber die sozialen Beziehungen hat sie nicht menschlich gestaltet. Eine schreckliche Frage. Es ist viel einfacher, einen Einzelnen auf eine Schuld hinzuweisen als einer Gesellschaft zu sagen, dass ihre Strukturen unmenschlich sind und Sünde.“ (S. 154)

 

„Die Frohe Botschaft sagt uns, dass sich nichts verändern wird, solange sich die Beziehungen nicht verwandeln. Wenn die Kirche damit zufrieden ist (wenn sie es überhaupt merkt), unter der Lehnsherrschaft wie eine Lehnsherrschaft zu funktionieren und im Kaiserreich autoritär, schließlich bürokratisch in einem bürokratischen Staat, dann bedeutet diese Anpassung nichts, sie hat keinen Sinn. Wenn die Kirche aber daran geht, Beziehungen zu verändern, dann braucht diese Linie viel Mut. Aber genau das hat Jesus uns vorgemacht.“ (S. 155)

 

„Gal 6,10 fordert, ein gutes zwischenmenschliches Verhältnis zu pflegen, besonders mit den Glaubensgeschwistern. Wieso 'besonders'? Nicht um unserem Gärtchen besondere Pflege angedeihen zu lassen! Sondern weil die Kirche ein Versuchslabor ist, wo wir Partnerschaft ausprobieren, das freie Wort und gerechte Beziehungen üben. So dass, was wir wir in der Kirche leben, uns fähig macht, es auch draußen aufzubauen und bei den Nichtchristen ursprüngliche Werte zu finden. Das Konzil nimmt das im Blick auf die anderen Religionen auf: Die Kirche ist für alle das lebendige Zeichen einer versöhnten Menschheit. Ohne dieses Probieren aber finden die, die das Gute draußen schon tun, in der Kirche ihren Platz nicht. Und die's nicht einmal in der Kirche tun, wie sollen die's nach draußen trage? Organisieren wir uns also so, dass unser Glaube unsere Lebensart durchatmet, ja, dass er eine bestimmte Lebensart fordert. Hier dürfen wir keine Abstriche machen! Weil wir uns nicht zum Gott Jesu bekehren wollen, akzeptieren die Menschen nur Jesus, aber finden die Kirche nicht. Oder – das gibt es auch – sie lassen sich vom innerkirchlichen Starkult verführen, ohne dass das ihre Lebensweise änderte.“ (S. 156)

 

„Für mich heißt die erste Forderung: versuchen, den anderen zu verstehen. Es ist kein Zufall, dass die Begegnung Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh.4) heute eine besondere Ausstrahlung entwickelt.“ (S. 157)

 

„Die erste Forderung der Frohen Botschaft ist zu verzeihen. Man kann nicht von jemandem etwas fordern, den man nicht versteht und dem man keine Tür geöffnet hat. Wir stellen zu viele Forderungen auf, ohne zum Wesentlichen zu kommen, ohne zu zeigen, auf welche Weise die Forderung Frohe Botschaft ist. Sie ist nämlich Vergebung, indem sie sagt: 'Gut, das es dich gibt! Gut, dass du lebst!' Das Du sollst! der Moral ist etwas anderes als das Du sollst! der Frohen Botschaft.“ (S. 158)

 

„Gesellschaftliche Ungleichheiten führen stets zu Ungleichheiten in den Gemeinden; schon Paulus (1. Kor.11,21) und Jakobus (2,3) wehren sich gegen sie. Denn dann entspricht das Leben der Gemeinschaft nicht der Taufe, sondern der Gesellschaft.

Solche Fragen stellt uns heute die indische Kastenordnung. Hebt die Taufe sie nur scheinbar auf, so dass sie sich dann doch in der Kirche breitmacht? Auch wenn einer aus dem tiefsten Asien oder Afrika stammt: Wenn er getauft ist, ist er mein Bruder, ist er mir näher als meine eigene Familie, denn Gott selbst gibt ihn mir zum Bruder. Wir sind eins in Christus. Aus dieser Erfahrung entwickelt sich sehr früh ein Verständnis der Taufe, das die Einheit betont.“ (S. 164)

„Ein Neugetaufter bedeutet ja nicht einfach ein Vereinsmitglied mehr! Er bringt eine Gnadengabe Christi an seine Kirche mit. Der Neue – bringt den Alteingesessenen eine neue Art mit, die Frohe Botschaft zu verstehen, von Christus zu sprechen, in seinem Geheimnis zu leben. Deshalb verbindet sich mit jeder Erwachsenentaufe eine doppelte Umkehr: Umkehr des Taufbewerbers zum christlichen Glauben, und Umkehr der ganzen Gemeinschaft. Denn dank der Neugetauften begegnen die Christen immer wieder der Neuheit des Auferstandenen.“ (S. 167)

 

„Es ist Zeit, die Pyramide hinter uns zu lassen und Geschwisterlichkeit, Gemeinschaft und Dienen ernst zu nehmen. Wir sollen uns als einen lebendigen Körper sehen, dessen Gliedmaßen miteinander in Verbindung stehen, und der die wenig Geachteten am meisten ehrt (1Kor 12,23f).“ (S. 168)

 

„Das Wachstum ist vertrauenswürdig, wenn sich Christus selbst engagiert. Es muss in Seinem Namen geschehen, nicht im Namen der Ausstrahlung oder Stellung einer Person, oder einer ungebührlichen Sakralisierung. Woran sehen wir, dass wir wirklich im Namen Jesu versammelt sind? An der Begeisterung? Dann stecken wir mitten in den Schwierigkeiten mit etwas wirren Charismatikern, wie sie vor allem die johanneischen Gemeinden kannten. An ethischer Reinheit und Konsequenz? Dann lassen Inquisition und andere Machtspiele grüßen. Wir brauchen eine Autorität, die unseren kritischen Fragen standhält, damit das Wachsen authentisch und nicht nur richtungsloses Wuchern ist.“ (S. 170)

 

„..wer in Begriffen des Ansehens denkt, verteidigt schon die Interessen einer privilegierten Gruppe. Und steht gegen die Frohe Botschaft, die allen, Laien und Priestern, die sehr radikale Frage stellt: Bist du bereit, dein Leben einzusetzen? Mit masochistischen, möglichst blutigen Martyriumsfantasien hat das nichts zu tun. Sondern damit, alltägliche Werte einzusetzen wie sein Ansehen oder seine Seelenruhe.“ (S. 172)

 

„Wo die Taufe in einem Leben wirksam wird, führt sie in die Wüste, 40 Tage, 40 Jahre: Unterwegssein, Nachfolge, Seligpreisungen, Armut, das ist das Wesentliche. „Nackt dem nackten Christus folgen“, schreibt Hyronimus. Alles loslassen, ganz Vertrauen werden: Erst wer nichts mehr in der Hand hat, anerkennt den anderen ganz. Die großen Traditionen - Benediktiner, Dominikaner, Franziskaner, Karmeliter – halten sich auf je eigene Weise an wenige Linien. Wer in die Stille des Gebetes Jesu zum Vater eintritt; wer sich auf den Weg macht, die Armut wählt und auf den anderen hören gelernt hat – das ist der Sinn des Gehorsams: Der hat die wesentlichen Züge eines christlichen Lebens beisammen.“(S. 182f)

 

„..in einer – mit Vorsicht gesagt – individualistischen Gesellschaft ist die Beziehung verwundet. weil sie nicht unbedingt Bestand hat, vielleicht nicht auf Gegenseitigkeit beruht oder unbeachtet geführt wird. Dann bleibt jeder in seinen Idealbildern allein. Das Christentum sagt demgegenüber, dass alles von Beziehungen abhängt. Beziehungen erschaffen nämlich Personen neu und bauen sie. Sich in einer Beziehung engagieren, heißt zusammenzugehören. ..Das berührt eine heilige Erfahrung: Wir teilen denselben Geist, wir werden ein wir.“ (S. 183)

 

„Aber erklären Sie einmal unseren Gemeinden, denen es genügte, sonntags zur Messe zu gehen, dass sie eine Beziehungsnetz pflegen, füreinander achtsam sein und teilen sollen! Das fordert harte Arbeit, Umkehr und viel Geduld. Eucharistie, Gebet und Sakramente sind ja geradezu Einzelteile geworden! Wenn in meiner Kindheit jemand heiratete, gingen alle zur Messe und zum Anstoßen. Heute nur noch geladene Gäste! Auch wenn wir taufen und firmen, kommen die Leute nicht. Sie gehören ja nicht zur Familie...das ist schlimm! Gerade wenn Christus und der Geist der Gemeinschaft aufbauen, erscheinen die Christen nicht, weil sie angeblich nicht dazugehören. Christliches Leben fühlt sich anders an! Nur zur Beerdigung kommen wir ohne Einladung, wer weiß, wie lange noch. Und seltsam: Je katholischer eine Gegend früher war, desto stärker findet sich das geistliche Leben privatisiert, als wäre es nur etwas für Einzelne, allenfalls für kleine Gruppen. Aber wo es nicht mehr viele Christen gab, sind die Menschen froh, mit der Gemeinschaft zu feiern.“ (S. 184)

 

Ethik und christlicher Glaube

 

„Ethik und gläubiges Leben sind nicht dasselbe. Es ist eben nicht so einfach. Die Beziehung zu Gott reicht tiefer und öffnet einen weiteren Raum als der Lebensstil, den eine Person wählt.“ (S. 185)

 

„...tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass Menschen in hochproblematischen Verhältnissen einen echten Glauben haben können.“ (S. 185)

 

„Auch im Neuen Testament treten wir einzeln in den Glauben ein, einer nach dem anderen. Die Tür ist eng, was nicht heißt, dass sie schwer zu finden sei, sondern dass immer nur einer hindurchpasst, ohne Waffen, ohne Gepäck.“ (S. 186)

 

„Offenbar kann der Mensch nie ganz Herr seiner selbst sein. Was ihn im Tiefsten ausmacht, entgleitet seinem Zugriff. Wenn also Ethik vom Unbewussten nichts wissen will und voraussetzt, ein jeder habe sich völlig in der Gewalt, dann liegt eine unhaltbare Oberflächlichkeit der Wahrnehmung vor. lebendige Wesen schlagen sich mit Komplexen herum, mit inneren Strukturen, die sie mehr erleiden als hervorbringen, und deren Geschichte und Gestalt nicht auf freie Entscheidungen zurückgeht. … Diese Erfahrung soll uns zu Barmherzigkeit und Einfühlung führen.“ (S. 186f)

 

Für die Bibel ist Ethik „zuerst öffentliche Ethik. Bevor die Bibel eine Person beim Namen nennt, interessiert sie sich für die Gemeinschaft, zu der sie gehört, für ihren Stamm, ihr Land und ihre Kultur. Sie prägen die Person von Geburt an. Auch heute stellt sich eine eine ganze Reihe von Problemen, die auf individueller Ebene nicht lösbar sind. Erst die soziologische Analyse macht sie zugänglich. Zum Beispiel Armut! Es ist keine Lösung, Einzelne aus der Armut herauszuholen – auch wenn wir das tun sollten, wenn wir können. Wichtiger ist darüber nachzudenken, welche Verhältnisse jemanden arm gemacht haben. Dann erkennen wir, dass er in Strukturen eingebunden ist, die stärker sind als seine Entscheidungen.“ (S. 187)

 

„Christliche Ethik bezieht sich also nicht nur auf Umgang mit der Technik, als wäre die Ethik das Schlusslicht am letzten Wagen des Fortschritts. Ethik kommt vor der Technik: Sie hilft, so zusammenzuleben, dass wir Mensch werden. wenn wir die Ethik nur auf den Einzelnen beziehen und nicht auf die großen Kräfte, die in der Gesellschaft wirken, verstümmeln wir sie. Der Blick der Kirche auf den neuen Menschen sieht keine Individuen, sondern Personen, Bündel von Beziehungen... Selbstsein setzt ja immer voraus, mit anderen zu leben. Deshalb ist das Nachdenken über Beziehungen wichtiger als Forderungen an Einzelne. Letztere stellen den Einzelnen oft vor die Unmöglichkeit, sie zu verwirklichen, oder bringen ihn in eine derart heikle Beziehung zu seiner Umwelt, das nur der Bruch bleibt. In beiden Fällen wird die Ethik bedeutungslos. Denn wer sich in sorgfältig eingerichtete Nischen zurückzieht, kann kein Zeuge der Frohen Botschaft sein, die für alle gut ist.“ (S. 188)

 

Ethik, die Prinzipien anwendet, statt konkrete Situationen zu beurteilen - „Dann besteht Ethik aus immer mehr Gesetzen, Vorschriften und Erlassen, gerade so, wie es heute im französischen Parlament zugeht. Dann gibt es nichts mehr zu diskutieren. es gibt keine besonderen Fälle, sondern nur die Übereinstimmung mit der Vorschrift. Aber niemand kann alle Fälle voraussehen, die das Leben uns stellt; es ist ja farbiger und vielgestaltiger als alle Erlasse. Hier heißt die Spielregel einfach: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz...Wer so denkt, unterdrückt das ethische Urteil. ...Die objektive Anwendung einer Vorschrift wird wichtiger als das Gewissen.“ (S. 190)

 

Heute meinen viele, Christen wie Nichtchristen, die Liebe Gottes hänge von einem ethischen Leben ab. „Hier wirkt der römische Tugendbegriff nach! Virtus bezeichnet Eignung, Fähigkeit und Macht, sein Dasein in den Griff zu bekommen. Dann hängt alles vom Willen ab. Das Subjekt wird zum Ursprung der Tugend. Wenn man so denkt, ist Glaube überflüssig. Dann kann man sagen: 'Ich lebe doch wie ein Christ, aber ohne Glauben. Können Sie mir erklären, wozu er dann gut ist?' Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Denn wenn die Ethik Gemeingut geworden ist, was im Westen grosso modo der Fall ist, braucht sie den Glauben nicht mehr. Dann kann man höchstens noch fordern, wie Napoleon und manche Politiker heute, der Glaube solle die öffentliche Moral stützen.“ (S. 192)

„Unsere Vorstellung orientiert sich arg am Nutzen! Auf der ganzen Welt sind Leute mit der Bahn unterwegs. Die Reichen Länder haben ihr Streckennetz elektrifiziert und fahren schneller. Der Glaube als Hilfsmittel für eine höhere Lebensform, als Elektrifizierung des moralischen Streckennetzes? Das Neue Testament denkt nicht so. Jesus lobt ausdrücklich den Glauben des heidnischen Hauptmanns. Den Mann würden wir nicht ohne weiteres zur Taufe zulassen...Der Glaube ist weder ein Medikament gegen unsere Schwächen noch Balsam für unsere Wunden. Er ist Vertrauen, das einer dem anderen schenkt. Auch wer lahm, krank oder behindert ist, kann Vertrauen schenken.

Der Glaube zeigt sich in der intimen Beziehung zwischen Christus und uns, sogar dann, wenn jemand von schlimmen Lastern nicht loskommt. Der Glaube kann sich in einem anständigen Lebensstil auswirken, muss es aber nicht. Er ist keine therapeutische Technik. Bloß weil einer glaubt, kommt er noch nicht von seinen Verletzungen los.... Der Glaube führt zu Frieden und Vertrauen, weil wir uns in allem geliebt wissen. Unsere Verletzungen und Lähmungen bleiben. Aber jetzt stehen sie in der Beziehung zu einem Anderen.“ (S. 195)

 

„Denken und Reden ersetzen fehlendes Selbstvertrauen nicht. Nur langes Begleiten, unverbrüchliche Treue, Geduld und Achtsamkeit können solchen Menschen zeigen, dass sie Vertrauen wert sind.“ (S. 196)

 

„Die Kirche soll hier unendlichen Respekt haben. Ja, Gott steht vor unserer Tür: 'Ich stehe an der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und mir öffnet, bei dem trete ich ein und setze mich zu Tisch,..' (Apk 3,20). Menschlich gesprochen gibt es also auf Ihre Frage keine Lösung, die immer wirkte. Aber vielleicht macht es ja gerade die Größe des Menschen aus, das niemand sich zu dieser Intimität Zutritt schaffen kann. Außer Gott... und der kommt ganz leise, so dass wir keinen Schaden nehmen.“ (S. 196f)

 

„Im Glauben muss es Unglauben geben, denn der Glaube braucht Raum, um sich zu entfalten. Und die Ethik braucht Freiheit, so dass das Gewissen nachdenken kann.“ (S. 198)

 

„Wissen Sie, in der Ethik ist die Sprache der Bergsteiger etwas Schlimmes. Manche schaffen es nicht, auf eine Stuhl zu steigen, wie wollen Sie die auf den Everest bringen? Der Höhenmesser taugt nicht als Kriterium. Schauen wir auf das, was einer konkret erreichen kann! Bei Jesus begegnen wir immer wieder dieser Haltung. Leute, die sich nicht bewegen wollen, findet er in geordneten wie in ungeordneten Verhältnissen. Ethische Wesen aber sind für ihn all jene, die schritte tun.“ (S. 198f)

 

„Wenn eine Religion mit der Kultur nichts zu tun haben will, wird sie eine Gruppenkultur, ein Getto; ein eigenwilliger Standpunkt mehr. Aber an den Brennpunkten, an denen die Kultur an sich arbeitet, wird die Religion nicht sein. Das ist heute ein ernstes Problem. Kulturen entstehen ja nicht am Schreibtisch. Kultur hat mit Fantasien zu tun und mit Widersprüchen; mit der Geschichte, mit einem Kräfteverhältnis, mit einem künstlerischen Erbe... Eine Kultur, vergessen wir es nicht, ist immer auch ein wirtschaftliches System. Mehr als alles andere prägen Menschen Strukturen, die sich aus den kulturellen Grundentscheidungen, aus beherrschenden Kräften aufbauen. Manche Kulturen bauen auf militärische, andere auf wirtschaftliche Kraft, wieder andere auf Landwirtschaft. Was dieses Erste ist, stellt eine ethische Grundentscheidung dar! Diese Kultur sollen wir menschlich machen, indem wir eine Art des Zusammenlebens schaffen, in der jede Gruppe – Christen, Andersgläubige, Ungläubige – auf je eigne Weise menschlicher werden kann. So eine Arbeit hat das antike Christentum geleistet, indem es Sklaven zu Geschwistern machte. es verteilte Güter um, so dass die Beziehung zwischen wichtigen Gruppen in der Gemeinde menschlicher wurde – in einer Gesellschaft, die den Zugriff auf Güter dem Recht des Stärkeren überließ.“ (S. 199f)

 

„Es gibt auf der Erde 220 Millionen Migranten. Es genügt nicht, sich um Einzelne zu kümmern; es geht auch um die Kräfte, die sie zum Aufbruch treiben. Da müssen wir uns zum Waffenhandel äußern und zu Wirtschaftszweigen, die man hier zerstört, um sie anderswo wieder aufzubauen, nicht immer nur um Kosten zu sparen. Wenn die Kirche hier keine Verantwortung übernimmt, ausgehend von der Stimme der Ärmsten, gibt sie der Globalisierung ihren Segen. Heute versuchen wir der Hochfinanz etwas Ethik zu vermitteln. Das sind nur Verbesserungen innerhalb des Systems. Vergessen wir nicht, das heute einer von sechs Menschen hungert! Auch wenn es keine schnellen Lösungen gibt, braucht es den Aufschrei im Namen dieser Milliarde Menschen. Wir sagen nicht oft genug: 'Euer System funktioniert nicht! Es ist untragbar!' Für diese Forderung soll die Kirche stehen und den Fachleuten ins Stammbuch schreiben:'Was ihr tut, ist unverantwortlich. Ihr sollt eine Lösung finden!' Sonst wächst die Gewalt, unter der die Armen heute schon leiden. Wir lassen uns von Verhältnissen vereinnahmen, welche die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer machen. Die Kirche soll jene unterstützen, die namens der Botschaft vom Reich Gottes etwas wagen, um die Verhältnisse zu verbessern. Diese ethische Forderung hat Vorrang, absoluten Vorrang. Sonst haben wir nämlich gar nichts zu sagen. In unserer Zeit des Umbruchs und der Orientierungslosigkeit besetzen dann Fundamentalisten die religiösen Räume. Wenn die Religion von unmenschlichen Situationen nichts wissen will, wird die Verehrung abstrakter Prinzipien .. die Religion der Reichen und ihres Gefolges. Genau das erleben wir heute.“ (S. 200f)

 

„...um eine kirchliche Stellungnahme zu kommunizieren, müssen Bauern, Arbeiter, Unternehmer und Politiker mit im Boot sein. Wie wir gemeinsam Menschen werden können, lässt sich nur in Beziehungen mit vielen anderen sagen. Solange wir diese Beziehung nicht eingehen, brauchen wir uns nicht zu wundern, das unsere Lehre kaum Verbreitung findet. Sie vermittelt sich nicht einfach durch die Medien, sondern durch die Art, wie wir vor Ort arbeiten, durch die Begegnungen und Beziehungen, durch die Leute, mit denen wir zu tun haben, durch das Umsetzen kleiner Entscheidungen. Zusammenführen, nicht bloß reden: So entsteht vor Ort Vertrauen.“

 

- Dies ist das letzte Wort Rouets in diesem Buch. Es folgt noch eine Zusammenfassung und Würdigung von Thomas Philipp „Europäisches Christentum im 21. Jahrhundert. Zur Bedeutung Rouets.“